Die Friedhofsmauer

Zu den unheimlichsten Plätzen unseres Dorfes zählte der Knochenpark, ein alter Friedhof, auf dem nur noch ein paar alte Grabmale standen, die zum Teil umgestürzt waren und wo zerbrochene Steine und Säulen lagen. Dort ging ich bei Dunkelheit nie hin, weil ich zwischen den Büschen immer knochige Gestalten herumlungern sah.

Noch unheimlicher aber war die hohe Mauer, die unseren Friedhof an der Wanzleber Chaussee zur Königstraße abschloss. Wenn ich im Herbst kurz vor Einbruch der Dunkelheit mit meinem Rad hier entlang und zurück ins Dorf fahren musste, gruselte es mich wirklich. Denn über die Mauer hinweg ragten die großen Grabsteine der Ruhestätten, die direkt an die Mauer grenzten. Die kannte ich alle von Besuchen an sonnigen Tagen, denn in diesem Gang auf der anderen Seite lag das Grab meiner Urgroßeltern, das meine Oma regelmäßig pflegte. Hier konnte ich sie alle lesen, die Namen der Nachbarn, Bekannten und auch die Namen der Verwandten meiner Schulkameraden und Freunde. Alle waren hier beerdigt und ihre Lebensdaten reichten bis ins 19. Jahrhundert zurück. Viele Gräber trugen schwarze Marmorplatten, in die man die Namen der Toten eingemeißelt hatte. Neben unserem Grab saß eine weiße Frau aus Stein und weinte in ihren Schleier hinein. Sie trauerte um meine Ur-Urgroßeltern. Wenn ich aber auf der anderen Seite vorbeifuhr, hatte ich den Eindruck, als blicke die weinende Frau aus ihren leeren Augen über den Mauerrand zu mir hinunter.

 

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