La Liberté éclairant le Monde

Manch ein Reisender, der Paris zum ersten Mal besucht, staunt nicht schlecht, wenn er plötzlich hoch über der Seine die Freiheitsstatue erblickt. Denn das große Wahrzeichen, das vor New York auf Liberty-Island alle ankommenden Schiffe begrüßt, gehört als nationales Monument untrennbar zu den Vereinigten Staaten von Amerika.

Geplant und gebaut wurde dieses klassizistische Freiheits-Denkmal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Seine-Metropole und danach dem amerikanischen Volk geschenkt. Die Idee dazu hatte der französischen Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi (1834-1904), dem seit den frühen 1870er Jahren vorschwebte, eine monumentale Statue zu schaffen, die als Allegorie der Moderne über alle nationalen Interessen hinweg den Gedanken der Freiheit und des Fortschritt für die Völker auf der ganzen Erde symbolisieren sollte.

Die Statue bei ihrer ersten Montage in Paris

Bartholdi entwarf eine Figur, die mit der rechten Hand eine vergoldete Fackel hochhält und in der linken Hand eine Tafel mit dem Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung trägt. Die 1886 eingeweihte Statue ist heute das weltweit bekannteste Symbol der Freiheit in den USA. Mit einer Höhe von 46,05 Metern gehört sie zu den größten Statuen der Welt. Ihr Motto lautet: „Liberty Enlightening the World“.

Ein Gipsmodell der Statue wurde von Bartholdi 1878 fertig gestellt; die Figur ist 2,11 m hoch (mit Fackel 2,77 m) und gelangte nach dem Tode des Bildhauers durch seine Witwe an das Musée des Arts et Métiers, wo der Gips für die Dauerausstellung in einem Bronzeton angestrichen wurde. Nach diesem Modell fertigte man in Paris Anfang der 1880er Jahre die große Statue aus getriebenen Bronzeplatten, die auf eine von Gustav Eiffel entworfene Tragekonstruktion aus Eisen aufgenietet wurde. Nach Fertigstellung wurde sie zerlegt, die Einzelteile in die USA transportiert, wo man daraus die berühmte Freiheitsstatue zusammenbaute und sie auf den monumentalen Sockel stellte, von dem aus sie bis heute ihre Botschaft in alle Welt verkündet.

Das Gipsmodell im Musée des Arts et Métiers

Zurück nach Paris. Die auf dem westlichen Ende der Île aux Cygnes nahe der Pont de Grenelle stehende Bronzestatue ist eine Kopie nach diesem Gipsmodell. Diese Statue wurde am 14 Juli 1889 eingeweiht und ist ein Geschenk des amerikanischen Volkes zur Jahrhundertfeier der Französischen Revolution. Die Figur ragt 8,50 m hoch in den Pariser Himmel und misst mit Fackel elfeinhalb Meter.

Postkarte um 1900

Bereits im Jahre 1875 präsentierte Bartholdi dem neu gegründeten Französisch-Amerikanischen Komitee, das für die Finanzierung des Projekts sorgen sollte, ein Modell aus gebranntem Ton, das sich nicht erhalten hat. Von diesem 1,20 m hohen Tonmodell ließ er 1889 eine Bronzestatue herstellen, die er auf der Weltsausstellung des Jahres 1900 in Paris präsentierte. Anschließend stellte er sie gegen Erstattung der Gusskosten dem Musée du Luxembourg zur Verfügung; sie wurde 1906 im Jardin du Luxembourg aufgestellt und 2011 zur Restaurierung entfernt. Seit Sommer 2012 ist sie - als eines der bedeutenden Kunstwerke des 19. Jahrhunderts - im neu gestalteten Musée d’Orsay zu sehen. Im Jardin du Luxembourg hat man 2012 an alter Stelle eine Kopie aufgestellt.

Im Jardin du Luxembourg und im Musée d’Orsay

Vor dem Eingang zum Musée des Arts et Métiers steht seit 2011 eine weitere Bronzekopie, die im Auftrag des Museums von der Pariser Gießerei Susse nach genauer Vermessung des Gipsmodells in 12 Exemplaren hergestellt wurde. Ihre Höhe beträgt einschließlich Basis 2,86 m.

Die Statue vor dem Musée des Arts et Métiers

Neben diesen vier Statuen gibt es in Paris noch ein Denkmal, die Flamme der Statue in Originalgröße auf der Place de l‘Alma, wieder ein Geschenk aus Amerika, diesmal anlässlich des 200. Jubiläums der Revolution im Jahre 1989.

Auf der Place de l‘Alma

Allen diesen Denkmälern gemeinsam ist das moderne Programm, das sich ihr Schöpfer vor und nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges ausdachte und das sich für uns Heutige nur schwer erschließt. Wollte man im 19. Jahrhundert republikanische Ideale darstellen, so griff man auf eine Tradition der zeitgenössischen Kunst zurück, die Verkörperung der Freiheit. Im Gegensatz zum Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix, das an die französische Julirevolution von 1830 erinnert und auf dem die entblößte und gewaltbereite Freiheit eine bewaffnete Menschenmenge anführt, wollte Bartholdi der Statue ein friedliches Erscheinungsbild geben, weshalb sie eine Fackel als Symbol des Fortschritts trägt.

Das war auch insofern mutig, als der liberale Künstler sich damit gegen den verbreiteten Heroismus stellte. Die politische Brisanz seines Entwurfs erschließt sich erst dann, wenn er im Kontrast zu anderen monumentalen Denkmälern seiner Zeit gesehen wird. Bartholdi wählte eine Frauengestalt mit einer ausdruckstarken, aber unkomplizierten Silhouette und vermied jedes revolutionäre Pathos. Die Krone als Kopfbedeckung symbolisiert die Sonne, die sieben Weltmeere und die sieben Kontinente. Zusammen mit der Fackel soll sie die Botschaft verkünden, dass die Freiheit die ganze Welt erleuchtet.

Ganz anders tritt uns die zur gleichen Zeit errichtete Germania auf dem Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein entgegen. Sie wurde im Jahre 1883 eingeweiht und soll an die deutsche Einigung und die Gründung des Kaiserreichs nach dem Sieg über Frankreich im Krieg von 1871/2 erinnern. Zuoberst steht die Hauptfigur, eine 12,5 Meter hohe Bronzestatue, auf einem Sockel vor einem Thron mit Adlerwangen, der den Kaiserthron symbolisiert. Mit der rechten Hand hält sie die deutsche Kaiserkrone, die linke Hand umfasst ein gesenktes Schwert. Die Germania ist ebenfalls eine Allegorie des Friedens, aber das Figurenprogramm des Denkmals zeigt auch den Triumph der deutschen Fürsten und symbolisiert neben der deutschen Einigung den Sieg über die Franzosen und die Grenzerweiterung durch die Annexion von Elsass und Lothringen. Das ganze Ensemble ist ein Zeichen des Sieges und der fürstlichen Macht.

Dagegen vermied der republikanisch gesonnene Bartholdi mit seiner Freiheitsstaue jeden Anflug von Heroismus, obwohl er aus Colmar stammte und durch den Krieg seine Heimat verloren hatte. In der rechten Hand hält seine Figur eine Fackel, in der linken eine Tafel mit dem Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Zu ihren Füßen liegt eine zerbrochene Kette. Daher das Motto, das in deutscher Übersetzung lautet: „Die Freiheit erleuchtet die Welt“.

Seit 1886 grüßt die Statue of Liberty mit ihrer Gesamthöhe von 93 Metern alle Besucher New Yorks und gemahnt an die Grundlagen der bürgerlichen Freiheit, die in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 festgeschrieben und von der französischen Revolution 1889 für alle Menschen auf der Erde gefordert wurde. Ihre vier Schwestern in Paris erinnern an diese historischen Daten und können den interessierten Besucher aus Deutschland dazu anregen, sich mit den unterschiedlichen Weltanschauungen auseinander zu setzen, die Deutschland, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bestimmt haben.

 

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