Rungholt soll wiedererstehen

 

Ein Mega-Projekt im Wattenmeer vor Husum

 

 

Luftaufnahme der Nordspitze von Pellworm mit umgebendem Wattenmeer. Die Insel ist ein Überrest der einstigen Insel Strand, auf der Rungholt lag.

 

Im Jahr 1362 vernichtete eine gewaltige Sturmflut die nordfriesische Küste. Viele Ortschaften versanken im Meer, darunter auch jene Stadt, die in den folgenden Jahrhunderten zur Legende wurde: Rungholt. Reich und prunkvoll sei der Handelshafen auf der einstigen Insel Strand gewesen, seine Bewohner hätten ein lasterhaftes Leben geführt und sogar ihren Pfarrer verhöhnt. Zur Strafe habe Gott die Flut gesandt und Rungholt mit allen Einwohnern untergehen lassen.

 

Eine Rekonstruktion der Karte von Rungholt aus dem Jahr 1652 von dem Kartographen Johannes Mejer. Grundlagen für die Rekonstruktion waren alte Kirchenlisten. Trotz großer Ungenauigkeiten lässt die Karte die ungeheuren Landverluste in Bereichen der norddeutschen Küstengebiete erahnen.

 

Bei ruhigem Wasser könne man noch heute die Glocken von Rungholts Kirche unter dem Meer läuten hören.

 

Alle 7 Jahre soll Rungholt in der Johannisnacht unversehrt wiederauftauchen. Die Sage erzählt auch: Erst wenn ein Johanniskind zu Vollmond am Sonntag auf der Stelle der alten Stadt steht, dann wird Rungholt wiedererstehen.

 

 

Die Kirche Rungholts, die Fachleute nun bei geophysikalischen Untersuchungen im Nordfriesischen Wattenmeer gefunden. Mit Hilfe von Magnetometern, Leitfähigkeitsmessungen und seismischen Untersuchungen kartierten die Fachleute auf einer Fläche von insgesamt zehn Quadratkilometern Strukturen unter der Oberfläche des Watts. Dabei fand das Team der Universitäten von Kiel und Mainz, des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) und des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein insgesamt 54 mittelalterliche Warften – mehrere Meter hohe künstliche Hügel, die Gebäuden Schutz vor Hochwasser bieten sollten

 

   

Fotos: Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein

 

Auf einer dieser Warften entdeckte das Team die Fundamente eines 40 mal 15 Meter großen Gebäudes, dessen Grundriss nach Angaben der Fachleute zweifelsfrei als Kirche zu identifizieren ist. Die Kirchwarft ist Teil einer zwei Kilometer langen Kette aus Warften. Neben den Warften liegen im Untersuchungsgebiet Entwässerungssysteme, ein Hafen und zwei weitere kleine Kirchen. Die gefundene Siedlung sei so groß, dass sie eine übergeordnete Funktion gehabt haben müsse, heißt es in einer Pressemitteilung der Forschungskooperation.

 

 

Die alte Prophezeiung vom Wiedererstehen Rungholts wird Wirklichkeit

 

Die vor 560 Jahren versunkene Siedlung wird nun wieder aufgebaut. Dazu hat der Landesbetrieb für Küstenschutz des Landes Schleswig-Holstein damit begonnen, 47,5 Millionen Kubikmeter Sand mit Kosten in Höhe von rund 212 Millionen Euro vorzuspülen. Das entspricht in etwa der fünffachen Größe der Hallig Hooge mit ihren 13 Warften.

 

 

 

  

Sandvorspülung auf Rungholt; Fotos: Landesbetrieb für Küstenschutz des Landes Schleswig-Holstein

 

Die neue Rungholt-Hallig wird ein rund 1,20 Meter hohen Steindeich umgeben, sodass sie vor Überflutung durch leichtere Sturmfluten geschützt ist. Dennoch wird die Hallig durchschnittlich zwei- bis sechsmal jährlich von Landunter betroffen, mit steigender Tendenz. Der über 35 Kilometer lange Sommerdeich wird mit zehn Deichsielen versehen, Tore zur Entwässerung der Hallig, die sich bei Sturmfluten selbsttätig öffnen und schließen sollen. Öffnen Sie sich nicht, steht die Hallig nach einer Überflutung tagelang unter Wasser. Diese Deichsiele bedürfen regelmäßiger Pflege, die durch das auf Rungholt lebende Personal des Amtes für Land- und Wasserwirtschaft gewährleistet werden muss.

Kosten von 1,6 Milliarden Euro werden zu 30% vom Land Schleswig-Holstein und zu 50% von der Bundesregierung getragen. Anders als von der schleswig-holsteinischen Landesregierung zunächst befürchtet, wird die Europäische Union nun doch die fehlenden 20% zahlen. Das haben am Freitag das Europäische Parlament, die EU-Kommission und der Ministerrat am letzten Tag ihrer Verhandlungen über den Agraretat für die Jahre 2023 bis 2027 beschlossen. Damit kann Schleswig-Holstein nun auch für die vorgesehenen Wiederaufbau Rungholts mit den bereits eingeplanten 320 Millionen Euro aus Brüssel rechnen.

 

Ministerpräsident Daniel Günther begrüßte die Entscheidung aus Brüssel. „Ich bin erfreut, dass unsere Bemühungen Erfolg gehabt haben“, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Geplant für den Wiederaufbau sind ca. 40 Warften. Die Rekonstruktion der Kirchwarft wurde bereits erfolgreich abgeschlossen. Die Kirche wurde nach dem Vorbild der alten Kirche auf Pellworm wiederaufgebaut; nur hat der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein statt des Kirchturms einen Leuchtturm errichten lassen, um die Schifffahrt von und nach Husum zu sichern.

 

Die bereits fertig gestellte Kirchenwarft von Rungholt; Foto: M. Relotius

 

Die Kirche selbst soll demnächst als Simultankirche geweiht werden und auch für Muslime genutzt werden dürfen.

Dazu sagte Gothart Magaard, Bischof der Nordkirche im Sprengel Schleswig und Holstein: „Der Islam gehört zu Deutschland, denn die Landesregierung plant, auf einigen der neuen Warften Aufnahmelager für Flüchtlinge aus islamischen Ländern einzurichten.“

Auf Nachfrage erklärte der Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein, Torsten Döhring: „Wir haben der Bundesregierung angeboten, auf zehn der neuen Warften Aufnahmelager für Geflüchtete einzurichten. Voraussetzung ist eine angemessene Beteiligung des Bundes. So könnten bis zu 5000 Asylsuchende aufgenommen werden.“

Auf der Schulwarft soll eine Gesamtschule entstehen, in der auch Deutschkurse für die Migranten angeboten werden. Auch Plattdeutsch soll hier unterrichtete werden. Für die schnelle Integration ist außerdem geplant, arbeitswillige Migranten bei Küstenschutzaufgaben einzusetzen.

 

 

Die Bebauung der neuen Warften erfolgt nach Plänen von Dr. Matthias Toplak, dem neuen Direktor des Wikinger Museum Haithabu. „Die Entwürfe von Herrn Toplak haben uns mehr als überzeugt“, sagte der Wissenschaftliche Vorstand der Landesmuseen, Prof. Claus von Carnap-Bornheim. Toplak habe bei einem der wichtigsten Archäologen für Ur- und Frühgeschichte und das Mittelalter promoviert und verstehe sich gleichzeitig seit vielen Jahren hervorragend in der Inhaltsvermittlung der Rungholtgeschichte. Toplak ist den Angaben zufolge darüber hinaus ein gefragter Berater zur Rekonstruktion Spätmittelalterlicher Bauten.

 

Pläne für die Rekonstruktion der Warften auf der Hallig Rungholt; Foto: Wikinger Museum Haithabu

 

Der Personenverkehr zur Rungholt-Hallig wird von Pferdefuhrwerken übernommen, die bei Ebbe zwischen der neuen Hallig und Fuhlehörn auf der Insel Nordstand pendeln werden. Die Kutschen werden von Holger Hansen gestellt, der bereits seit Jahren Fahrten mit den Wattenkutschern zur Hallig Südfall anbietet.

 

  

 

Baumaterialien sowie Lebensmittel und Dinge für den täglichen Gebrauch werden per Schiff von Husum aus zum neuen Anleger der Hallig geliefert. Dazu soll die 2022 für 1,3 Millionen Euro erworbene „Rungholt“ eingesetzt werden, die die Neue Pellwormer Dampfschifffahrtsgesellschaft bisher nur im Verkehr zwischen Pellworm und dem Festlandhafen Strucklahnungshörn auf Nordstrand verwendet hat. Im Husumer Hafen entsteht dazu ein Rungholt-Kai.

 

 

Husums neuer Bürgermeister Martin Kindl begrüßt das Projekt mit einem herzlichen „Moin“: „Ich freue mich, dass die neue ‚Rungholt‘ den Weg zu uns gefunden hat und nun eine Verbindung unserer Stadt am Meer zur neuen Rungholt-Hallig unterhalten wird. Husum ist bunt, eine offene und zukunftsorientierte Stadt mit einer langen Geschichte und den damit verbundenen Traditionen. Neues wird erschaffen und Altes bewahrt – für alle Generationen, für Einheimische und Gäste.“