Honig

Wenn geschleudert wurde, durfte ich nicht in meinen Garten gehen. Mein Onkel sagte, die Bienen werden aggressiv, wenn man ihnen den Honig wegnimmt. Am Morgen wurde das große Honigfass in der Waschküche aufgestellt und mein Onkel befestigte die elektrische Heizung unter dem Boden. Dann stellte er die Schleuder daneben. Sie bestand aus einer senkrechten Tonne, in der eine Halterung für die Waben eingelötet war. Mit einer Kurbel konnte über einen Triebriemen die innere Trommel gedreht werden. Mein Onkel setzte den Imkerhut auf seinen Kopf und zog den Schleier bis zum Kragen seines Arbeitsanzuges herunter. Dann ging er in das Bienenhaus und holte eine Karre mit den ersten Waben. Mein Opa legte jede Wabe auf ein Backblech und entfernte mit einer Gabel die Deckel von den Waben. Dann stellte er die so geöffneten Waben senkrecht in die Trommel. Nun begann mein Onkel, den Griff seiner Schleuder zu drehen. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Das war eine Frage der langjährigen Erfahrung, sagte er. Wenn er zu langsam drehte, kam kein Honig aus den Waben, drehte er zu schnell, gingen sie zu Bruch. Später montierte er einen Motor an die Schleuder und errechnete genau die Spannung, die er mit Hilfe eines Reglers anlegen musste, um die passende Drehzahl zu erreichen. Zur Sicherheit hätte er auch einen Fliehkraftregler einbauen können, um die Drehgeschwindigkeit der Trommel zu begrenzen. Wenn die Trommel sich richtig drehte, wurde der Honig aus den Waben an die Trommelwände geschleudert und floss nach unten, tropfte auf dem Boden der Tonne, wo er so erwärmt wurde, dass er flüssig blieb, und lief durch einen Abfluss in einen irdenen Krug, den meine Oma ebenfalls angewärmt hatte. So blieb der Honig flüssig und konnte in das große Fass gegossen werden, wenn der Krug voll war. Vorher aber musste der Quetschhahn aus vernickeltem Messing abgedreht werden, damit kein Honig auf den Fußboden kleckerte.

Die ausgeschleuderten Waben setzte mein Onkel wieder in die Kästen, damit die Bienen Platz für eine neue Tracht hatten.

 

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