Bilderbücher

 

Bilderbücher sind buchgestalterisch aufwändigere Produkte, komplexe Bild-Text-Medien, eine Art „Spezialkunst für Kinder“ (Tobias Kurwinkel). In einem fiktionalen Bilderbuch tritt zum Medium Text ein weiteres Medium hinzu, so dass die beiden zunächst getrennten Bedeutungsträger (Text und Bild) ein gemeinsames Handlungskontinuum bilden.

Ursprünglich wurde der Begriff für jedes Buch, das mit Illustrationen ausgestattet war, verwendet. Heutzutage versteht man darunter meist ein speziell für Kinder, die noch nicht lesen können oder sich im frühen Lesealter befinden, entworfenes Buch. Die Bilder nehmen darin eine führende Rolle ein, obgleich eine enge Wechselbeziehung zwischen Bild und Text besteht.

Als Vorläufer des Bilderbuches gelten die Lesefibeln, ABC-Bücher, Fabeln und Sachbücher. Die Fibeln und ABC-Bücher gewannen ab dem 16. Jahrhundert an Stellenwert, da sie den Kindern das Alphabet auf anschauliche Weise näher brachten, indem den einzelnen Buchstaben entsprechende Illustrationen von Tieren, Menschen und Gegenständen zugeordnet waren.

Im Jahre 1845 erschien der vom Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann geschaffene Struwwelpeter, das erste Bilderbuch, das sich gezielt an Kleinkinder wandte. Einen ähnlichen Erfolg hatten die Bildergeschichten von Wilhelm Busch von Max und Moritz (1865).

Um die Jahrhundertwende wurden deutsche Bilderbücher durch die Einflüsse des Jugendstils und der Kunsterziehungsbewegung geprägt. Die Kunsterziehungsbewegung brachte ein verändertes Kindheitsbild mit neuen pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen, welche in die Arbeit der Bilderbuchkünstler mit einfloss.

Ein zentraler Aspekt in der Auseinandersetzung mit Bilderbüchern spielte (und spielt) der Begriff der „Kindgemäßheit“. Anfang des 20. Jh. bestimmte der Kunsthistoriker Konrad Lange kindgemäße Bilderbuchkunst: unter anderem deutliche Umrisse, ruhige Farben, nicht zu grelle Gegensätze, Primärfarben; nicht unterbrochene Formen, das Allgemeine und Typische; keine komplizierten perspektivischen Verkürzungen, sondern flächenhaft, dekorativer Stil; vereinfachte stilisierte Formen.

Das heutige Bilderbuch muss sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Themenbereiche und Stilrichtungen auseinandersetzen und ist in eine sich schnell entwickelnde und schnell ändernde Kultur durch Fernsehen, Film und Computer eingebunden. Dazu gehört auch, dass immer mehr Erwachsene das Bilderbuch für sich entdecken und der Markt entsprechend darauf reagiert. Zunehmend werden Bilderbücher in Bezug auf Format, Ausstattung, Umfang und Thema komplexer und anspruchsvoller gestaltet. Immer häufiger kommt es auch zu internationalen Koproduktionen größerer Verlage, die das Angebot an künstlerisch wertvollen sowie trivialen Bilderbüchern bereichern.

Unter Verwendung von Wikipedia

 

Zur Illustrationsszene merkt Jens Thiele im Jahre 2001 an:

In den vier Jahrzehnten, die ihr Werk umspannt, haben sich Vorstellungen vom Bild, vom Illustrieren und von dem, was Kindgemäß ist, in z. T. turbulenten Wellen entwickelt. Es entstanden künstlerische und ideologische Positionen gegensätzlichster Art; Einflüsse des Films, des Fernsehens, der Bildenden Kunst und der Neuen Medien drangen ins Kinder- und Bilderbuch ein. Was heute ein Bilderbuch ist, ist nicht mehr nur mit einem Satz zu beantworten. Die alte Vorstellung, dass ein Bilderbuch lediglich aus zwei Buchdeckeln besteht, zwischen denen ein Text mit einigen kolorierten Federzeichnungen steckt, muss revidiert werden. Gerade die letzten zehn Jahre haben das Bilderbuch in neue ästhetische Kontexte gesetzt und es hinaus geführt aus seiner engen Tradition. Postmoderne Phänomene wie Entgrenzung und Durchmischung vormals sauber von einander getrennter Stile und Genres haben auch das Bilderbuch erreicht und es geöffnet für vielfältige Experimente. Damit hat sich auch das Verhältnis zwischen Bild und Text grundlegend verändert: Illustrationen haben nicht mehr primär dienende Funktion gegenüber einem Text, sondern können sich auch als eigenständige Erzählform behaupten. Es ist eine neue Generation von Zeichnern und Illustratoren herangewachsen, die sich auch nicht mehr um Traditionen schert, sondern ganz unbekümmert zwischen allen Stilen, Techniken und Genres arbeitet.

Auch der Illustrationsbegriff ist neu zu fassen. Wenn wir heute von Illustration sprechen, so gibt es darüber in der Tat keinen verbindlichen Konsens mehr. Vielmehr bestehen unterschiedliche stilistische Kategorien und Richtungen nebeneinander. In der Regel verstehen wir unter der Kinderbuchillustration noch immer etwas Unkompliziertes, Fröhliches, eine farbenfrohe Ergänzung zu erzählten Geschichten, mit verniedlichenden, karikaturhaften Tendenzen. Und die meisten Bilderbücher folgen diesem Stereotyp des Niedlichen auch heute noch. Ob Janosch, Erwin Moser oder Helme Heine – sie alle haben sich auf extrem künstliche Bilder eingelassen, in denen vermenschlichte Tierfiguren in Naturidyllen angesiedelt sind, Szenen letztlich, die thematisch wie bildnerisch eher ins 19. Jahrhundert passen würden als in das beginnende 21., weil sie so fern jeder künstlerischen Entwicklung der Moderne sind. Es scheint, dass dieser naive Bildstil die Sehnsucht nach einer freilich verklärten Kindheit in besonderer Weise befriedigt. Das wäre in der Skala heutiger Kinderbuchillustration eine Markierung, und wohl immer noch die markanteste. Daneben hat sich, als Folge einer zunehmenden Dominanz der Medienbilder, auch ein spürbarer Bildrealismus in die Illustrationen für Kinder eingeschlichen. Insbesondere seit den 80er Jahren fällt auf, dass Illustratoren häufig fotografische Abbilder als Grundlage ihrer Zeichnungen nehmen. Dieser realistische Bildstil geht oft einher mit dem Wunsch nach genauer Information über einen Gegenstand oder mit ernsten Themen, die sich nur schwer in triviale, unbekümmerte Bildformen fassen lassen, z.B. die Darstellung des Holocaust, kindliche Ängste oder Armut. Das Bilderbuch ist über den fotorealistischen Bildstil ernster, erwachsener geworden. Roberto Innocentis umstrittenes Bilderbuch „Rosa Weiss“ von 1984 mag dafür exemplarisch stehen. Die Kinderbuchillustration ist auch psychologischer geworden, indem sie Innenwelten der Kinder sichtbar macht. Dann zeigen sich drittens surrealistische Bildtendenzen, die die subjektive Sicht der aus den Fugen geratenen Kinderwelt besonders eindringlich aufzeigen können. Nicht zufällig werden dann Surrealisten wie René Magritte oder de Chirico zitiert oder nachempfunden. Wer in Anthony Brownes Bilderbücher schaut, entdeckt, welch enorme Aussagekraft surreale Bildentwürfe besitzen können, um in die kindliche Psyche zu blicken. Schließlich wäre der phantastische oder groteske Bildstil zu erwähnen, der sich aus einer langen Tradition der Karikatur, der Nonsensbücher und der phantastischen Kinderliteratur ableitet und sich bis heute lebendig zeigt, ein Bildstil, der das Absurde, Unmögliche, Groteske sichtbar macht und so notwendigerweise vertraute Wege der Illustration verlassen muss. Die Kinderbuchillustration ist auch in bezug auf Material und Bildtechnik komplexer und vielfältiger geworden. Durch Wolf Erlbruch etwa ist die Collage zu einem innovativen Moment in der Kinderbuchillustration geworden, es entstehen seit einigen Jahren digitale Bilder aus dem Computer, es haben sich neben dem grafischen Stil schon seit Jahrzehnten betont malerische Illustrationen von Lieselotte Schwarz bis Susanne Janssen. Bilderbücher sind heute auch von ihrer Konzeption und ihrer äußeren Erscheinung her oft aufwendig hergestellte kleine Kunstwerke, die man auffalten kann zum Leporello, die sich als Popup-Buch zur Papierplastik wandeln oder die besondere haptische Qualitäten besitzen, so z.B. die Bücher der tschechischen Künstlerin Kveta Pacovská.

Thiele, Jens (2001): Handwerk, Tradition und Bilderfindung: die visuelle Erzählkunst von Margret und Rolf Rettich. Braunschweig. Online unter: http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00001301.