Zuckerkuchen mit Pfützen

Immer wenn meine Oma Zuckerkuchen buk, musste ich ein Stück Hefeteig von Bäcker Rogge holen. Dazu bekam ich eine große irdene Schüssel in die Hand gedrückt, in die meine Oma ein sorgfältig gefaltetes Geschirrtuch gelegt hatte.

Frau Rogge ging mit der Schüssel in die Backstube und kam mit einer großen Kugel Teig zurück, die sie sorgfältig mit dem Tuch abdeckte. Dann gab sie mir einen Kanten vom Streuselkuchen, den ich sofort aufaß. Auf dem Rückweg achtete ich darauf, nicht zu stolpern und brachte die Schüssel mit dem Teig glücklich nach Hause.

Meine Oma lobte mich dafür und ich durfte bei ihren weiteren Verrichtungen zusehen. Sie mehlte die Tischplatte sorgfältig ein und wälzte dann mit dem Nudelholz den Teigklumpen so aus, dass er genau auf das große Backblech passte, das sie vorher mit dem Papier eingefettet hatte, in das Butterstücke eingewickelt waren und die sie sorgfältig zusammengefaltet aufbewahrte, denn sie wurden später noch einmal zum Abdecken von Apfelkuchen verwendet, den sie in ihrem Gasbackofen in einer runden Form buk. Jetzt aber drückte sie mit den Rückseiten ihrer knochigen Finger und mit den Handballen so lange auf den Teigfladen, bis das ganze Blech von einer gleichmäßigen Schicht bedeckt war. Zum Schluss stanzte sie mit den Knöcheln ihrer rechten Hand Vertiefungen in den Teig.

Nun deckte sie das Blech mit einem sauberen Tuch ab und stellte es auf den Küchenschrank neben dem Ofen, in dem Holzscheite bullerten. Sie holte eine Kasserolle aus dem Schrank, zündete eine Gasflamme ihres Herdes an und schmolz ein halbes Stück Butter. Ich hielt das für eine große Verschwendung, denn ich wusste, dass ein Stück Butter bei der Milchhandlung Rulf in der Magdeburger Straße fünf Mark kostete. Und ich schämte mich ein bisschen, wenn ich Erwin meine Butterbrote mit Bratwurst gab, weil dessen Oma nur das billigste Dreipfundbrot für 48 Pfennige kaufen konnte, auf das sie Margarine und Kunsthonig schmierte, was ich nie essen durfte.

Wenn die Butter geschmolzen war, löste meine Oma viele Esslöffel Zucker darin auf, dann schlug sie acht Eier hinein und verrührte den Brei sorgfältig, bevor sie ihn über den Hefeteig ausgoss und mit einem Löffel gleichmäßig verteilte. Darüber streute sie noch ein bisschen groben Zucker und deckte das Blech mit zwei Tüchern sorgfältig ab.

Nun war ich wieder dran. Es galt, das Blech sicher zu Bäcker Rogge zu tragen und dabei durfte ich mir keinen Fehltritt erlauben. Wenn ich dann mit vor Anstrengung rotem Kopf vor dem Laden stand, wenn Frau Rogge die Tür geöffnet und mir das Blech abgenommen hatte, durfte ich noch einen Kanten vom Streuselkuchen mitnehmen und getrost nach Hause gehen. Um drei sollte ich wiederkommen.

Wenn auch der Rücktransport des Blechs wunschgemäß geklappt hatte, schnitt meine Oma den Kuchen mit ihrem großen Brotmesser an und legte mir ein Stück auf den Teller. Den Duft des frischen Butterkuchens habe ich bis heute in der Nase. Am besten schmeckten die Kuchenstücke, auf denen karamellisierte Zuckerkrusten über feuchten Butterpfützen schwammen.

 

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