Mein Garten

Hinter den beiden Häusern meiner Großeltern öffnete sich der Garten, der von drei Seiten durch Mauern eingefasst war; nur nach Süden gab es ein paar Meter Maschendrahtzaun, und im Norden war der mit grobem Kies belegte Schulhof durch eine schwarze Holzplanke abgegrenzt, gegen die jeden Morgen zweimal Kieselsteine prasselten, wenn die schnellsten Schüler nach dem Klingeln in die große Pause ihr Ziel erreicht hatten, sich an die Planke warfen und „Erster!“, „Zweiter!“ und „Dritter!“ schrieen. Am nordöstlichen Ende des Grundstücks lagen der Hühnerstall, das Bienenhaus und die Werkstatt, die sogar vom Haus aus mit einer Stromleitung versorgt wurde. Im Südwesten führte ein schmaler Gang zwischen dem neuen Haus und der Scheune des Nachbargrundstücks zur Schmiedestraße, der aber vorne durch eine Pforte verschlossen war. Hier lag zum Garten hin der Holzschuppen, wo zu dieser Zeit gerade Katze Mulle wohnte, mit der ich auf Kriegsfuß stand, weil das alte Vieh sich weigerte, mit mir zu spielen. Dafür fand ich aber in jedem Frühsommer im Gang zwischen den Hausmauern junge Bäume, die aus den Samen heraus keimten, die der Wind im letzten Herbst von der Straße über die hölzerne Pforte geweht hatte. Da riss ich einige aus und pflanzte sie neben das Mistbeet, wo ich mir einen kleinen Garten angelegt hatte, goss sie auch zwei oder drei Tage sorgfältig aus dem kleinen Aluminiumtöpfchen, das unter der großen Regentonne stand, wo die Männer sich nach dem Pinkeln die Hände abspülten, vergaß die Schösslinge dann aber und wunderte mich, dass sie nach ein paar Wochen alle verdorrt waren.

Bei gutem Wetter war der Garten mein Revier, bei schlechtem aber der Hof mit seiner eisernen Wasserpumpe, dem Misthaufen und den verschiedenen Gebäudeteilen. Da gab es einen Fahrradschuppen und einen Schweinestall, in dem eine Sau mit Küchenabfällen aus allen fünf Haushalten gemästet wurde, sowie drei Regentonnen, in denen sich das Wasser sammelte, das von den beiden Hausdächern je nach dem tropfte, lief oder stürzte. Der alte Hausflur verband den Hof mit dem Garten; ich musste die Waschküche durchqueren, um auf eine Terrasse zu gelangen, über die ich zum rechterhand gelegenen Klosett kam. Wenn ich drauf saß, ließ ich die Tür zum Garten offen und bollerte mit den Hacken so laut gegen die Holzverkleidung, dass die großen Spinnen sich an Fäden von oben abseilten und empört nachschauten, wer da so einen Lärm machte.

In diesem Garten fanden die meisten meiner spannenden Expeditionen und Weltreisen statt; hier waren die hohen Berge Zentralasiens, auf die es zu klettern galt; die weiten Steppen Afrikas mit den wilden Löwen und den großen Elefanten; die gefährlichen Jagdgründe der nordamerikanischen Indianer, durch die man nur mit allergrößter Vorsicht reiten durfte; hier lebten auch meine Freude, die großen Abenteurer und Entdecker. Und es gab die endlosen Weltmeere, die mit Segelschiffen erobert werden mussten oder – wenn ein paar Jahre später Jules Verne mit von der Partie war – auch mit hochmodernen Dampfschiffen befahren werden konnten. Ich erreichte mit Robinson Crusoe trotz starken Wellengangs den rettenden Strand, holte die wichtigsten Werkzeuge und Lebensmittel in letzter Minute vom Wrack und fand eine trockene Höhle, die wir gemeinsam wohnlich einrichteten und gegen wilde Tiere befestigten. Sogar im Winter, wenn alle Blätter abgefallen waren und die Bäume ihre Zweige wie Gerippe in den fahlen Himmel streckten, machte ich mich in meinem Garten auf, um mit Roald Amundsen an einer Reise zum Südpol teilzunehmen oder um mit der Nanga-Parbat-Expedition einen eisbedeckten Bergriesen im Himalaja zu bezwingen.

 

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