Bei Ulrich

Zu Ulrich bist du nie gern gegangen. Zwar freute sich seine Mutter, wenn du vom Hof in die Küche kamst, um die alte Pumpe zu bestaunen, die in einer Ecke der Küche stand und ihr Wasser in ein Becken aus Sandstein goss, das einen offenen Ablauf durch die Mauer zum Hof hatte. Vielleicht bis du ja auch nur hingegangen, weil Ulrich eine Schwester hatte, das war Hella, deren Augen ihrem sonnigen Namen Ehre machten. Aber sie blickten meist traurig zu dir hinüber, und Hella sprach nicht mit dir, weil es ihr Vater verboten hatte. Frau Knochenmuß wusste, dass er sie jedes Mal schlug, nachdem du wieder fort gegangen warst.

Wenn das Feuer im Herd wunderbar bullerte, gab es immer etwas Gutes zum Naschen: Kleine Pfannkuchen, frisch gekochtes Apfelmus oder Randstücke vom Butterkuchen. Wenn dann aber Ulrichs Vater hereinpolterte, wolltest du am liebsten im Boden versinken; nicht weil er über das Leben in der Ostzone schimpfte, das taten fast alle Menschen, die du im Dorf kanntest, vielmehr weil du die Art nicht mochtest, mit der er zu dir sprach.

Immer fragte er seine Patienten, ob sie dies oder jenes, was ihn gerade geärgert hatte, so richtig fänden. Unter Adolf war alles anders und besser gewesen. Nun aber machten die Kommunisten alles kaputt. Da könne kein ordentlicher Mensch mehr leben. Und er erzählte, was die Saubande gerade wieder angestellt hatte, um ihn zu ärgern. Niemand wagte es, dem Alten zu widersprechen, denn er war der einzige Zahnarzt im Dorf und schimpfte auch beim Bohren.

Dir schien es, dass er dich für alles verantwortlich machen wollte, wenn er in die Küche herunter kam. Dann konntest du nicht länger bleiben, nur Helmas ängstliches Gesicht hielt dich davon ab, sofort zu verschwinden. Später erzählte dir deine Oma, dass er sich auf dem Boden seines Hauses aufgehängt habe. Da warst du erleichtert, und Hellas Augen leuchteten wieder, wenn du bei Ulrich spieltest.

 

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