Die Schule in Hoetmar

 

In dem 12 km südwestlich von Warendorf bei Münster gelegenen Dorf Hoetmar befindet sich eine interessante Grundschule. Sie besteht aus einem alten 1906 errichteten Teil und einem Neubau von 1950. Die Fassade des Altbaus ist außergewöhnlich gestaltet und trägt den pädagogischen Leitspruch „ERST SCHAFF DEIN SACH/ DANN SPIEL UND LACH!“. Dabei handelt es sich um eine Variation des Trinkspruchs „Erst schaff dein Sache, dann trink und lach!“ im Sinne der Reformpädagogik, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts auch an anderen Schulgebäuden des Deutschen Reichs angebracht wurde.

 

 

Zwei Bienenkörbe, die als Stuckaturen an den unteren Ecken des geschweiften Giebels hängen, symbolisieren Fleiß und Arbeitseifer, und veranschaulichen den pädagogischen Sinnspruch. Um die Jahrhundertwende wandte sich die Reformpädagogik vor allem an den Volksschulen gegen die Lebensfremdheit und den autoritären Untertanengeist der vorherrschenden „Pauk- und Drillschule“. Im Mittelpunkt des Unterrichts sollten nun ein handlungsorientiertes Lernen und die Selbsttätigkeit der Schüler stehen.

 

Die Fassade enthält aber noch weitere symbolische Verzierungen. Über allem thront auf der Spitze des Giebels Das Auge der Vorsehung (auch allsehendes Auge, Auge Gottes oder Gottesauge), ein Symbol, das auf die Dreieinigkeit Gottes verweist. Es signalisiert aber auch, dass Gott alles sieht und daher allwissend ist. Seine Platzierung auf dem Giebel ist ein Hinweis auf die Bedeutung, die Religion auch noch um 1900 vor allem auf dem Lande hatte, wo sie in viel stärkerem Ausmaß als heute das Alltagsleben prägte.

 

Darunter ist eine Germania angebracht. Die Germania wird ursprünglich als die nationale Personifikation Deutschlands, später oft als glorreiche Kriegerin mit Waffen und Reichsinsignien dargestellt. So wird sie zu einer Verbindung einer „Schlachtenjungfrau“ (Walküre) mit der das „Vaterland“ versinnbildlichenden „deutschen Mutter“. Auf unserem Giebel symbolisiert sie das Deutsche Reich und den Thron und damit das zweites ideologische Standbein des damaligen Staates neben dem Altar.

 

 

Die Stuckatur geht auf die Germania der Briefmarkenserien zurück, die von der Reichspost von 1900 bis 1922 verwendet wurden. Die Entwürfe stammten von Paul Eduard Waldraff; das Vorbild für das Porträt der Germania war die Schauspielerin Anna Führing.

 

     

Originalskizze von Paul Eduard Waldraff (nach Anna Führing) zur Gestaltung der Germania-Marke; Reichpost 10 Pf. karminrosa, ausgegeben am 30. Dezember 1899 (Michel-Nr. 56).

 

Die beiden Allegorien ergänzen den pädagogischen Sinnspruch vom Primat des Fleißes und dem nachgeordneten Spiel und sie appellieren an Vaterlandsliebe und Gottesfrucht.

Heutzutage stehen die pädagogischen Prinzipien im Mittelpunkt des Unterrichts, und Fleiß und Spiel werden nicht mehr zeitlich voneinander getrennt. Das belegt der Bericht über eine Projektwoche, die vom 01. bis 05. Juli 2013 stattgefunden hat: „ Die Dechant-Wessing-Schule Hoetmar arbeitet unter dem Motto »Schaff dein Sach, spiel und lach!« In einer frohen Atmosphäre konnten die Kinder das lernen und das schaffen, was die Zeit heute verlangt. In dieser Projektwoche standen Spiel, Sport und Spaß im Mittelpunkt.“

Damit könnten die Betrachtungen im Anschluss an den Schulbesuch in Hoetmar zu Ende sein, wäre da nicht der Name, der über dem Eingang zum Neubau der Schule von 1950 geschrieben steht: Dechant-Wessing-Schule.

 

 

Auf der Homepage der Schule lesen wir dazu: „»Unser Dechant«, so nannten die Hoetmarer ihren Pfarrer August Wessing, lebte während des Zweiten Weltkrieges in Hoetmar und half Menschen, die aus Polen verschleppt worden waren. Diese Menschen wurden hier zur Arbeit gezwungen und schlecht behandelt. Sie bekamen nur wenig zu essen und hatten keine warme Kleidung. »Unser Dechant« half ihnen. Er sprach mit ihnen, gab ihnen etwas zu essen und Zuversicht. Was er tat, war damals verboten, und deshalb kam er in ein Konzentrationslager in Dachau. Dort musste er hart arbeiten, wurde schlecht ernährt und erkrankte schließlich an Typhus. Kurz vor Ende des Krieges starb er am 4. März 1945. Er wurde 65 Jahre alt. Nach seinem Tod wurde seine Leiche verbrannt. Die Asche konnte nach Hoetmar gebracht werden. Weil er aus Nächstenliebe so mutig war, hat sich unsere Schule nach Dechant August Wessing benannt.“ (http://www.dechant-wessing-schule.de/dechant-wessing.html)

Am Eingang zum Schulhof steht ein Wegebild mit einer Bronzetafel von Kurt Bröker auf Granit, das 1985 anlässlich des 40. Todestages des Priesters aufgestellt wurde. Dazu sagte der damalige Rektor Hubert Eusterbrock: „Die Schulgemeinde Hoetmar setzt mit der Aufstellung einer Gedenktafel am 40. Todestag von Dechant Wessing ... ein Zeichen der Erinnerung an den herausragenden Priester dieser Gemeinde .... Dechant Wessing steht für seine Zeit. Ihm ein Zeichen setzen bedeutet also: An die Herausforderungen des Nationalsozialismus erinnern. Nicht zuletzt ist diese Tafel ein Zeichen der Ehrung, des Dankes. Eines Toten gedenken ist mehr als ein bloßes Erinnern. Im Gedenken verinnerlichen wir unser Verhältnis zu ihm. Gedenken versenkt sich in seine Gestalt, in sein Leben und Werk, meint auch, sein Leben prüfend und wertend auf sich beziehen und heißt, sich die Fragen stellen: Wie stehe ich zu ihm? Was bedeutet er mir? Die Schule ... dokumentiert mit der Aufstellung ihre übernommene Aufgabe: August Wessings geistiges Erbe zu hüten und weiterzugeben, und die Verpflichtung, die uns aus dem Leben Wessings erwächst, Verehrung und Dankesschuld, einzulösen.“ (http://www.wegebilder-warendorf.de/wegebild/wegebild-dechant-wessing-schule)

 

 

 

Im Internet lesen wir: „August Wessing (* 18. Januar 1880 in Gescher; † 4. März 1945 in Dachau) war ein katholischer Geistlicher und wurde im KZ Dachau zu Tode gequält.

Obwohl Wessing eher als unpolitischer Mann galt, wurde bereits 1937 nach einer Osterpredigt durch das Sondergericht beim Oberlandesgericht Hamm gegen ihn ermittelt. Obschon der NSDAP-Ortsgruppenleiter und Dorfpolizist als Zeuge der Anklage fungierte, wurde das Verfahren eingestellt. Nachdem entgegen den Bestimmungen des Reichskonkordats der Religionsunterricht aus der Volksschule in Hoetmar verbannt worden war, richtete Wessing im Wirtschaftsgebäude des Pfarrhauses zwei Schulklassen für einen von der Pfarrei organisierten Religionsunterricht ein. 1941 wurde er wegen eines Ausfluges der Jungfrauenkongregation zur Gestapo nach Münster zum Verhör vorgeladen und verwarnt. Im gleichen Jahr nahm die Gestapo bei Wessing eine Hausdurchsuchung vor, weil er die kritischen Predigten seines Bischofs Clemens August Graf von Galen in Kopien verbreitet hatte. Wessings besonderes Engagement für polnische und russische Kriegsgefangene führte im darauffolgenden Jahr zu einer weiteren Anzeige.

Nachdem Wessing eine Ordensschwester beauftragt hatte, für ein aus seiner Heimat verschlepptes ukrainisches Mädchen Kleidungsstücke anzufertigen, wurde er am 18. Juli 1942 von der Gestapo unter dem Vorwurf der offenen Feindbegünstigung verhaftet und im Gefängnis von Münster inhaftiert. Obwohl der Gemeinderat von Hoetmar bei der Gestapo für seine Freilassung intervenierte, wurde Wessing noch am Tage nach der Eingabe ins KZ Dachau abtransportiert, wo er allerdings erst am 2. Oktober 1942 eintraf. Die dortige Zwangsarbeit schwächte ihn im Laufe der nächsten Monate so sehr, dass er Ende Februar 1945 an Fleckfieber erkrankte und am 4. März 1945 verstarb. Andere Priester erreichten durch Bestechung, dass der Leichnam des Geistlichen gesondert im Krematorium des KZ Dachau eingeäschert wurde und sie die Asche bis nach Kriegsende verstecken konnten. Im Mai 1945 brachte ein Priester die sterblichen Überreste August Wessings nach Hoetmar zurück, wo die Gemeinde St. Lambertus am 25. Mai 1945 in einem feierlichen Requiem von ihrem Pfarrer Abschied nahm. Die Urne wurde in den Sockel des großen Kreuzes auf dem Friedhof von Hoetmar eingelassen.

 

August Wessing (1880-1945)

 

Die katholische Kirche hat August Wessing als Glaubenszeugen in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen. In Gescher, Recklinghausen und Warendorf wurden Straßen sowie in Warendorf-Hoetmar zudem eine Grundschule nach August Wessing benannt. Seine Portraitbüste findet sich außerdem auf dem 1997 von Bert Gerresheim gestalteten Portal der Versöhnung in der Marienbasilika in Kevelaer, wo durch den Künstler Verfolgte des Nationalsozialismus dargestellt worden sind.“ (Abgerufen von https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=August_Wessing&oldid=164622498)

 

Weite Informationen über August Wessing auf folgender Webseite: http://www.karl-leisner.de/biografie-zu-karl-leisners-leidensgenosse-august-wessing-im-kz-dachau/

 

 

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