Weltuntergang

Einmal ging ich ganz alleine die Straße entlang. Ich wunderte mich, dass niemand zu sehen war; die Häuserzeilen warfen regungslos ihre langen Schatten im Schein der untergehenden Sonne, und kein Vogel flog mehr wie sonst um diese Zeit. Ich hatte mich dem Knochenpark genähert und hörte die Glocke der Kirchturmuhr schlagen. Vom Osten her drängte sich ein unheimliches Krachen heran, ein Jaulen und Heulen, das immer mehr anschwoll. Ich glaubte, am Himmel einen Drachen zu erkennen, dann aber quirlten die Erscheinungen wild durcheinander und ließen Pferde, Reiter und jaulende Hund erahnen.

Vor einem  rostigen Eisengitter, das ein altes Grab einfasste, hockte knurrend ein grausiger Hund, der von jener wilden Meute herab gesprungen schien, starrte mich mit feurigen Augen an und kläffte mit blecherner Stimme. Dann duckte er sich und verschwand urplötzlich im Boden. Ich erkannte beim Näher kommen, dass sich am Fuße des Gitters eine Öffnung aufgetan hatte, aus der milchiges Licht hervorquoll.

Von einem unbegreiflichen Drang bestimmt stieg ich die glatten Stufen hinab, die mich in ein niedriges Gewölbe führten, das keine erkennbaren Lichtquellen aufwies, das aber dennoch genügend Helligkeit absonderte, damit ich mich zurechtfinden konnte. Als ich die letzten Stufen herabgestiegen war, befand ich mich in einem düsteren, turmartigen Gelass, von dem ein langer Gang in eine unbestimmte Ferne führte. Dort schien es heller zu werden, und dorthin lenkte ich meine Schritte, da ich den Hund hatte dort hindurch jagen sehen. Der Gang öffnete sich plötzlich in eine weite Halle, deren hohes Deckengewölbe wegen der unter ihm schwebenden Rauchschwaden nicht zu erkennen war. Vor der Fenstergalerie der hinteren Seitenwand hatte sich ein Spalt aufgetan, der in einen bodenlosen Abgrund stürzte und aus dem grelle Flammen aufloderten. Der Hund ließ sich unter Jaulen in die unergründliche Tiefe fallen, aus der faulige Gerüche heraufdrangen.

Da stellte ich mit einer gewissen Erleichterung fest, dass ich keinen Zwang mehr spürte, dem Untier weiter zu folgen und blickte mich neugierig um. Zur Seite hin führten Öffnungen unter Arkaden aus der Halle hinaus, die nicht durch Tore verschlossen waren; dorthin wandte ich mich und trat in einen neuen Saal, durch dessen Fenster ein seltsamer Schein drang. Meine forschenden Blicke vermochten die Tiefe des Saales und die durch seine weit geöffneten Durchgänge schimmernden Hallen nicht zu ergründen; aus der Ferne vernahm ich unheimliche Geräusche, die wellenförmig heran drangen und aus größerer Tiefe zu kommen schienen. Das war ein Stampfen und Schlagen, bald auch ein Brüllen und Kreischen und alles wob undeutlich durcheinander.

Eine dumpfe Furcht vor einem Erdbeben trieb mich denselben Weg zurück, den ich gekommen war. Nach wenigen Minuten bereits war ich die Treppe hinaufgestürzt und stand bebend neben dem rostigen Gitter. Die Dämmerung war mittlerweile hereingebrochen; ein Blick an den Himmel zeigte, dass ein Gewitter heraufgezogen war. Schwarze Wolkentürme hoben sich vom stumpfen Blau des Himmels ab, der nach Süden zu in beinahe schwarze, unendliche Tiefen zurücktrat. Überall ragten exzentrische Türme in den nächtlichen Himmel, an dem keine Sterne zu sehen waren, und standen wie drohende Male vor dem ungewissen Schein des Verderbens.

Zur Seite konnte ich weit in eine Ebene hinausblicken, und vom Horizont her leuchtete ein flackernder roter Schein herüber, aber große Mauermassen versperrten mir die Sicht nach vorn, dahin, woher ich gekommen zu sein glaubte, aber ich meinte, das dumpfe Krachen einstürzender Häuser und ein vielstimmiges Wehgeschrei zu vernehmen.

Eine entsetzliche Angst überkam mich, der Hund könnte wiederkommen, könnte für einen Augenblick still verharren, dann seinen stieren Blick in die Ferne richten, könnte sein Opfer wittern, sich in Bewegung setzen, schleichend zunächst, dann kräftiger mit den Läufen ausholend, könnte mich hetzen, könnte mich niederwerfen, sich mit seinen schaumtriefenden Lefzen über mich Schreienden beugen und mich zerfleischen. Aber ich wachte auf und lag sicher in meinem Bett.

 

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