Weihnachten

Der Weihnachtsabend nahte und ich suchte neugierig in allen Ecken, stieß aber nur auf einen geschnitzten Pferdekopf, der unter der Hobelbank in der Werkstatt meines Großvaters notdürftig mit einem Kartoffelsack abgedeckt war. Ich erkannte auf den ersten Blick den Kindersitz von Friseur Naumann, auf den ich jeden Monat einmal mit gespreizten Beinen gesetzt wurde, um die unerträgliche Prozedur des Haarschneidens zu erleiden.

Als ich meinen Großvater am Abend wegen des Pferdekopfes zur Rede stellt, log er mir vor: Weil der so alt und abgegriffen sei, darum müsse er dem Naumann einen neuen machen, denn er, Fritze, könne mit dem Schnitzmesser umgehen. Ich inspizierte den Pferdekopf und sah, dass ihm beide Ohren fehlten, die ihm meine vielen Leidensgenossen im Laufe der Jahrzehnte voller Widerwillen gegen das erzwungene Stillhalten beim Schervorgang abgedreht hatten, denn der Friseur arbeitete mit einer Handmaschine, die er so schlecht handhabte, dass es am ganzen Kopf unangenehm ziepte.

Ich konnte der fadenscheinigen Erklärung meines Großvaters keinen Glauben schenken, musste aber zugeben, dass der Pferdekopf eine gute Vorlage abgab. Und so war ich auch nicht sonderlich überrascht, als bei der Bescherung am Heiligabend, zu der mich meine Mutter mit einer kleinen Glocke aus Messing herbei bimmelte, ein Schaukelpferd neben dem Tannenbaum stand, mit eben jenem Kopf, den mein Opa geschnitzt hatte und der dem Pferdekopf von Friseur Naumann wie ein Bruder dem anderen glich. Nur dass jener mittels einer sinnvollen Steckvorrichtung an einem Kinderstuhl mit runder Lehne befestigt war, den man wie den Hocker vor unserem Klavier durch Drehen hinauf und herunterschrauben konnte. Dieser aber war ein fester Bestandteil des ganzen Pferdes und am Hals mit einem Doppelgriff versehen, damit der Reiter sich auch ohne Geschirr an dem Tier festhalten konnte.

 

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