Drachensteigen

Wenn im Oktober die Kartoffelernte begann, ließen wir unsere Drachen steigen. Mein Opa gab mir zwei Kiefernlatten, das Papier besorgte ich mir bei Dauck, wo ich auch ein Töpfchen Kleister erstand. Ein Glück, dass meine Oma alle Bindfäden aufhob! So kam ich an eine ganze Rolle, die bestimmt 100 Meter lang war und für die mir mein Opa eine hölzerne Haspel baute.

Ich schnitt die Leisten nach dem Maß unseres Küchenfensters zurecht und verband die beiden Hölzer mit Bindfaden zu einem Kreuz, dann spannte ich den Faden um das Kreuz und zog ihn durch Einkerbungen, die ich vorher mit einer Feile eingeschliffen hatte. Alles wurde mit kleinen Nägeln gesichert. Das Kreuz legte ich auf einen bunten Bogen und schnitt ihn großzügig aus. Dann trug ich mit dem Zeigefinger Kleister auf, faltete das Papier um den Faden und legte Holstücke und Werkzeuge zur Sicherung auf die Klebekanten; nach einer Stunde war alles getrocknet und die Bespannung konnte das Folgende aushalten. Inzwischen hatte ich Papierstücke gerollt und zu einem fünf Meter langen Schwanz gebunden, der auf eine Rolle aus Zeitungspapier gewickelt wurde, damit er sich nicht verheddern konnte. Beim Anbringen der Waage half mit mein Opa und ich knüpfte noch zwei Ohren an die Ecken des Drachen und klebte ihm Augen, Mund und Nase auf.

Wolfgang, Peter und ich fuhren mit unseren Drachen zum Kulk, wo wir unsere Fahrräder abstellten. Dann prüften wir den Wind, bestimmten die Richtung und rollten unsere Leinen ab. Mit einem kräftigen Anlauf schafften wir den Start nur dann, wenn ein anderer den Drachen hielt und auf Los! nach oben warf. Der Wind wehte ordentlich und bald standen alle drei Drachen ruhig am Himmel. Wenn es kräftig blies, konnten wir unsere Drachen an einem Stab festbinden. Dazu schnitten wir kräftige Ruten von einer der Kopfweiden und trieben die Stöcke schräg in den schwarzen Bördeboden. Dann befestigten wir unsere Schnüre und konnten die Drachen sich selbst überlassen.

Ich hatte ein leeres Schreibheft mitgenommen und riss Blätter heraus. Die praktizierten wir wie Segel an die Leinen, so dass sie vom Wind nach oben geschoben wurden, bis sie zum Knoten der Waage gesaust waren, wo sie stecken blieben.

Wenn wir genug vom Drachensteigen hatten, begann die Stoppelschlacht. Wir zogen eine Handvoll der abgeschnittenen Getreidehalme aus dem Boden und bewarfen einander mit den Geschossen, an denen je ein dicker Erdklumpen klebte; die Drachen bildeten unsere Schutzschilde. Wenn alle Drachen zerstört waren, warfen wir sie in das Kartoffelfeuer, das die Frauen auf dem Acker entzündet hatten, aßen heiße, verkohlte Kartoffeln und fuhren wieder nach Hause. Nur die wertvollen Drachenschnüre nahmen wir mit.

 

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