Wir sitzen im Weidenbaum

Am Kulk streckten drei Weidenbäume ihre Strubbelköpfe in den Wind, deren seltsame Form mein Opa mir so erklärt hatte: „Als Kopfweiden bezeichnet man Korbweiden, deren Stamm in einer Höhe von circa zwei Metern abgesägt wurde. An der Schnittfläche treibt der Baum viele neue Ruten aus, die man abschneiden und zum Korbflechten nutzen kann. Der oberste Abschnitt des Stammes verdickt sich zum Kopf der Weide. Wird der Stamm nicht regelmäßig geschnitten, kann er unter der Last seiner Äste auseinander brechen.“ Solch eine beschädigte Kopfweide war die rechte der drei und die interessierte mich besonders, wenn ich im Herbst über die Wansleber Chaussee zum Drachensteigen fuhr. Die drei Kerle standen dann in einer Reihe und neigten ihre Köpfe zum Dorf hin. Ansonsten wurzelten sie recht einsam in der Landschaft und wurden vor allem von schwarzen Krähen besucht.

Einmal nahmen wir das lange Messband aus Opas Werkstatt mit und vermaßen unseren Baum. Der Stamm hatte innen einen Durchmesser von zwei Metern, der Umfang betrug außen sechs Meter. Die Köpfe schwebten fast zwei Meter über der Erde und streckten ihre Spieße in den Himmel, die bis zu drei Metern lang waren. Auf der Höhe der Köpfe maßen wir 9,80 Meter Umfang.

Ich untersuchte die Weide mit Wolfgang auch von innen, und wir fanden drei bequeme Sitze in der aufgebrochenen Höhle, denn der Stamm wölbte in der Höhe von etwa ein Meter achtzig seine fünf Köpfe nach außen. Da saßen wir gerne im Herbst, ließen Rohrkolben glimmen und vertrieben mit dem Rauch die Mücken.

 

zurück zur Titelseite