Startschuss für Hochhaus auf Helgoland

 

 

 

Entwurf: Architekturbüro Barkow Leibinger, Berlin

 

Der Startschuss für den Bau des Hummerklippen-Towers ist gefallen. Seit Juli laufen die Tiefbauarbeiten auf der Insel Helgoland auf Hochtouren. 40 der insgesamt 52 Bohrpfähle wurden 30 Meter tief in den Boden eingelassen. Darauf wird im Januar die 3,60 Meter dicke Bodenplatte gegossen. Diese Kombinierte Pfahl-Plattengründung (KPP) bildet das sichere Fundament, auf dem der Tower – zukünftig Deutschlands höchstes Hotel – stehen wird.

 

 

Baustelle am Nordwestende der Hauptinsel. Foto: M. Relotius

 

Helgoland ist eine Insel im Bereich der Deutschen Bucht der Nordsee. Die ursprünglich größere Insel zerbrach in der Neujahrsflut 1721; seitdem existiert die als Düne bezeichnete Nebeninsel. Die Gemeinde Helgoland zählt 1253 Einwohner (31. Dezember 2022).

Gemessen vom östlichen Ufer der Hauptinsel bis zur Westküste des schleswig-holsteinischen Festlands bei Sankt Peter-Ording ist Helgoland 48,5 km vom Festland entfernt.

Wegen seiner Lage auf offener See wird Helgoland häufig als „einzige Hochseeinsel Deutschlands“ bezeichnet. Doch weder im geografischen noch im rechtlichen Sinn liegt die Insel im Bereich der Hohen See. Die Insel zählt zusammen mit der gesamten Deutschen Bucht zum Schelf (Festlandsockel) und damit (im Gegensatz etwa zu Madeira im Atlantik) nicht zum Tiefseebereich auf hoher See.

 

Luftbild von Helgoland 2022, Carsten Steger

 

Die Hauptinsel gliedert sich in fünf Gebiete: Oberland, Mittelland und Unterland sowie, im 20. Jahrhundert durch Aufschüttung entstanden, Nordostland und Südhafen. Das Unterland mit dem Hafen befindet sich im Osten und Süden der Insel, das Oberland im Norden und Westen, das kleinere Mittelland im Südwesten.

Die Insel besitzt im Süden neben der Landungsbrücke einen kleinen Sand-Badestrand und fällt im Norden, Westen und Südwesten in steilen Klippen etwa 50 m zum Meer hin ab, das im südwestlich gelegenen Helgoländer Becken bis zu 56 m tief ist. Der Sandstrand im Norden ist wegen der starken Strömung nicht zum Baden geeignet. Am Nordwestende der Hauptinsel befindet sich das bekannteste Wahrzeichen Helgolands, der 47 Meter hohe Brandungspfeiler Lange Anna.

 

Beginn der Bauarbeiten am Nordwestende. Foto: M. Relotius

 

Der Hummerklippen-Tower entsteht nach den Plänen des mehrfach international ausgezeichneten Berliner Architekturbüros Barkow Leibinger. Der Neubau stellt – bei aller Unterschiedlichkeit der Gebäude – nach Angaben des Bauherrn einen Bezug zur bestehenden Bebauung der Insel her und verbindet beide zu einer Einheit.

Sieben Jahre nach dem Gewinn des Wettbewerbs mussten, auch aufgrund der Corona-Pandemie, die Pläne noch einmal geändert werden. „Was wir im Zuge der Pandemie zusätzlich angepasst haben, sind die Zimmeranzahl und die unterschiedlichen Nutzungen im Turm. Neben den Hotelzimmern, Suiten und einem Executive Bereich wurden 90 Long-Stay Appartments eingeplant. Außerdem werden nun zwischen der 3. und 11. Etage Büroflächen realisiert. Das heißt, von den 45 Etagen des Turms sind jetzt acht Etagen exklusiv für eine Büronutzung vorgesehen“, so Regine Leibinger. Um die hierfür notwendige Deckenhöhe zu erreichen, mussten die Architekten ein Geschoss entfallen lassen und eine entsprechend leistungsfähigere Belüftung und Kühlung einplanen.

Der Name wurde angeregt durch das Buch: „Der Leuchtturm auf den Hummerklippen“ von James Krüss, dem auf Helgoland geborenenen erfindungsreichsten Kinderbuchautoren unserer Zeit.

Bei der Fassade verwenden Barkow Leibinger vorgestellte Aluminiumfinnen vor der eigentlichen Außenhaut mit hohem Verglasungsanteil. Ein vergleichbares Prinzip haben sie bereits beim Projekt Monnet 4 in der Berliner Europacity und anderen Projekten verwendet, um der Gebäudehülle räumliche Tiefe zu verleihen. Die industriell vorgefertigten Finnen haben unterschiedliche Funktionen: Sie sorgen nach außen für ein dynamisches Erscheinungsbild und binden die unterschiedlichen Gebäude visuell zu einem Ensemble zusammen – aber sie dienen auch dem Sonnen-, Blitz- und Vogelschutz sowie als Ankerpunkte für die Fassadenbefahranlage.

 

Regine Leibinger und Frank Barkow

 

Rund 25 Gewerke werden an der Fertigstellung des Bauvorhabens beteiligt sein. Angefangen vom Spezialtiefbau, über den Rohbau, die Innenausbaugewerke wie Estrich, Trockenbau, Bodenbelagsarbeiten, Maler- und Fliesenarbeiten, die haustechnischen Gewerke bis hin zur Feinreinigung. Für einen Teil der Arbeiter der ausführenden Firmen wird auf dem Projektgrundstück „ein kleines Containerdorf entstehen“, so Projektleiter Christian  von Eiderstedt.

Als weiteren Schwerpunkt der Projektleitung sieht er neben der Terminkontrolle und Qualitätsüberwachung auch die Kostenkontrolle. Baukosten seien im letzten Jahr stark angestiegen, insbesondere die Materialpreise. Dazu kommen Engpässe in deren Lieferung. Seine Projektleitung ziele darauf ab, strategisch geschickte Vergaben von Bauleistungen zu realisieren, „um Synergien und Preisvorteile zu erreichen“. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Projektleitung bezeichnet der 50-jährige Schleswig-Holsteiner „die fachliche Kompetenz der Planungs- und Baubeteiligten sowie Kolleginnen und Kollegen mit einem umfangreichen Erfahrungsschatz bei Großbauvorhaben nutzen zu können“.

 

Projektleiter Christian von Eiderstedt

 

Farblich wird das Gebäude marmoriert mattsilbern leuchten. „Mit seiner Höhe von 176 Metern ist das Gebäude ein Solitär. Wir sind sicher, es wird eine architektonische Ikone inmitten der Nordsee“, so der gebürtige Amerikaner Frank Barkow. Als architektonische Herangehensweise haben sich die beiden Architekten an einem Kinderspiel orientiert: Tangram. Dabei entstehen durch zwei große, ein mittelgroßes und zwei kleine Dreiecke sowie ein Quadrat und ein Parallelogramm hunderte geometrische Formen. Für den Hummerklippen-Tower schaffen Barkow Leibinger mit einem Mix aus polygonen Formen ein organisches Ensemble im Dialog mit dem Bestand.

 

 

So wird der Hummerklippen-Tower nach seiner Fertigstellung die Felseninsel überragen. Fotomontage: Barkow Leibinger, Berlin

 

Auf 176 Meter Höhe soll der Mixed-use-Tower in den nächsten zwei Jahren anwachsen und ein Tor an der Schnittstelle unterer und oberer Stadt bilden. Er soll eine Mischung aus Hotel, Serviced Apartments, Büros und kreativen Flächen bieten. Herzstück ist das lichtdurchflutete, begrünte öffentliche Atrium, in dem neben lokaler Bäckerei ein Fischgeschäft, eine Galerie und ein Inkubator für Start-ups vorgesehen sind. Damit wird der persönliche Austausch zwischen Besuchern und Bewohnern des Projekts ins Zentrum gestellt.

Auf den insgesamt 45 Etagen des Towers entstehen neben 525 Hotelzimmern und Serviced Apartments 9.000 Quadratmeter Büro- und Co-Workingfläche.

 

Foto: Tower-AG Helgoland / Barkow Leibinger

 

In der 41. und 42. Etage befinden sich zukünftig Meeting und Private Dining-Rooms, während in der 43. und 44. Etage ein „Farm to Table“-Restaurant und eine Skybar mit Außenterrasse einen Blick auf die Nordsee bieten. Diese oberen vier Etagen sind auch als flexible Eventfläche vorgesehen und bieten die höchstgelegene Eventlocation Deutschlands.

Zusätzlich ist eine Etage für Wellness und Fitness geplant, die für alle Bewohner der Insel zugänglich ist. Abgerundet wird das Konzept durch einen 2000 Quadratmeter großen Veranstaltungsbereich im Sockel des Towers sowie eine öffentlich zugängliche Park und Recreation Area am Ufer nahe der Langen Anna.

Für den Innenausbau werden regionale Hölzer und recycelte Materialien verwendet. Die Stellflächen des Parkhauses sind für Fahrräder vorgesehen, und auf dem Außengelände bieten Wildblumenwiesen Biotope zum Schutz der Artenvielfalt. Das Bauwerk selbst strebt die Zertifizierung mit LEED Gold (Leadership in Energy and Environmental Design) an.

 

Und wie kommt das Projekt bei den Insulanern an? Sowieso: In den letzten Jahren ist Helgoland deutlich internationaler geworden. Jeder siebte Helgoländer hat inzwischen einen ausländischen Pass. Viele der neuen Insulaner arbeiten im Tourismus.

Bettina Köhn ist Meeresbiologin. Vor mehr als 40 Jahren zog sie von Hamburg nach Helgoland. Heute betreibt sie eine kleine Ferienpension und unterrichtet an der Insel-Gemeinschaftsschule Halunder – das vom Aussterben bedrohte helgoländische Friesisch. Die 63-jährige sagt mit Blick auf die Baumaßnahmen: „Wir gucken uns das in Ruhe an und lassen den Investor gewähren. Und wenn das okay ist oder so, egal, wie schräg der ist, dann hat er hier ‚n gutes Leben. Wir tolerieren viel.“

Auch Inselbürgermeister Thorsten Pollmann, zugleich Tourismusdirektor, sieht den Wandel der Insel positiv. „Wir müssen uns entwickeln“, sagt er. Andererseits vermisst er bei den Zugezogenen das Traditionsbewusstsein für die Insel. „Dass wir mehr unsere Eigenheiten auch behalten. Nicht Eigenheiten im schlechten Sinne, sondern unsere speziellen Sachen. Das fehlt mir so ‚n bisschen. Oder ich bin traurig, dass es verloren geht so nach und nach, weil's keiner mehr weiß…“