Kinder in den Tuilerien. Ostern

Der Ausgang aus der Pyramide speit unaufhörlich Menschen auf den Innenhof des Louvre. Hunderte wälzen sich westwärts durch die Tuilerien in Richtung Concorde. Die weitläufigen Parkanlagen der einst königlichen Gärten sind heute fest in Kinderhand. Gleich am Anfang hat die strenge Parkverwaltung das Betreten des Rasens erlaubt; hunderte von Parisern und Fremden lagern auf den Wiesen zwischen regelmäßig gepflanzten Hecken.

Das ist der Bereich der ganz Kleinen, die in ihren Wagen schlafen, der noch nicht Geborenen, die bequem in den Bäuchen ihrer Mütter warten und der noch nicht Gemachten, die bei diesem milden Frühlingswetter gute Aussichten haben, bald gezeugt zu werden.

Während die Kleinsten noch am Gängelband ihrer Eltern zerren und manche Schreihälse Mutter oder Vater nerven, haben die älteren das Karee der Schaukelpferde, Wippen und Drehsitze fest im Griff. Da toben sie oder lassen sich durch die Luft wirbeln und genießen jedes für sich. Nur die ältesten fliegen am Drehgerüst mit ernsten Gesichtern in großem Einverständnis wie selbstverständlich im Kreis herum. Jedes hält seinen Platz besetzt.

Dann: Das Karussell. Es ist eines von jenen aus der "Belle Epoque", wie man viele in Paris und in anderen Städten Frankreichs findet: bunt bemalt und mit fantasievollen Reittieren ausgestattet. Rainer Maria Rilke hat eines im Jahre 1906  beschrieben:

Das Karussell

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel . . .

 

Hier sind die Kinder wieder fest in Elternhand; erst wenn das Billet gekauft ist, werden die Kleinen abgegeben. Eine Glocke zeigt an: Die Reise geht los. Sie halten sich krampfhaft an Pferden, Giraffen und Elefanten fest. Ein Junge steuert triumphierend sein Automobil.

Ein paar Schritte westwärts zeugen drei Stäbchen Zuckerwatte von einer Familientragödie, denn sie liegen kaum angenagt im Staub des Kieswegs.

Wir aber werden von den Hüpfern angezogen. Sie springen auf Trampolinen, deren Kanten dick gepolstert sind. Ein Mädchen zeigt ihrem stolzen Vater, was es kann: Wieder und wieder lässt es sich fallen, auf den Bauch, auf den Rücken und springt dann einen Salto, kommt exakt mit den Füßen auf, und dann geht es wieder von vorne los.

In der Mitte der Anlage auf dem großen runden Bassin kreuzen so um zwanzig Segelboote. Der Mann, der alle aus grobem Holz gemacht hat, vermietet sie für jeweils ein halbe Stunde. Nachdem er eines aus den Gittern des breiten Fahrradanhängers herausgehoben hat, überprüft er das Spiel der Segel und setzt es ins Wasser; den Kindern drückt er meterlange Stöcke in die Hand, mit denen man die Boote vom Rand abstoßen kann. Denn dort endet jede Fahrt früher oder später, wenn der Wind auffrischt und wenn er sich in die zwei bunten Stofffetzen krallt, die ihr Boot tief ins Wasser drücken und es dann kräftig beschleunigen. Manchmal verhaken sich zwei oder drei Boote, aber der Mann hat sie so gemacht, dass sie immer wieder von selber frei kommen. Auch die Segelboote, die in den Wasserstrahl der Fontäne in der Mitte des Brunnens geraten, sind nicht verloren. Mitunter tauchen sie tief ein, aber der Wind befreit sie bald wieder und treibt sie auf den Rand zu, wo ihr Kapitän auf Zeit sie mit einem kräftigen Stoß auf eine neue Reise schickt.

Wir setzen uns auf zwei der vielen Blechstühle, die neben Bänken zur Rast einladen. Um einen Pavillon stehen in einem eingefriedeten Bezirk Tische und Stühle. Geschäftige Kellner eilen hin und her: Es gibt Kaffee, Cola, Bier und Eis zu unverschämten Preisen. Über einen künstlichen Teich flitzen fünf emsige Entenküken, die ersten weit und breit, die aus ihren Eiern geschlüpft sind. Ihre Eltern sitzen auf dem Beckenrand und schauen dem Treiben ihrer Sprösslinge gelassen zu. Die anderen Enten kümmern sich nicht um die Familie und stecken die Köpfe unter ihre Flügel. Jemand füttert die Küken mit Brotstücken: Jetzt bewegen sich auch die Alten, um ihren Teil aus dem Wasser zu fischen. 

 

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