Mein Vater, der Sänger

Mein Vater hatte die Angewohnheit, vor dem Essen zu singen. Wenn meine Oma den Tisch deckte und Teller neben Teller stellte, dann Messer daneben legte und die Wurstplatte, den Butterteller, das Gurkenglas, die Gemüseschale dazu stellte, stieß er leise Töne aus, die immer lauter und lauter aus seinem Mund quollen. Bald lobte er in höchsten Tönen die Leberwurst, bald die Gurken, die meine Oma sauer eingelegt hatte, mal war der Schnittlauch dran und dann die Frühlingszwiebeln. Heute sang er von Radieschen, morgen von Tomaten, je nachdem, was der Garten gerade hergab.

Wenn alle um den Tisch herum hockten und sich ihre Brote schmierten, sang er noch immer, tötete mit seinem Sprechgesang jede Unterhaltung im Keim ab und verdarb mir den Appetit. Nicht, dass ich meinen Vater dafür hasste, aber es schmeckte mir viel besser, wenn er einmal nicht am Tisch saß.

Aber er saß da und sang noch immer, und wenn die anderen schon ihre Butterbrote in sich hineinstopften, schwollen seine Lobgesänge sogar noch an. Irgendwann wurde er still, denn sonst hätte er ja nicht die Radieschen, die sauren Gurken, die Frühlingszwiebeln, die Quarkbrote und den Harzer Roller in seinen ungeheuren Schlund hineinschlingen können.

Im Dorf nannten sie ihn den Sänger von Finsterwalde.

 

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