Baden

Die Teichstraße führte direkt zur alten Pferdeschwemme, und wenn man Hilligers „Luisenbad“ besuchen wollte, muss man rechts daran vorbeigehen. Im Winter gefroren die Abwässer und bildeten Scholle auf Scholle schmutzig weiß und blau geäderte Eisflächen, über die Nebeldämpfe hinweg strichen. Diese Badeanstalt war jeden Freitagnachmittag mein Ziel. Meine Oma hatte mir ein Stück Seife, ein Handtuch und frische Unterwäsche in ihre Einkaufstasche gepackt und einige Geldstücke in ein kleines Portemonnaie gesteckt. Ich lief zum Dorfteich, stieg die steilen Stufen zur Badeanstalt empor, öffnete die Tür und wurde von dem scharfen Fichtennadelgeruch begrüßt. Dann setzte ich mich auf einem freien Stuhl im Wartezimmer. Irgendwann kam Frau Hilliger, sagte mit anhebender Stimme: „Tach, Jert!“, nahm mir das Geld ab und führte mich in einem Raum, in dem die Badewannen standen. Jede war von den anderen durch Vorhänge getrennt und knapp zur Hälfte mit warmem Wasser gefüllt. Ich zog mich aus, legte meine Kleider auf einen Hocker und stieg – von den Frauen unbeobachtet – ins grüne Fichtennadel-Wasser. Wenn ich große Wellen machte, die über den Wannenrand platschten, wurde ich ausgeschimpft. Die Badezeit betrug 15 Minuten einschließlich Aus- und Ankleiden, wie mich ein Schild belehrte. Frau Hilliger sagte: „Nu mach mål hin!“ Dennoch hielt ich es zwanzig Minuten in der Badewanne aus und schwebte sorglos im grünen Wasser. Dabei hörten meine Ohren unter Wasser die Stöße der Pumpe, die das heiße Wasser aus dem Keller in einen Behälter im zweiten Stock pumpte, aus dem es in die Wannen gelassen werden konnte.

 

zurück zur Titelseite