Eisblumen

Wenn es im Winter sehr kalt wurde, wuchsen Eisblumen an unseren Fenstern. Sie wucherten zunächst an den beiden Schlafzimmerfenstern, wo wir nicht geheizt hatten und ich abends immer mit einer Wärmflasche ins Bett gesteckt wurde. Da konnte ich morgens, wenn ich aufwachte, kleine Dampfwolken aus dem Mund blasen.

Aber auch in der Küche, wo der eiserne Ofen bullerte, nachdem meine Oma ihn mit Brikettstücken gefüttert hatte, wuchsen an den Fensterscheiben Eisblumen, die in allen Regenbogenfarben schillerten, wenn die Morgensonne hindurch schien.

Kam meine musikvernarrte Großtante zu Besuch, setzte sie sich ans Klavier und sang mir mit viel Pathos ein Lied von Robert Schumann vor:

 

Der Himmel wölbt sich rein und blau,

Der Reif stellt Blumen aus zur Schau.

Am Fenster prangt ein flimmernder Flor,

Ein Jüngling steht, ihn betrachtend, davor,

Und hinter den Blumen blühet noch gar

Ein blaues, ein lächelndes Augenpaar,

Märzveilchen, wie jener noch keine gesehn.

Der Reif wird, angehaucht, zergehn.

Eisblumen fangen zu schmelzen an,

Und Gott sei gnädig dem jungen Mann.

 

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