Briefmarken

Mein Opa kam an einem langweiligen Winternachmittag mit einem Pappkarton ins Wohnzimmer, stellte ihn auf den Tisch und rief mich heran. Er öffnete den Deckel, der aus grobem grauem Papier gefertigt war, und packte aus. Zunächst fischte er zwei oder drei Bücher heraus, die Gebrauchsspuren aufwiesen und die er „alte Briefmarkenalben“ nannte. Dann tauchten Bündel von Briefen auf, die alle mit bunten Marken beklebt waren und er warf eine Pinzette neben den Karton, legte einen Packen Löschpapier daneben und zeigte auf eine kräftige Metallklammer, die zwei Pressspantafeln im Format 15 mal 15 cm festhielten: „Das ist eine Trockenvorrichtung.“ Er holte aus einer Tüte ein Vordruckalbum „Briefmarken aus aller Welt“ hervor und einige Bündel Klebepfalze, die er im Wäscheschrank aufbewahrte.

„Wir wollen eine Briefmarkensammlung anlegen“, erklärte er mir. Er habe seine große Sammlung von altdeutschen Staaten und den Deutschen Kolonien zwar 1924 verkauft, es seien aber noch ein paar Marken zurück geblieben und die wolle er nun mit mir zu einer neuen Sammlung ausbauen.

Das Album blätterte er zunächst durch und zeigte mir, wie es aufgebaut war. Ich sah die Seiten mit den Vordrucken für Deutschland, dann folgten andere Länder von Argentinien bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika.

Wir begannen, die Marken aus den beiden Alben zu sortieren und ich lernte, deutsche Marken von ausländischen zu unterscheiden. Dazu musste ich die Pinzette benutzen, denn eine Briefmarke, betonte mein Opa, dürfe man nie mit bloßer Hand anfassen, weil sie sonst kaputt gehen könnte. Dann zeigte er mir, wie man Marken mit einem Pfalz in ein Album einklebt.

Später lernte ich, Marken von Briefen abzulösen; dazu schnitt ich die Marke aus dem Umschlag aus, legte die Schnipsel in eine Schüssel mit lauwarmen Wasser und wartete, bis sie sich lösten und im Wasser schwammen. Dann fischte ich sie mit der Pinzette heraus, ließ sie abtropfen und legte sie auf ein Löschblatt. War das Blatt voll, legte ich ein zweites Löschblatt darauf. Dann kamen die Blätter in die Presse, wo sie über Nacht trockneten und am nächsten Tag in das Album wandern konnten. Doppelte Marken steckte ich in ein kleines Album mit durchsichtigen Cellophanstreifen.

Mein Opa gab mir einen Weltatlas, damit ich die Länder bestimmen konnte, von denen wir Marken besaßen. Er holte auch seinen historischen Atlas hervor, weil es in unserer Sammlung Marken von Ländern gab, die nicht mehr existierten. So lernte ich die Staaten der Welt kennen und konnte bald alle Marken identifizieren.

 

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