Unser Haus

Das Haus meiner Großeltern bestand eigentlich aus zwei Gebäuden, die durch verschiedene Ställe, Schuppen und Anbauten ein für Besucher verwirrendes, mir aber wohl vertrautes Labyrinth bildeten. Zur Straße hin war das fast einen Morgen große Grundstück durch eine hohe Mauer abgetrennt, durch die eine Tür und ein meistens verschlossenes Tor in den Hof führten. Das quer stehende alte Haus trennte den Hof vom dahinter gelegenen Garten, der nur durch den alten Hausflur zu erreichen war. Rechts stand das Haus, in dem unsere vielköpfige Familie wohnte; die drei Wohnungen links vom alten Hausflur waren vermietet. Das Haus stammte aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts und hatte ein durchgezogenes Dach, das traufenseitig zum Hof stand. Später, als der Abriss des heruntergekommenen Baus bereits kurz bevorstand, habe ich noch die Kiefernbalken bestaunt, die mit Flößen aus Böhmen über die Elbe nach Magdeburg geschwommen waren und die noch Spuren von den Äxten aufwiesen, die fleißige Waldarbeiter geschickt geführt hatten.

Der Hof selbst war vollständig eingerahmt durch eine Reihe von Schuppen und Ställen zur Straßenseite, durch die Aschenkuhle sowie die Klosettanlagen im Norden und das Wohnhaus im Osten. Im Süden schloss sich der in den 1880er Jahren errichtete Flachbau an, von dessen Front je zwei Fenster unten und oben zur Straße und auf den nach Westen sich öffnenden Denkmalplatz blickten. Das linke untere Fenster nutzte meine Oma, um sich in ihren wenigen Mußestunden einen Überblick darüber zu verschaffen, was im Dorf geschah. Dazu legte sie ein Sofakissen auf die Fensterbank und stützte sich mit den Ellenbogen darauf. Rechterhand mündete die Schmiedestraße nur hundert Meter weiter in den Eichplatz, auf dem die Omnibusse früh morgens die müden Pendler aufsaugten, die in Magdeburg arbeiteten, und die sie abends erschöpft wieder ausspieen; viele aber mussten auf ihren Wegen von und zu ihren Wohnungen die Schmiedestraße durchqueren. Manche blieben wohl auch für ein kurzes Schwätzchen stehen.

Vom alten Hausflur führte die hinter einer Tür verborgene Treppe in einen alten Gewölbekeller hinab, in dem meine Oma im Sandboden Mohrrüben vergrub und auf Holzregalen Äpfel, Birnen und ihr Eingemachtes aufbewahrte; auch lagerten hier Flaschen mit saurem Apfel- und süßem Himbeersaft, sowie Weinflaschen, deren mir verbotener Inhalt aus Sauerkirschen und aus den Weinbeeren gekeltert war, die auf Spalieren über dem Hühnerstall wuchsen und an sonnigen Herbsttagen sogar reif wurden. Manchmal stellte mein Onkel im Sommer hier unten auch kleine Bienenkästen hinein, in denen sich Schwärme beruhigen mussten, die er irgendwo im Dorf eingefangen hatte, denn die Leute riefen ihn immer, wenn sie einen solchen Schwarm im Garten fanden, weil sie sich vor den Bienenstichen fürchteten.

Noch interessanter war die zweite Treppe, die aus dem alten Hausflur zum Dachboden hinauf führte. Dort warteten unter Dachziegeln neben den mit Schraubdeckeln verschlossenen Honiggläsern leere Flaschen und Einmachgläser darauf, im Sommer gefüllt und danach bis zum Winter in den Keller verbannt zu werden. Auch gab es Gerätschaften, die meine Oma nur gelegentlich benötigte, wie Waagen, Einmachkessel, irdene Honig- und Gurkentöpfe, ausrangierte Kleidungsstücke, alte Schuhe, Zeltbahnen und Körbe aller Art. Ich hatte hier Reste alten Spielzeugs entdeckt: Fünf Wehrmachtssoldaten aus Elastolin, Teile von Puppen, mehrere Schachteln mit Zinnsoldaten und Bleifiguren von allerlei Tieren, Murmeln aus farbig bemaltem Ton, gedrechselte Holzkiesel, einen hölzernen Bauernhof mit beschädigten Tieren, einen Leiterwagen und Zubehör wie kleine Kisten und Fässer, mit denen man den Wagen beladen konnte. Auch eine Laterna Magica mit bunten Glasbildern gab es und eine Blecheisenbahn mit Lokomotive, Wagen und Schienen.

 

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