Der Kampf mit dem Drachen

Das Barackenlager lag auf dem Rangierbahnhof, auf dem Tag und Nacht endlose Güterzüge ein- und ausfuhren und wo hunderte der grauen Wagons verschoben wurden. Hier schliefen wir in einem ganz kleinen Zimmer, in dem man sich am Tage nicht aufhalten konnte. Ich spielte daher mit den Lokomotiven, die zwischen den Baracken hin und her dampften und deren Schienenwege wir überqueren mussten. Wir hatten bald herausgefunden, dass es böse Drachen waren, die aus den nahen Nebelbergen in unser Land am breiten Fluss eindrangen, um eine der Prinzessinnen zu rauben, für deren Sicherheit wir verantwortlich waren. Wir waren bereit, tapfer gegen sie zu kämpfen und unser Leben für jede der Prinzessinnen zu riskieren. Wir beratschlagten also, was zu tun sei und stellten fest, dass wir mit unseren Speeren, die wir uns aus Haselnusstrieben geschnitzt hatten, wenig gegen die schwarzen Ungeheuer ausrichten konnten. Deshalb wollten wir sie so erschrecken, dass sie in Panik gerieten und sich vor Angst in den breiten Fluss stürzten, wo ihr inneres Feuer erlöschen musste und sie ertrinken sollten. Wieder und wieder stürmten die Drachen heran und bliesen in kurzen Stößen mächtige Rauchwolken in den trüben Himmel. Wir sattelten unsere Pferde und griffen furchtlos an.

Man dufte nicht rückwärts reiten, wenn man einem dieser dampfenden Ungetüme ausweichen wollte, denn dann kreuzte man einen anderen Schienenstrang, auf dem unversehens ein weiteres Scheusal heranschnaubte, und man konnte von Glück sagen, wenn ein schriller Pfiff warnte. Allerdings gab es Schreckhafte unter uns, meistens waren es Mädchen, die keine Prinzessin sein wollten, denen eine solche gut gemeinte Warnung überhaupt nichts nutzte, denn sie erschraken bei jedem Pfiff und liefen blind vor Angst nun erst recht nach vorn und beinahe in ihr Verderben. Wir aber sprangen geschickt von Gleis zu Gleis, ich gewann schon nach wenigen Tagen eine prächtige Übersicht und wusste, wann einer der Drachen von Westen nahte und wann einer von Osten. Da ich bald abschätzen konnte, wie lange es dauern würde, bis das Untier oder der von ihm geschobene Waggon die Stelle erreicht hatte, an der ich über das Gleis reiten wollte, zögerte ich meinen Sprung immer mehr hinaus und überquerte die Schienen ganz kurz, bevor die Bestien vorbeiratterten. Natürlich sicherten wir uns vor solchen riskanten Manövern ab, indem wir genau beobachteten, was sich auf den anderen Gleisen abspielte, die vor oder hinter unserem Standort verliefen. Auch konnten wir uns auf unsere edlen Pferde verlassen, die jede Gefahr schon von weitem witterten.

Als ich nach einigen Tagen den Bogen raus hatte und kaum ein Lokomotivführer es noch für nötig hielt, mich durch ein kurzes Reißen am Seil seiner Pfeife zu warnen, verlor ich den Spaß an der Sache und begann mich zu langweilen. Allerdings widerstand ich der Versuchung, eigenhändig die eine oder andere Weiche umzulegen, wie ich es bei den Männern gesehen hatte, die an Ketten befestigte Bremsklötze vor die schweren Räder warfen. Ich versagte mir damals schweren Herzens die Erfahrung, Lokomotiven nach meinen Vorstellungen umzuleiten und tröstete mich mit der Hoffnung, dass die meisten der Prinzessinnen das Land am breiten Fluss bald verlassen würden.

 

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