„Barbe Bleue“ ‒ ein Sammelbild „Au Bon Marché“

 

Auf dem Trödelmarkt vor der Kirche Saint Sulpice in Paris erstand ich im vorigen Juni ein buntes Sammelbild mit einer recht kruden Darstellung: Kleine, niedliche Kinder stellen die Szene dar, in der Ritter Blaubart mit seinem Schwert ausholt, um seiner Frau den Kopf abzuschlagen.

 

 

 

Rechts ist die Szene in einem Buch dargestellt, links steht der französische Texte: „La Femme de Barbe bleue étant descendue son marie la prend par les cheveux et levant son couteau il allait lui abattre la tête.“

Dabei handelt es sich um ein ungenaues Zitat aus dem Märchen „La barbe bleue“ von Charles Perrault; in seinen Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: contes de ma Mère l’Oye (dt.: Geschichten oder Märchen aus vergangener Zeit einschließlich Moral: Märchen meiner Mutter Gans) von 1697 heißt es:

La Barbe bleue prit d'une main les cheveux de sa femme, et de l'autre levant le couteau il allait lui abattre la tête.“ (dt.: Dann griff er mit einer Hand in ihr Haar, mit der andern schwang er das große Messer, um ihr den Kopf abzuschneiden.)

 

Die Darstellung der historisch gekleideten Kinder gehört zu einer Serie von Sammelbildern, auf denen Szenen aus bekannten französischen Märchen in ganz der gleichen Manier dargestellt wurden.

 

   

Darstellungen der Märchen „Dornröschen“ und „Der kleine Däumling“

 

Hartwig Suhrbier schreibt über das französische Märchen:Ein reicher Mann mit allerlei Besitztümern in Stadt und Land würde gerne eine der beiden wunderschönen Töchter einer Nachbarin aus gutem Stande zur Frau nehmen. Er überlässt es der Frau und deren Töchtern, welche ihn ehelichen soll, doch keine der beiden möchte ihn heiraten, da sie seinen blauen Bart so hässlich finden. Außerdem ist es ihnen unheimlich, dass niemand weiß, was mit seinen vorherigen Ehefrauen geschehen ist. Nachdem er die Mutter, deren Töchter und Freunde jedoch aufs Land zu rauschenden Festen und allerlei Unterhaltung eingeladen hat, entschließt sich die jüngere Tochter, Blaubart zu heiraten, da sein Bart doch im Grunde nicht ganz so blau und er ein sehr anständiger Mann sei.

Bald nach der Hochzeit teilt Blaubart seiner jungen Frau mit, dass er für sechs Wochen in wichtigen Angelegenheiten aufs Land fahren müsse. Er überreicht ihr einen Schlüsselbund und sagt ihr, sie könne sich im Haus frei bewegen und solle sich während seiner Abwesenheit ruhig amüsieren. Auf gar keinen Fall dürfe sie jedoch einen bestimmten kleinen Schlüssel verwenden und damit die zugehörige Kammer im Erdgeschoss aufschließen, sofern sie sich nicht seinem allerschrecklichsten Zorn aussetzen wolle.

Kaum ist Blaubart abgereist, eilen die Freunde der Ehefrau zu Blaubarts Haus, bestaunen die diversen Kostbarkeiten in den verschiedenen Räumen und beneiden die junge Frau. Diese ist jedoch zu unruhig, um sich über die Komplimente zu freuen, und hastet heimlich und von Neugier getrieben so schnell die Treppe zu der kleinen Kammer hinab, dass sie sich fast den Hals bricht. Sie zögert zwar noch kurz, ob sie das Verbot nicht lieber achten und Blaubarts Zorn nicht provozieren soll, schließt dann aber zitternd die Tür auf. In der Kammer findet sie Blaubarts frühere Frauen ermordet vor. Entsetzt lässt sie den Schlüssel in eine Blutlache fallen, hebt ihn auf und verschließt die Kammer wieder. Ihre Versuche, den Schlüssel von den Blutflecken zu reinigen, scheitern, weil es ein verzauberter Schlüssel ist.

Blaubart kehrt unerwartet schnell zurück, da man ihm in einem Brief mitgeteilt habe, dass die Reise nicht mehr nötig sei, und bemerkt aufgrund der Blutspuren am Schlüssel sofort die Missachtung seines Verbots. Er wird sehr zornig und verurteilt seine Frau zum sofortigen Tod, auf dass sie den Leichen in der Kammer Gesellschaft leisten könne. Es gelingt der Frau, Zeit zu gewinnen und ihre Schwester Anne auf den Turm zu schicken, damit sie dort ihren beiden Brüdern Zeichen gebe sich zu beeilen, sobald sie zu ihrem angekündigten Besuch angeritten kämen.

Im allerletzten Moment, bevor Blaubart seine Frau mit einem Messer köpfen kann, erscheinen die bewaffneten Brüder und töten Blaubart. Die junge Witwe erbt alle Reichtümer Blaubarts, verschafft ihren Brüdern damit Offizierspatente, verhilft ihrer Schwester zur Ehe mit einem lange geliebten Mann und heiratet selbst glücklich einen ehrenwerten Mann, so dass sie Blaubart bald vergessen hat.

Der Stoff um den frauenmordenden Blaubart wurde seitdem für zahlreiche Werke (z. B. andere Märchen, Erzählungen, Dramen, Filme, Opern, Illustrationen) adaptiert und weiterverarbeitet. Unter anderem gelangte er über mündliche Weitergabe durch Familie Hassenpflug als Blaubart auch in die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (nur 1. Auflage von 1812, Stelle 62 (KHM 62a)).“

Hartwig Suhrbier (Hrsg.): Blaubarts Geheimnis: Märchen u. Erzählungen, Gedichte u. Stücke. Diederichs, Köln 1984, S. 83–89.

 

Als Erfinder der Reklame-Sammelbilder gilt der Inhaber des Kaufhauses Le Bon Marché, Aristide Boucicaut. Seit 1848 Teilhaber des Geschäfts der Gebrüder Videau erweiterte er das Angebot und bot niedrige Festpreise, Umtauschmöglichkeit, Bestellung über Katalog und Lieferung frei Haus. 1863 übernahm er das gesamte Kaufhaus. Es wurde damals das größte Kaufhaus der Welt und existiert noch heute unter dem Namen „Le Bon Marché“ an der Rue du Bac, nur 700 Meter von der Kirche Saint Sulpice entfernt.

 

 

Reklame spielte eine große Rolle in der Arbeit von Boucicaut. Um Kunden anzulocken, ließ er Kärtchen aus stabileren Karton mit Kalendern, Informationen zum Kaufhaus, zu Saisonartikeln und zu Werbeveranstaltungen verteilen, auf deren Vorderseite sich jeweils ein buntes Bild befand.

 

 

Rückseite eines Bildes aus dem Jahre 1890

Der eingerahmte französische und englische Text lautet: „Die Geschäftsphilosophie, alles mit kleinster Gewinnspanne zu verkaufen und dabei ganz auf Qualität zu setzen, ist Maxime in den Geschäften Bon Marché und hat ihnen einen bisher unerreichten Erfolg geschenkt.“

So war das Sammelbild entstanden, das von vielen Firmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachgeahmt wurde, in Deutschland vor allem von Liebig und Stollwerck sowie eine Reihe von Zigarettenfirmen. Bald wurden Serien zu 6 Stück gedruckt, für die es themenorientierte Sammelalben gab.

Eine wichtige Voraussetzung für den Siegeszug der Sammelbilder war die Entwicklung des Druckereiwesens; Alois Senefelder hatte bereits 1798 den Steindruck erfunden, 1837 ließ sich der deutsch-französische Lithograf Godefroy Engelmann (1788–1839) aus Mülhausen eine farbige Variante der Lithografie unter dem Namen Chromolithografie (Farbsteindruck, Farblithografie) patentieren, die bis in die 1930er-Jahre das verbreitetste Verfahren für farbige Illustrationen hoher Qualität blieb.

Als Vorlage diente dem Chromolithografen ein gemaltes Bild. Im ersten Schritt wurde eine Konturenzeichnung auf Stein hergestellt. Dabei handelte es sich um eine Zeichnung aus feinen Linien, welche die Umrisse und Farbunterschiede des Originals markierten. Diese Konturenplatte diente dem Lithografen als Anhalt für die genaue Ausarbeitung der vorgesehenen einzelnen Farben. Mit Einsatz des Umdruckverfahrens wurden danach Klatsch genannte Kopien der Konturenplatte auf eine Anzahl Steine erstellt, die der Zahl der vorgesehenen Farben entsprachen. Die Klatsche zeigten die Konturen nur andeutungsweise in einem hellen Farbton und verschwanden später bei der Druckvorbereitung der fertigen Chromolithografie.

Nach dem Ausarbeiten der helleren Farben wurde mit dem Andruck begonnen. Mit Hilfe von dünnen Kreuzen, die Passmarken oder Passkreuze genannt wurden, konnte das zu druckende Motiv über alle Farben exakt und passgenau übereinander gedruckt werden. Dieser Vorgang hieß Nadeln der Andrucke. Zuvor hatte der Steindrucker in die Mitte der Passmarken rechts und links auf dem Stein jeweils ein winziges Loch gebohrt. Diese Löcher wurden auf dem zu bedruckenden Papier wiederholt, das nun mit Hilfe zweier Nadeln genau auf dem Stein positioniert werden konnte. Nach dem Druck jeder Farbe prüfte der Chromolithograf den Fortschritt seiner Arbeit und bearbeitete danach die nächstdunklere Farbe.

Jürgen Zeidler: Lithographie und Steindruck. Ravensburg 1994, S. 84–89.

 

 

Brockhaus-Konversationslexikon 14. Auflage, Bd. 11, Leipzig 1894.

 

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