Power Point

An einem ganz normalen Herbsttag fand in einer historisch bedeutsamen Stadt des nördlichsten deutschen Kulturraums die Versammlung des Landes-Museumsverbandes statt. Damen und Herren von mehr als siebzig staatlichen und privaten Museen hatten sich turnusmäßig versammelt und saßen in breiter Front dem Rednerpult gegenüber, hinter dem sich eine hochgezogene Leinwand in blütenweißer Unschuld präsentierte.

Der Vorsitzende, ein Endfünfziger mit ondulierten Haaren, die er mit gekonnter Routine über die bereits tief einschneidenden Haarlücken seines eiförmigen Oberkopfes ausgebreitet hatte, sprach einige verbindliche Begrüßungsworte und erwies dabei auch den angereisten Honoratioren aus dem Kultusministerium die notwendigen Honneurs, dann stellte er die erste Referentin des Tages vor, eine Kulturhistorikerin vom Deutsche Museum aus München.

Die attraktive junge Dame trat selbstbewusst auf und referierte über ich weiß nicht mehr was, aber sie tat das sehr professionell und begleitete ihre Ausführungen mit Projektionen aus ihrem Laptop, der über einen Video-Beamer für alle gut sichtbar eine Reihe von Texttafeln auf die große Leinwand projizierte.

Der Vortrag begann und wurde mit dem üblichen höflichen Interesse der Fachkollegen aufgenommen; die mediale Aufbereitung zeigte Begriffe und Definitionen, beschrieb Strukturen und belegte Erfahrungen mit umfangreichen statistischen Materialien. Nach einer halben Stunde kam die Referentin zum einem konkreten Beispiel, das sie aus ihrer Museumsarbeit gewonnen und den Kollegen mit deutlichem Nachdruck zu erläutern versuchte. Da die Aufmerksamkeit der Zuhörer höflich-distanziert blieb, ja sich bereits Vorzeichen einer beginnenden Unruhe andeuteten, löste sich die Referentin von ihrem Pult, das ihr bisher wie eine Bastion eine gewisse Sicherheit vor möglichen Reaktionen ihrer Zuhörer geboten hatte, und trat ein paar Schritte nach vorn, um nun frei vom Vortragskonzept ihre Gedanken zu erläutern. Das wurde von den Zuhörern zunächst auch dankbar angenommen; akustischen und optische Signale zeigten ihr eine gewisse achtungsvolle Bereitschaft, sich auf das Dargestellte intensiver einzulassen, als es zuvor bei der doch recht schematischen und äußerlich bleibenden Präsentation durch das Medium Computer möglich gewesen war. Aber die Bereitschaft wich bald höflicher Distanz, weil das Vorgetragene den meisten Zuhörern wohl recht abgehoben erschien und mit dem unangenehmen Duktus des Besserwissens vermittelt wurde. Ich muss gestehen, dass mich in dieser Phase des Vortrags die Selbstdarstellung der Referentin mehr interessierte als das Thema, über das sie redete. Und da kein Pult mehr zwischen uns und ihr den Blick behinderte, schaute ich nicht nur auf die modischen Accessoires, sondern versuchte, die Natur zu ergründen, die sich dahinter verbarg.

Da geschah es. Das Computerprogramm – von seiner Meisterin allein gelassen – schaltete das aktuelle Blatt der Präsentation ab und ließ nun dem Bildschirmschoner freien Lauf. Die erstaunten Zuhörer und alle, die nun allmählich aus ihren Tagträumen erwachten, sahen zunächst eine üppig grüne Mittelmeerlandschaft, dann Lagunen und Palmen vor Hotelkulissen; im Hintergrund flache Berge und davor das blaue Meer. Das waren offenbar private Urlaubsfotos der letzten Mittelmeerreise. Niemand wies die Referentin auf diese Panne hin; alle guckten aufmerksam nach vorn. Sie aber nahm diese erhöhte Aufmerksamkeit als Zeichen der Bestätigung auf und glaubte, die Bedeutung des gerade Vorgetragenen werde nun besonders genau begriffen. Und dieses Hochgefühl des vermeintlichen Erfolgs veranlasste sie  zu einem noch intensiverer Duktus ihres Vortrags. Das Publikum spielte nun gerne mit, war nach dem ersten Bildwechsel gespannt, was als Nächstes zu sehen sein würde und was danach. Die Landschaft, der Urlaubsort - war es die französische Riviera, war es Mallorca oder die Türkei? Und dann kamen Menschen ins Bild; Menschen im Urlaub, entspannt lächelnd, miteinander essend und flirtend und dann schließlich die Referentin selber, im knappen Bikini, der ihre Formen aufs Vorteilhafteste betonte. Sie ging am Strand spazieren, wagte sich ins kühle Nass, präsentierte zunächst ihre nassen Haare, den neckischen Po, ihre vollen Brüste und konnte schließlich in enger Verschlingung mit einem gut gewachsenen Mann in knappen Badeshorts bewundert werden, der trotz der vielen Menschen um sie herum schon fast ganz von ihr Besitz ergriffen hatte.

Und die Zuhörer? Keine räusperte sich, niemand wies die Referentin auf das Malheur hin. Alles schien mit großer Konzentration ihrem Vortrag zuzuhören und einige Kollegen signalisierten der attraktiven Dame ihre aufrichtige Teilnahme an dem, was sie gerade wahrgenommen hatten. Dies nahm sie ihrerseits dankbar an und übersah dabei manchen ironischen Seitenblick, den sogar einige ihrer Geschlechtsgenossinnen schelmisch erwiderten.

 

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