Englische Münchhausiaden
Bis vor einigen Jahren ging die deutsche Münchhausen-Forschung davon aus, dass die Erweiterung des ursprünglichen Munchausen nicht von Raspe stammte, sondern von Lohnschreibern des Verlags. Heute gelten alle fünf Auflagen des Munchausen und die Sequel von 1792 als Werke Raspes.
In Werner R. Schweizers Buch aus dem Jahre 1969 heißt es:
Für die Weiterentwicklung der englischen Münchhausiaden ist sehr bedeutsam die siebente Auflage, das Sequel. Im Sequel reist Münchhausen nach Afrika, trifft die Sphinx, unterwirft über tausend Löwen, wird im Wirbelsturm im Sand begraben, wird Herr von Afrika, entdeckt die alexandrinische Bibliothek und baut eine einbogige Brücke nach England. Und wichtig ist sein Ritt auf dem Adler. Weitere Veränderungen bringt das Supplement von 1802, das den Aufstieg Münchhausens in den Hundestern erzählt. Auf einem Strahl dieses Sternes gleitet er dann nach China, lernt den dortigen Kaiser kennen und begleitet ihn in die Tartarei. Der englische Volksmünchhausen ist reicher als der deutsche. Vielleicht ist das ein Grund, warum er sich in den Nachdrucken weniger wandelt als der deutsche und weniger zu Originalschöpfungen anregt.
[…]
Vor allem sind es vier Werke, die eigenartige Weiterbildungen des Münchhausen-Stoffes enthalten und von denen jedes später origineller und witziger ist als der Vorgänger. Als erstes ist zu erwähnen Munchausen at Walcheren or a Continuation of the Renovned Baron's Surprising Travels ... written by himself, 1811. In der Form von allerlei Lügenabenteuern werden gewisse englische Politiker und Militärs wie Castlereigh, Canning und ihre planlose Politik sowie die Schläfrigkeit der Generale mit ihrer Expedition nach der Insel Walcheren im Jahre 1809 verspottet. Doch der Spott ist fade, verworren, humorlos, das Buch als Ganzes heute völlig ungenießbar. Weit besser steht es mit dem Werk Munchausen at the Pole, 1819. Münchhausens zahlreiche Lügenabenteuer führen zu einer Reise zum Nordpol und gipfeln in dieser Fahrt. Die Anregung dürfte zurückgehen auf C. I. Philipps Voyage towards the Northpole (1774). Dem anonymen Münchhausiaden-Verfasser fehlt es nicht an Humor. Auch nimmt er sich gelegentlich Zeit zu poetischen Landschaftsschilderungen, während die meisten Münchhausiaden-Dichter möglichst viele Abenteuer in atemloser Hast an den Leser bringen wollen. Münchhausens Kapitän ist Gulliver, womit schon auf einen Wesenszug dieser Abenteuer hingewiesen ist. Der Pol wird dargestellt als eine mächtige Erhöhung. Münchhausen besteigt sie und sieht, wie sich die Erde um ihre Achse dreht. Dieser Münchhausen hat enge Beziehungen zu Schottland, spottet neckisch über allerlei Schottisches und Schottland, wo er gezwungen ist, an Wochentagen crowdie zu essen und an Sonntagen sheepshead oder haggish. Auch die Mannschaft ist schottisch und als Schotten sind sie ziemlich immun gegen Kälte und Hunger. Auf der Meerfahrt begegnen sie Meerjungfrauen, meermaids und meermans, die auf einer Seeschlange reiten und den Dudelsack spielen, während die Seeschlange singt: Speed thee, Munchausen, speed the Pole,/ Heed not the Oceans turbulent roll. Auch dieser schottische Münchhausen vollführt große Taten in Frieden und Krieg, ist der Freund großer Männer, reist mehrere Male um die Erde und spricht achtundsechzig Sprachen.
Ein Eskimo-Dichter schreibt eine Ode auf den Kommodore Münchhausen von den Ufern Ostgrönlands:
Haste, Munchausen,
haste away,
Glorious scenes bevore, thee lay
Heed not frost, and dread of fire
plunge through ocean, mud and mire ...
Live thou shalt in every clime
Wherever may sound the march of time.
Immortal as thy heavenly sire
till time be lost und life expire ...
Und eine Stimme vom Himmel ruft ihm zu:
Lord of the lyons
dauntless heart,
on natures confines thou art
Explore! Explore! then speed to the Pole
Thou art of sciene the body and soul...
In solchen und anderen Versen
wird Münchhausen eine Apotheose zuteil, wie er sie kaum anderswo erlebte.
Schweizer1969, S. 65-69.
Drei der von Schweizer beschriebenen Münchhausiaden werden im Folgenden vorgestellt.
1802
1811
1819