Parc Monceau, an einem Sonntag im Juli

Vor einem Hügel mit künstlicher Felsenlandschaft leuchten die Sommerblumen von rot bis weiß und von gelb bis blau. Im Vordergrund stehen vier übermannshohe Palmen, den Hintergrund bilden mächtige Bergahornbäume, deren dunkelgrünes Laub den künstlichen Felsengarten beschattet. Seine verwitterten Felsformationen werden von feinen Wasserkaskaden überspült; das normale Publikum bleibt von den zierlichen Kletterpfaden ausgeschlossen.

Genau hierauf haben es die Hochzeitsgesellschaften abgesehen. Vom Boulevard de Courcelles rücken sie an, verlassen in Gruppen ihre Fahrzeuge am Place de la République Dominicaine und betreten den Park Monceau in lockeren Formationen vom Norden her. Chinesen sind es, die extra hierher ins 8. Pariser Arrondissement kommen, um die obligatorischen Hochzeitsfotos nach europäischem Ritual zu schießen. Die Brautleute mit ihren Eltern und der engeren Verwandtschaft fahren natürlich in superlangen weißen Lincoln-Limousinen vor. Die anderen Gäste müssen mit einem Bus vorlieb nehmen. Manche sind auch im Privatwagen angereist.

Die Frischgetrauten nebst weißgekleideten Brautjungfern und zwei bis drei Kindern, die sie wie Erwachsene ausstaffiert haben, werden nun von der vielköpfigen Freundes- und Familienschar den professionellen Fotografen ausgeliefert, die ihre Opfer gnadenlos von Arrangement zu Arrangement hetzen. Noch lächeln die drei oder vier Bräute in ihren aufwändig gestylten weißen Hochzeitskleidern, ziehen elegant die Schleppen nach und kokettieren mit  ihren schwarzen Köpfchen wohl auch etwas verkrampft mit ihren frisch angetrauten Liebsten in schwarzen oder weißen Anzügen, unreife Kindergesichter darunter. Aber längst hat Regen eingesetzt und das Lächeln auf den hübschen weißgeschminkten Gesichtern erstarrt mehr und mehr zur Maske. Die Fotografen sind unerbittlich. Sie nötigen ihre Akteure, über die Zäune auf den gepflegten Rasen zu steigen, auf denen ein Schild warnt: "Accès interdit. Danger!" Aber am Tag der Tage stoppen keine Verbotsschilder die ernste Geschäftigkeit. Zunächst müssen sich die Brautleute vor ein prächtiges Blumenbeet hocken und wieder und wieder umarmen, danach wird die Braut allein abgelichtet und sitzt mit ihrem hübschen Popo auf dem nassen Rasen, schließlich werden neckische Szenen mit der Video-Kamera gedreht: Hasch mich! und Du siehst mich nicht! Endlich noch ein Küsschen in Ehren, dann kommt der Anhang in Kleingruppen an die Reihe.

Derweilen steht die Freundes- und Familienschar ein paar Meter abseits und sucht unter einem ausladenden Kastanienbaum Schutz, nur Oma und Opa bleiben unter ihrem roten Parapluie in der Nähe und auch den Kindern scheint der Regen nicht viel auszumachen; sie tanzen in ihren rasch übergestülpten Regenjacken froh zwischen den Brautpaaren und lassen sich nur widerwillig zu einzelnen Bildarrangements überreden. Zur Belohnung spendieren liebe Onkel Eiswaffeln, Zuckerwatte und Karussellfahrten. Eine geduldige Oma lässt sich von zwei ganz in weißen Tüll gekleideten schwarzhaarigen Mädchen zum Ententeich zerren. Wartet nur, bald seid ihr an der Reihe! Einheimische Spaziergänger beobachten das farbenprächtige Schauspiel mit dem distanziertem Wohlwollen von Zoobesuchern und freuen sich an der exotischen Pracht.

Dann ist die Session endlich vorüber und Akteure sowie Zuschauer verlassen den Park. Die langen Schleppen der Hochzeitskleider weisen hässliche Schlammspuren auf; beim Übersteigen der Absperrgitter sieht man, dass die Bräute praktische Turnschuhe unter der eleganten Hochzeitsgarderobe tragen. Sie hatten sich also clever auf ihren großen Tag vorbereitet.

 

zurück zum Titelbild