Doktor Ulebuhle

Als ich lesen gelernt hatte, gab mit meine Tante Lotte ein Buch mit den seltsamen Geschichten des Dr. Ulebuhle. Das nahm ich mit auf die Chaiselongue, die im Wohnzimmer meiner Großeltern stand, und fing an zu lesen.

Da las ich vom Untergang Pompejis und wie die Menschen vergeblich vor dem Ascheregen des Vesuvs zu fliehen versuchten. Dann regnete es Bimssteine und alle suchten unter den Dächern ihrer Häuser Schutz. Doch der Bimsstein blieb auf den Häusern liegen wie der Schnee bei uns im Winter, und als die ersten Dächer einstürzten, da griffen sich die Leute ihre Kopfkissen, rannten nach draußen und versuchten, sich gegen die herabstürzenden Steine zu schützen. Viele wurden erschlagen, die aber, die ein Stück weit gelaufen waren, erstickten in den Dämpfen, die aus dem Vulkanschlot strömten und stürzten zu Boden, wo sie qualvoll sterben mussten. Dann wurden sie verschüttet und ihre Häuser wurden verschüttet, und es türmte sich die heiße Asche meterhoch auf die ganze prächtige Stadt. Die Menschen aber, die überlebt hatten, vergaßen Pompeji und alle die toten Männer, Frauen und Kinder, legten neue Dörfer an und bauten andere Städte. Und als zwei Jahrtausende später ein Bauer mit seinem Pferd Töpfe, Kannen und andere Gebrauchsgegenstände aus der Erde herauspflügte, da grub man das Feld auf und fand die Stadt, die einmal Pompeji hieß. Und die Archäologen gruben die Häuser, Tempel und Paläste aus, und sie fanden auch tote Hunde und die toten Menschen. Und als sie die Hohlräume, die sie in der zusammen gebackenen Tuffasche fanden, mit Gips ausgossen, da lagen die Menschen noch immer so da, wie sie vor vielen Jahrhunderten gestorben waren.

Mit den Gebrüdern Sturm tobte ich über Wüsten und Meere bis in die entferntesten Gebirge, wo eine finstere Höhle bis tief in den Felsen hineinreichte. Da kam zuerst der Sandsturm, schlug seine breiten Schwingen wie einen Mantel um sich, denn er fror in der Kälte des Gebirges, kauerte sich in die Ecke und träumte von dem heißen Wüstensand, in dem sich die gelben Löwen sonnten. Dann traf der Gewittersturm ein, schüttelte Hagel und Regen aus seinen blaugrauen Flügeln, fegte in die Höhle hinein und brach in ein donnerndes Gelächter aus, als er seinen Bruder da frierend in der Höhle hocken fand. Jetzt sah ich, wie der Himmel nach Osten schwefelgelb wurde und eine schwarze Wand kam herangebraust, aus der sich ein langer Trichter wie der Rüssel eines Riesenelefanten auf die Erde herabsenkte. Das war der Tornado, der Sand und Steine mitbrachte, die krachend an die Felsenwände schlugen, so dass dröhnende Echos von den gegenüber liegenden Felsen zu mir herüberschepperten. Als er in die Höhle stob, brüllte er: "Good day, my dear brothers!", denn er war ein echter Amerikaner und kam eben aus Kalifornien herüber. Gegen Mittag wurde es kälter und immer kälter und am Himmel bildeten sich die Federwölkchen, die aus lauter Eisnadeln bestanden. Ein undurchdringliches Schneetreiben setzte ein und kündigte den Blizzard an. Als der in die Höhle eintrat, zitterten seine Brüder vor klirrender Kälte. Dann erzählten sich die Brüder einander, was jeder von ihnen angerichtet und welche Verwüstungen sie über die Menschen und ihre Wohnungen gebracht hatten, und ich hörte atemlos zu.

Eines Nachts ließ ich mich von der Himmelsflugmaschine des Professors zum Mond bringen. Das war aber ganz anders als beim kleinen Häwelmann, von dem mir mein Lesebuch berichtet hatte. Ich stieg in die gläserne Gondel eines Ballons ein, und dann ging das Abenteuer los. Die Häuser wurden immer kleiner und sahen wie Spielzeug aus und die Wälder wie dunkle grüne Tücher. Dann flogen wir durch den leeren Weltraum und sahen die Erde, die sich in eine leuchtende Kugel verwandelt hatte. Als wir auf dem Mond gelandet waren, mussten wir schwere Anzüge überziehen und Helme aus Metall und Glas, wie die Taucher sie tragen, denn auf dem Mond gab es keine Luft zum Atmen. Aber mein Anzug behinderte mich gar nicht, weil der Mond nur ein Sechstel der Anziehungskraft der Erde hat und ich ganz leicht riesige Sprünge machen konnte und immer wieder weich auf dem Mondboden landete.

Sogar dem Tod begegnete ich einmal, als er mir eine Flasche zeigte, aus der die Cholera entwich und viele arme Menschen unbarmherzig tötete. Der spindeldürre Kerl aber war mir unheimlich und ich verließ ihn schnell wieder, froh, dass er nichts weiter von mir wollte. Und ich las auch die anderen Abenteuer des Doktor Ulebuhle, erblickte das quirlige Leben in einem Wassertropfen, lernte den blitzenden Diamanten und seine Brüder kennen, tauchte mit John Dolland in die Tiefe des Meeres und hörte der Schwalbe zu, als sie ihre Weisheiten vom Telegraphendraht herunterschwatzte.

 

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