Kasper & Co.

Zum Weihnachtsfest erschien Kasper mit seiner Sippschaft in unserem Wohnzimmer. Als meine Bescherung an der Reihe war und meine Oma mich durch das Klingeln einer kleinen Glocke ins Wohnzimmer rief, sah ich es sofort. Ein hohes Handpuppentheater ragte neben dem brennenden Baum empor. Es waren bunt bemalte Holzlatten, die mit Karton bekleidet ein Theater darstellten. Über der Spielleiste hingen die Akteure; die schweren Köpfe nach vorn gerichtet, wurden sie nur von ihren Kostümen am Runterfallen gehindert.

Mein Opa zeigte mir, wie man es macht. Zuerst nahm er die Puppen von der Leiste und stellte sie mir vor. Kasper hieß der mit der langen Hakennase und dem frechen Grinsen. Seinen Kopf zierte eine Zipfelmütze und unterm Arm klemmte eine Pritsche. Sie war aus gespreizten Holzstäben gemacht und klatschte, wenn man damit auf etwas Festes schlug.

Dann war da die Gretel, Kaspers Freundin, die hatte einen goldenen Zopf. Beide wurden von der Großmutter beaufsichtigt, einer alten Frau, deren Gesicht mich an meine Oma erinnerte. Kaspers Freund war der Sepp, ein ziemlich dämlicher Kerl, der ihn alle Zeit begleitete. Das waren die Guten. Die Fraktion der Bösen wurde von einer Hexe, einem Räuber, dem Teufel und einem Krokodil dargestellt.

König, Königin, Prinzessin und Prinz gab es nicht. „Die werden von der Arbeiter- und Bauernmacht nicht mehr geduldet“, sagte mein Opa, denn er hatte die Puppen bei einem Holzschnitzer in Sachsen bestellt, der sich auf die neue Zeit eingestellt hatte. Damit die Guten in der Überzahl waren, holte mein Opa noch eine neunte Puppe hervor, das war der Volkspolizist. Er sorgte als Vertreter der Staatsmacht für Gerechtigkeit, indem er den Räuber verhaftete, während Kasper das Krokodil und die Hexe mit seiner Pritsche totschlagen durfte. Den Teufel konnte man nicht einfach totschlagen, aber ein paar heftige Streiche mit der Pritsche und das Zauberwort Perlicke – Perlacke reichten aus, um ihn so oft im Boden zu versenken, bis er sich nicht mehr herauf traute.

Die Köpfe waren grob aus Lindenholz geschnitzt und bemalt, unten im Hals war ein Loch gebohrt für den Zeigefinger. Die Kleider bestanden aus Stoffschläuchen, die unten am Hals festgenagelt waren und die Löcher für Daumen und Ringfinger ließen, die in plumpen Holzfäustlingen endeten. Unten baumelten schwarze Holzfüße daran.

Um beim Spielen verdeckt zu sein, musste ich hinter dem Theater knien und konnte dann jeweils zwei Puppen über der Spielleiste erscheinen lassen. Lange kann man sie nicht hochhalten, denn die Arme werden schnell lahm und die kniende Haltung ist sehr anstrengend.

Das Krokodil wies eine besondere Konstruktion auf. Sein langer Unterkiefer war aus Holz geschnitzt, während der Oberkiefer nur aus Pappmaché bestand. Beide Teile wurden seitlich durch zwei Splinte zusammengehalten, denen mein Onkel nach kurzer Inspektion keine lange Lebensdauer voraussagte. Der Körper bestand ebenfalls aus einem Stoffschlauch, war grün und mit einem gezackten roten Band benäht.

Ich fand bald heraus, dass man mit Kasper & Co. auf der Spielleiste keinen Staat machen konnte. Den ganzen Weihnachtsabend hielt ich ihn und seine Leute auf Trapp, aber bereits am nächsten Morgen blieb die ganze Mannschaft kopfüber an den dafür an der Unterseite der Spielleiste eingeschlagenen Nägeln hängen und ich besuchte meine Indianer auf dem Dachboden.

 

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