M-h-s-nsche Geschichten

 

Anonymus

M–h–s–nsche Geschichten. In: Vade Mecum für lustige Leute, Theil 8 (1781), Nr. 175, S. 92-101 und Theil 9 (1783), Nr. 106, S. 76–79. Berlin: [August Mulius] 1781, 1783.

 

  

 

 

175.

M–h–s–nsche Geschichten.

Es lebt ein sehr witziger Kopf, Herr von M–h–s–n im H–schen, der eine eigne Art sinnreicher Geschichten aufgebracht hat, die nach seinem Namen benannt wird, obgleich nicht alle einzelne Geschichten von ihm sein mögen. Es sind Erzählungen voll der unglaublichsten Übertreibungen, dabei aber so komisch und launigt, dass man, ohne sich um die Möglichkeit zu bekümmern, von ganzem Herzen lachen muss; in ihrer Art wahre hogarthsche Karikaturen. Unsere Leser, denen aber vielleicht schon manche davon durch mündliche Überlieferung bekannt sind, sollen hier einige der vorzüglichsten davon finden. – Das Komische wird sehr erhöht, wenn der Erzähler alles als selbst gesehn oder selbst getan vorträgt. Also:

 

1) Ich hatte einst eine weite und unbequeme Reise im strengen Winter zu machen. Ich war zu Pferde, und eben nicht sehr warm gekleidet. Am Wege sah ich einen armen Kranken, der fast ganz nackt war; mein Herz blutete mir, ich warf ihm, trotz meines eignen Frostes, meinen Mantel hin. Und eine Stimme ließ sich vom Himmel hören: „M–n, M–n, daß soll dir, hol mich der Teufel, nicht unbelohnet bleiben!“

 

2) Ich ritt weiter, es ward Nacht, und noch war kein Dorf zu sehen. Alles war voll geschneit, und ich kannte den Weg nicht. Ich stieg also ab, fand einen kleinen spitzigen Pfahl, woran ich mein Pferd band, nahm meine Pistolen zu mir, legte mich nicht weit von meinem Pferde hin, und schlief ein, so fest dass ich erst des andern Morgens wieder erwachte. Mit großem Erstaunen fand ich mich itzt mitten in einem Dorfe, und zwar auf dem Kirchhofe; mein Pferd aber war nicht zu sehn. Endlich hör ich es wie in der Luft wiehern; ich blicke herauf, und sehe es oben am Kirchturm angebunden hängen. Nun konnt’ ich mir alles erklären: Gestern war das Dorf zugeschneit gewesen, die Nacht war alles aufgehaut; ich war im Schlaf, wie der Schnee weggesunken, immer unmerklich mit herabgekommen; und was ich für einen spitzen Pfahl gehalten, war die nur ein wenig aus dem Schnee hervorstehende Kirchturmsspitze gewesen, woran ich also mein Pferd gebunden hatte. – Ich nahm itzt meine Pistole, schoss den Halfter des Pferdes entzwei, wodurch es herunter auf die Erde fiel; und ritt weiter.

 

3) Nahe vor Petersburg nahm ich einen Schlitten. In den finnischen Wäldern sah ich einen entsetzlichen Wolf, der mir sehr hungrig schien, hinter mir hertraben; er holte mich leicht ein, und ich sah bald, daß ich ihm nicht entfliehn konnte. Ich legte mich also platt im Schlitten nieder, und ließ mein Pferd gerade aus laufen; es geschah, was ich vermutet und gehofft hatte: Das Untier setzte über meinen Kopf weg, gerade auf mein Pferd zu, und fing an, es von hinten aufzufressen. Ich richtete mich in meinem Schlitten auf, und sah diesem Gräuel zu. Endlich, wie der Wolf schon an der Brust des Pferdes war, und sich auf die Art in das Seilenzeug hineingefressen hatte, schlug ich mit aller Kraft die ich hatte, auf den Wolf mit der umgekehrten Peitsche zu; er erschrak, und sprang vorwärts; der Rest des Pferdes stürzte hin, der Wolf war in den Seilen, und konnte nicht zurück, ich peitschte immer stärker, er lief wie rasend fort, und so fuhr ich in Petersburg hinein.

 

4) Aus meinem Zimmer sah ich einmal eine Menge wilder Enten auf dem See. Schnell griff ich zu meiner in der Ecke stehenden Flinte, lief eilig heraus, aber so unvorsichtig, dass ich das Gesicht an den Türpfosten dermaßen stieß, dass mir das Feuer aus den Augen flog. Doch das hielt mich nicht ab, ich kam heraus; allein beim Aufspannen merkte ich, dass durch diesen Stoß auch der Stein vom Hahn abgefallen war. Was war zu tun? Ich erinnerte mich, was beim Stoße an den Türpfosten geschehen war; legte an, zielte, öffnete die Pfanne, und schlug nun mit geballter Faust ins Auge. Es flog abermal Feuer heraus, der Schuss gelang, und ich hatte 10 Enten.

 

5) Auf der Jagd in Russland stieß ich einst auf einen schönen schwarzen Fuchs, dessen Balg ich gern so unbeschädigt als möglich gehabt hätte. Er stand nah an einem Baum; ich lud also statt der Kugel einen spitzigen Nagel, und schoss, und traf so glücklich, dass ich seinen Schwanz an diesen Baum nagelte. Nun, wie er fest saß, lief ich auf ihn zu, machte mit meinem Jagdmesser ihm einen Kreuzschnitt auf der Stirne, nahm dann meine Peitsche zur Hand, und prügelte ihn so durch die Öffnung am Kopf zum Fell hinaus.

 

6) Auch begegnet’ ich einst zwei wilden Schweinen auf der Jagd, die dicht hinter einander gingen; ich schoss mit Fleiß mitten zwischen ihnen durch: und siehe! das vorderste lief fort, und das hinterste blieb stehen. Bey genauerer Untersuchung war dies eine alte blinde Sau, die den Schwanz des vorangehenden Schweines, ohne Zweifel ihres Jungen, in den Mund genommen, und sich so hatte leiten lassen; ich hatte den Schwanz abgeschossen, und die Sau hatte noch ein Endchen davon im Munde. Itzt da ihr Führer sie nicht mehr fortzog, stand sie still. Ich hatte gar nichts bey mir, um sie niederzumachen, nahm also das Restchen Schwanz, und zog sie so gemächlich in meinen Hof, wohin sie mir auch geduldig folgte.

 

7) Einmal auf der Jagd hatt’ ich mich an Schrot schon ganz verschossen; und da find ich noch einen stattlichen Hirschen, der so still mir gerade gegenüber steht, als wenn er meinen Mangel wüsste. Ich lade geschwinde mit Pulver, und setze eine Menge Kirschkerne, wovon ich schnell das Fleisch absauge, droben auf, und schieße den Hirschen gerade vor die Stirne. Er prellt zurück, aber entkömmt mir bald. Ein Jahr nachher geh’ ich im selben Walde, und da kömmt mir ein Hirsch entgegen, aus dessen Stirne ein Kirschbaum mit Blättern und schöner Blüte hervorsteht. Ich erkenne sogleich mein Eigentum; und diesmal entkam er mir nicht mehr.

 

8) Wie ich noch als Husarenoffizier diente, war ich eins Tages in einem hitzigen Treffen. Nach dessen Ende ritt ich nach einem Dorfe zu, und kam an einen kleinen Fluss. Ich wollte durchreiten, allein mein Pferd zeigte Lust zum Trinken, und ich ließ ihm seinen Willen. Nach langer Zeit, binnen welcher ich in Gedanken gewesen war, wollt ich weiter reiten, und sah mit Erstaunen den Fluss vor mir verschwunden. Ich sah auf ein Geräusch mich um, und fand das Wasser itzt hinter mir; und sah zugleich, dass mein Pferd in der Schlacht war mitten von einander geschossen worden, und dass itzt beim Saufen alles Wasser hinten wieder von ihm ausgeloffen war. Mein Pferd hatte seine Wunde in der Hitze selbst nicht gemerkt; ich kehrte nun schnell zurück, um es nicht ganz kalt werden zu lassen, und fand auch bald die andere dazu gehörige Hälfte. Junge Weidenbäume, die ich ausriss, halfen mir beide Teile gut zusammenfügen; einige Zweige davon verwuchsen mit dem Pferde, die andern schossen in die Höhe, und krümmten sich von selbst oben zusammen, und machten eine Laube, die mir beim Reiten hernach immer Bedeckung und Schatten gab. Das Pferd ist itzt gestorben.

 

9) Nie hatt ich einen bessern Windhund, als einen, der sehr alt bei mir ward, und eben nicht groß war. Er lief ganz bewundernswürdig, und zuletzt, weil ich ihn so sehr viel brauchte, lief er sich ordentlich die Beine weg, dass sie um ein gut Teil kürzer wurden. Seit der Zeit gebraucht’ ich ihn, wie Teckel (Dachshund), und hatt’ ihn so noch eine ganze Zeit.

 

10) Derselbe als er noch Windhund war, – es war eine Hündin – lief einst ganz allein hinter einen Hasen, der mir sehr groß vorkam. Mein armes Tier jammerte mich, weil es schwanger war; doch ließ sie nichts im Laufen nach. Ich folgte zu Pferde nur langsam. Plötzlich hör’ ich ein Geklaff, wie von mehrern Hunden, aber so fein und schwach, dass ich nicht weiß, was ich draus machen soll. Beim Näherreiten entdeck ich, dass der Hase auch ein schwangeres Weibchen gewesen ist, und im Laufen gesetzet hat; dasselbe ist meiner Hündin begegnet; es waren gerade gleich viel junge Hasen und junge Hunde geworfen. Der Instinkt lehrte jene laufen, und diese verfolgen; und wie ich herankam, hatt ich sechs Hasen von sechs Hunden gehalten.

 

11) Ich saß eines Nachmittags auf dem Gute des Herrn von ***, mit lauter Damen am Teetisch im Sale. Die Herren waren auf dem Hofe, um ein neues Pferd reiten zu sehen. Bald entstand draußen ein Lärm; ich lief hin, und fand das Pferd so unbändig, dass jeder den Hals zu brechen fürchtete, der sich ihm nur näherte, geschweige der drauf säße. Wie alle verzagten, war ich mit einem Satze dem Pferde auf den Rücken, und nun tummelte ichs so lange, bis ichs ganz müde und geschmeidig kriegte. Um dies völlig zu zeigen und um die Damen nicht herunter zu bemühen, setzte ich damit durchs offne Fenster in den Saal hinein, und wie es zahm genug war, und ich ihm Geschicklichkeit genug zutraute, ließ ichs an meinem leergelassenen Stuhl auf den Teetisch steigen, und ritt so vor allen Damen herum, wobei das Pferd so zierlich die Füße setzte, dass es auch nicht eine Tasse zerbrach.

 

12) Auf der Jagd hab’ ich immer die mehrsten sonderbaren Geschichten gehabt. Einst in Polen kam, wie ich mich schon ganz verschossen hatt, ein Bär mit aufgesperrtem Rachen auf mich zu; ich greife schnell in die Tasche, und finde nichts als ein paar große Feuersteine. Einen davon schleudere ich mit aller Kraft dem Tier in den offenen Schlund hinab; es empfindet Schmerz davon, wendet sich schnell um. Durch die sonderbare Gestalt des andern Feuersteines komm’ ich auf die Idee, diesen in die andre mir itzt zugewandte Öffnung des Bären zu schleudern; es gelingt mir; der keilförmige Stein geht herein und dringt weiter, und o Wunder! trifft jenen ersten Stein im Magen, schlägt mit ihm Feuer, und macht den Bären jämmerlich bei lebendigem Leibe verbrennen.

 

13) Ein andermal – immer als wenn die wildesten Tiere wüssten, wenn ich kein Schießgewehr hätte – springt ein schrecklicher Wolf auf mich zu. Er ist mir schon ganz nahe, und maschinenmäßig stoß ich meine Hand in seinen aufgesperrten Rachen, drucke nun meiner Sicherheit wegen immer tiefer hinein, und behalte so meinen Arm in seinem Leibe. In dieser Stellung war ich freilich sicher; aber wie nun loszukommen? Immer so zu stehn hatt ich nicht Lust; und zog ich den Arm heraus, so fiel das wütend gemachte Tier mich an. Kurz und gut entschloss ich mich; ich griff inwendig fest an ein Stück des Leibes, zog den Wolf um, wie einen Handschuh, und ließ ihn so liegen.

 

14) Von Russland ging ich weiter nach der Türkei. Durch mancherlei abenteuerliche Schicksale ward ich da gefangen, und zum Sklaven gemacht. Mein Amt war, in diesem an Natur und Sitten so sehr von uns verschiedenen Lande, die Bienen des Großsultans des Tags auf die Weide zu treiben, und Abends sie in ihre Körbe zu fangen. Eines Abends vermisste ich eine Biene, und bald sah ich, dass zwei Bären sie unter sich hatten und an ihr, die so voll Honig war, fraßen. Ich warf ein silbernes Beil, das ich grade in der Hand hielt, nach den Bären, um ihnen den Raub abzujagen; aber ich musste die Hand wunderlich gedreht haben; genug es flog himmelwärts, und immer weiter, und zuletzt in den Mond. Wie sollte ich das Beil wiederschaffen? Ich besann mich schnell, pflanzte eine türkische Bohne, die bekanntlich so hoch und so schnell wachsen; sie schoss empor, und ringelte sich wirklich um den Mond. Nun stieg ich mit Behändigkeit daran herauf, und kam glücklich oben an. Aber ich musste lange suchen, ehe ich mein Beil in einer Häckselkammer fand. Ich wollte zurück kehren; allein, es war schon voller Mittag, die Sonne hatte die Bohne verwelken machen, und verdorrt war sie zur Erde niedergefallen. Wie nun herunter? Ich ging zurück, flocht mir aus dem Hecksel einen Strick so lang als möglich, knüpfete ihn oben recht fest an, und ließ mich, ob ich gleich sah, daß er kaum halb hinlänglich lang sei, getrost daran herunter. Wie ich ans Ende kam, hielt ich mich mit einer Hand fest, hieb mit der andern oben ein Stück ab, knüpfte das unten an, und rutschte nun weiter. Und so trieb ich es immer fort. Endlich aber riss der so oft geflickte Häckselstrick völlig, ich fiel zur Erde nieder, und zwar mit solcher Heftigkeit, dass ich ein Loch neun Klafter tief hinein schlug und darin stecken blieb. Nun war kein andrer Rath, als zu Hause zu gehn, einen Spaten zu holen, und mich herauszugraben. Auch gings recht gut damit.

 

15) Bey einen Winterspatziergang kam, nah an meinem Hause ein toller Hund auf mich zu. Um schneller zu entkommen, warf ich meinen Pelz ab; und war mit zwei Sprüngen in meiner Türe. Hernach ließ ich den Pelz holen, und der Bediente hängte ihn zu den andern Kleidern. Am andern Morgen rief mich des Kerls Geschrei herbei: „Ach, sehn Sie mal, was der Pelz macht!“ Ich kam, und fand fast alle meine Kleider herumgeworfen und zerrissen, und sah den Pelz über ein neues Kleid hergefallen, das er jämmerlich zerzauste. – Es war also offenbar, daß der Hund, dem ich gestern entging, in den Pelz musste gebissen haben, und dass der Pelz davon toll geworden war.

 

16) Sie kennen die große Sängerin Gabrielle. Ich hörte sie in Petersburg; und ward äußerst entzückt von ihr. Kurz vor meiner Abreise lief ich zu ihr, bat und flehte und warf mich vor ihr auf die Knie, und bot ihr 100 Louisdor (mein damaliges ganzes Vermögen), bis sie endlich in das willigte, was ich mir von ihr wünschte. Sie gab mir einen ihrer schönsten Triller, der mich vorzüglich immer entzückt hatte; ich machte ihn in Spiritus ein, und bewahre ihn auf die Art noch. Ach, es ist ein Triller! –

 

106.

Noch zwei M–Lügen.

Herr von M..n, von dem schon im vorigen Teile einige Geschichten erzählt sind, hatte auch einmal folgende Begebenheit (er soll selbst reden.)

 

Ich ging einmal durch den Wald, und hatte gar nichts von Gewehr bei mir. Ehe ich es mich versehe, läuft ein grimmiger Eber auf mich zu, und macht Mine, mich durch und durch zu bohren. Da war guter Rath teuer. In der Not entschloss ich mich gleich, hinter einen Baum zu springen, und da in Geduld mein Schicksal abzuwarten. Der Eber läuft nun wirklich auf den Baum los, hinter dem ich stehe, und zwar mit solcher Wut, dass die Zähne in den Baum fahren, und auf der andern Seite wieder heraus kommen. Hoho! dachte ich; nun will ich dich schon kriegen. Gleich nahm ich einen Stein auf, der neben mir lag, hämmerte damit die Hauer krumm, dass der Eber nicht wieder weg konnte, und ging nun nach dem nächsten Dorf, um einen Wagen und Stricke zu holen. Ich band ihn, lud ihn auf und brachte ihn glücklicherweise lebendig nach Hause.

 

Ferner:

Als im Jahre 1740 der harte Winter war, nötigten mich einmal meine Geschäfte zu einer Reise. Ich nahm Extrapost, und hielt, um nicht zu spät zu kommen, in den Wirtshäusern auf meinem Wege kaum an. Gegen Abend kam ich in einen hohlen Weg; er war so enge, dass gerade nur ein einziger Wagen darin fahren konnte. Schwager, sagte ich zu meinem Postillon, wenn uns hier ein anderer Wagen begegnet, so geht das unmöglich gut; wir können einander gar nicht ausweichen. Blase Du einmal, damit man uns hört, und noch zu rechter Zeit auf die Seite fahren kann, bis wir vorbei sind. Gut, sagte er, setzte sein Horn an den Mund, und blies beide Backen so sehr auf, dass sie hätten zerspringen mögen. Aber umsonst; er konnte nicht einen einzigen Ton herausbringen. Erst schimpfte ich auf ihn; da er aber versicherte, er könne sonst sehr gut blasen, und er wisse gar nicht, woran es liege, dass es heute nicht gehn wolle; so ward ich wieder ruhig, und sagte: Lass Er es nur gut sein, Schwager; vielleicht kömmt uns auch gar kein Wagen entgegen, bis wir aus diesem verwünschten Wege heraus sind. Aber nicht lange, so war diese Hoffnung im Brunnen. Ehe wir es uns versahen, stand, als wir um eine Ecke herumfahren wollten, ein Wagen vor uns. Was nun zu tun? Es blieb uns kein anderes Mittel übrig, als, die Wagen abzuladen, sie auseinander zu nehmen, einen, nebst dem, was darauf gewesen war, um den andern herum zu tragen, sie dann auf der andern Seite von neuem aufzuladen, und dann in des Himmels Namen weiter zu fahren. Dies geschah auch alles richtig. Nun wärete es eine ziemliche Zeit lang, ehe wir in ein Wirtshaus kamen, wornach wir uns so sehr sehnten. Endlich erreichten wir es spät am Abend wirklich. – Schwager, sagte ich zu meinem Postillon, nun tu’ Dir auf Dein Frieren etwas zu gute; da hast Du ein Trinkgeld, lass Dir geben, wozu Du Appetit hast. Das ließ er sich nicht umsonst gesagt sein, hing gleich seinen Mantel und sein Posthorn nicht weit vom Ofen auf, forderte sich zu essen und zu trinken, und aß frisch darauf los, so wie auch ich an einem andern Tische. Mit einemmale ging es: terengtengteng! Wir sahen uns um, und sieh' da! es war das Posthorn am Ofen. Nun begriff ich, warum der Postillon den Nachmittag nicht hatte blasen können; die Töne waren eingefroren, und tauten nun endlich wieder auf.

 

129.

Eine Lüge, so groß es nur eine geben kann.

In Bremen lebte vor diesem einmal ein Klopffechter, der sein Handwerk besser verstand, als sonst einer in der ganzen Welt. Er hatte es im Ringen endlich so weit gebracht, dass er vierundzwanzig auf sich nehmen konnte, und sie auch jedesmal alle glücklich bezwang. Holla! dachte er; ich will auf Reisen gehn, und meine Künste zeigen; lassen doch wohl andere Leute auch ihre Geschicklichkeit für Geld sehn, die nicht halb so etwas wunderbares können als ich. Gewiss werden die Leute, wo ich nur hinkomme, häufig herbeilaufen, um meine Stärke zu sehn. Gesagt, getan. An einem Sommermorgen nahm er seine sieben Sachen auf die Schulter, und nun damit immer marsch zum Tor hinaus. Nicht weit von der Stadt fand er einen Jäger, der seine Flinte angelegt hatte, und sehr aufmerksam in die Höhe zielte, ob sich gleich kein Vogel hören oder sehen ließ. Unser Klopffechter sah ihm einige Augenblicke zu, und fragte ihn endlich sehr neugierig: wonach er denn schießen wollte. „Störe Er mich nicht, Freund,“ sagte der Jäger, und blieb in seiner vorigen Lage. Auf einmal drückte er ab und sagte: Nun, da liegt er ja. — „Wer denn?' fragte der andre, ich habe ja nichts gesehn'“ – Wohl möglich, antwortete der Jäger; es ist ein bisschen weit. Ich habe itzt eben einen Sperling vom Straßburger Münster heruntergeschossen. – „Wollen wir zusammen reisen? sagte der Klopffechter; Du bist mein Mann. Ich kann auch mehr als andere Leute. Sie waren bald eins, und setzten nun gemeinschaftlich ihre Reise fort. Kaum waren sie einige tausend Schritt gegangen, so flog ein Kerl bei ihnen vorbei, so geschwind, wie eine Kanonenkugel. Sie wunderten sich darüber, und sahen ihm nach, solange sie ihn mit den Augen erreichen konnten. Aber das währte nicht lange; denn in einer halben Minute war er schon so weit weg, dass ihn nicht einmal der Jäger mehr sehen konnte, so scharf seine Augen auch waren. Sie gingen indes auch weiter, und konnten nicht aufhören, die Geschwindigkeit des Menschen zu bewundern. Ehe sie es sich aber versahen, war er schon wieder bei ihnen. Wo bist du denn gewesen?' redeten ihn die beiden Reisenden an. Nicht weit; antwortete der Läufer. In Rom. Ich musste da einen Brief bestellen. Die beiden machten große Augen, als sie das hörten; denn es war höchstens zehn Minuten, als er vor ihnen vorbei geflogen war. Willst du mit uns reisen? fragten sie ihn dann beide zu gleicher Zeit, und erzählten ihm auch ihre eignen Künste. Der Läufer besann sich einige Augenblicke, schlug dann ein, und nun waren also der Reisenden drei. Sie mochten ungefähr eine Meile gegangen sein, als sie an einen großen Wald kamen. Vor demselben sahen sie einen Kerl stehen, der einen Strick in den Händen hatte, welcher um den ganzen Wald herum gezogen war. Ehe sie noch ganz daran waren, zog er den Strick zusammen, und nun ging es knix! knax! Alle Bäume brachen ab, wie Rüben, und stürzten immer einer über den andern hin. Sie sahen dem Dinge zu, bis nur noch sehr wenige Bäume standen; die ergriff dann der starke Mann, und brach sie bis auf die Wurzel ab. Der wäre auch ein Mann für uns, sagten die Reisenden zu einander, traten an jenen heran, und beredeten ihn, dass er mitreisen sollte. Er ging den Vorschlag ein, und so reisten alle vier weiter. Als sie wieder ein Stück gegangen waren, kamen sie an einen hohen Berg; auf diesem stand ein Kerl, der beide Arme in die Seite gestemmt, und beide Backen aufgeblasen hatte. Er pustete aus allen Kräften so, dass es die Reisenden schon empfinden konnten, als sie noch ein gut Stück von ihm entfernt waren, ob er gleich nach einer ganz andern Gegend hin blies. Die Neugier trieb unsere Reisende auf den Berg. Sie fragten ihn, wozu er so bliese, und warum er es sich so sauer werden ließe? Man muss ja wohl, gab er zur Antwort; seht ihr nicht die sechsunddreißig Windmühlen hier herum; die muss ich alle im Gange erhalten. Wenn mir der Wind nur einigermaßen hilft, so macht es nicht soviel Mühe; aber heute rührt sich ja zu allem Unglück kein Lüftchen; da muss es einem wohl sauer werden. Indes er mit unsern Reisenden sprach, standen die Mühlen still; aber kaum blies er wieder, so waren sie im Gange, wie zuvor. Den müssen wir auch mitnehmen, sagten die Reisenden einander ins Ohr, taten jenem den Vorschlag, und gingen, als er ihn annahm, nun fünf an der Zahl, ins Himmels Namen nach Mainz. Hier war alles betrübt, weil der Kurfürst gerade krank lag. Die Ärzte hatten ihn schon völlig aufgegeben. Ein einziges Mittel, sagten sie, wäre noch übrig: wenn sie noch diesen Vormittag ein gewisses Kraut bekommen könnten, so wäre es vielleicht möglich, den Kurfürsten noch zu retten. Aber die Hoffnung sei so gut, als gar keine; denn das Kraut wachse nur auf den Schweizeralpen;. Es sei also unmöglich, es so geschwind zu schaffen. Kaum hatten unsere Reisende dies gehört, so gingen sie auf das Schloss und versprachen, das verlangte Kraut in der gesetzten Zeit zu verschaffen, wenn man ihnen anders eine Belohnung dafür geben wollte. Man hinterbrachte es dem Kurfürsten, und er war sogleich bereit, für diesen Dienst soviel Gold und Silber zu versprechen, als der stärkste Mann nur immer tragen könnte. Mit dieser Erklärung waren die fünf Freunde zufrieden, und sogleich musste sich der Läufer auf den Weg machen, um das verlangte Kraut zu holen. Als eine Stunde vergangen war, warteten die übrigen jeden Augenblick mit Ungeduld, dass ihr Freund wiederkommen sollte. Aber schon war es zehn Uhr, und er war noch nicht da. Sie warteten noch eine halbe Stunde, und als er auch da nicht kam, fingen sie an bange zu werden. Der Jäger musste auf einen Turm steigen, und, weil er gute Augen hatte, sich nach ihm umsehen. Er konnte ihn anfangs nirgends gewahr werden; endlich entdeckte er ihn ohnweit Basel. Da liegt der faule Schelm, rief er, und schläft. Wart nur, wir wollen dich bald wecken. Damit legte er die Flinte an und schoss dem Läufer den Hut vom Kopf, so dass er davon aufwachen musste. Nun machte sich dieser geschwind auf die Beine, und ehe der Jäger noch vom Turm herunterkam, war er richtig mit seinen Kräutern schon da. Sie wurden dem Kurfürsten gebracht, er nahm sie ein, und ward auf der Stelle gesund davon. Nun ließ er den Reisenden sagen: sie möchten nur jemanden schicken, der das Geld abholte. Dazu wussten sie keinen bessern als den starken Mann, der den ganzen Wald umgerissen hatte. Dieser ging aufs Schloss, stieg in die Schatzkammer hinunter, und packte alles auf, was da war, so dass auch nicht ein Taler übrig blieb. Damit war er aber noch nicht zufrieden, sondern er ging im Schloss herum, nahm alles Gold und Silber, was er nur finden konnte, und trug es nach Hause. Wer war froher als die andern vier, da sie die ungeheure Menge Gold und Silber sahen. Um dem Starken seine Last zu erleichtern, luden sie sich einen Teil der Schätze auf, und wanderten nun immer dem Tore zu, um ihr Glück anderswo zu suchen. Indes hatte man dem Kurfürsten gesagt, wie arg sein Schloss geplündert wäre. Er ließ daher gleich zwei Regimenter kommandieren, die den Reisenden nachsetzen, und einen Teil des Geldes und der Kostbarkeiten wieder abnehmen sollten. Kaum waren diese eine Meile vom Tore, so sahen sie auch die Soldaten schon hinter sich. Nun war guter Rat teuer. „Wenn es vierundzwanzig wären, sagte der Klopffechter, so würde ich wohl mit ihnen fertig; aber zwei Regimente – das ist mir zu viel.“ „Hätte ich nur meinen Strick, sagte der Waldumreißer, 'dann wollte ich sie zusammen schnüren, sie sollten sich nicht rühren können; aber so –“ „Was kann ich machen? sagte der Jäger; freilich schieße ich wohl auf jeden Schuss einen nieder; aber wie lange währt es, so habe ich keine Kugeln mehr!“  ­ „Mir für mein Teil ist nicht bange; sagte der Läufer; ich verlasse mich auf meine Füße; mich sollen sie wahrhaftig nicht kriegen!“ „Was das nun für eine Not ist,“ sagte der mit der starken Lunge, setzte seine Arme in die Seite, und blies aus Leibeskräften. Kaum waren einige Minuten vergangen, so waren auch beide Regimenter völlig weggeblasen; und bis auf den heutigen Tag weiß Niemand, wo sie geblieben sind.

 

In einer Rezension des 8. Teils von 1781 heißt es:

[…] Manchmal scheint es freylich, als wenn sich der Sammler die Mühe habe verdrießen lassen zu erzählen, denn daß er erzählen, gut erzählen kann, wenn er will, kann niemand leugnen: aber, manches steht doch gar zu hölzern da – Wer die M–h–s–n Mährchen von andern hat erzählen hören, wird uns beyfallen. Auch sieht man den Ton der guten Gesellschaft durch eingeschaltetes Fluchen, Teufel holen und dergleichen ungern beleidiget. […]

Allgemeine deutsche Bibliothek. Des zwey und funfzigsten Bandes zweytes Stück. Berlin und Stettin, 1783, S. 606.