Hans, der sich die Welt besieht

 

Es lebten einmal in einem Dorf ein Mann und eine Frau, die hatten drei Söhne. Den jüngsten aber nannten die andern beiden nicht anders als den dummen Hans. Wie die drei nun herangewachsen waren, wollten die beiden ältesten sich die Welt besehen. Dazu hatte der dumme Hans auch Lust und bat die Brüder, ihn mitzunehmen. „Was willst du dummer Hans dir die Welt besehen!“ riefen sie, aber endlich nahmen sie ihn doch mit. Sie machten aber mit einander aus, wer nach Jahresfrist das beste Tischtuch zurückbringe, der solle der Erste im Hause sein.

Nach einigen Stunden kamen sie an einen Kreuzweg, da ging Hans links und die Brüder rechts, und sie freuten sich sehr, den dummen Hans los zu sein. Hans aber ging getrost immer der Nase nach, bis er in einen Wald kam, wo eine Vertiefung in der Erde war. Hans blieb stehen und betrachtete sich das Ding von allen Seiten, und es wunderte ihn, ob es ein Fuchsloch wäre oder ein anderes Loch. Da kam ihm ein Einfall. Er legte sich längelang hin und kroch in das Loch hinein. Da wurde ihm doch wunderlich zu Mut bei seiner Maulwurfsreise, denn der Gang wollte gar kein Ende nehmen, bis er sich endlich in einer geräumigen Höhle befand, die er für einen Pferdestall hielt; denn vier prächtige Schimmel standen an den gefüllten Krippen. Wo Pferde sind, müssen auch Menschen sein, dachte Hans und ging getrost weiter. Er öffnete eine Thür am unteren Ende des Stalles, da kam er in ein großes, herrlich geschmücktes Gemach und dann wieder in ein zweites, in dem ein Eckschrank, ein Stuhl, ein Tisch und ein Bett standen. Auf dem Stuhl aber lag eine alte graue Pudelmütze.

Wie Hans das Bett sah, stieg er alsbald hinein und schnarchte sich in den Schlaf. Beim Erwachen hungerte ihn sehr, aber wie er sich umsah, stand vor dem Bette ein Tisch beladen mit den leckersten Speisen.

Da fand Hans, dass seine unsichtbaren Wirte doch Lebensart hatten, ließ sich’s wohl schmecken und schlief dann wieder ein. Und nach dem ersten Tage dachte Hans sogleich, dass er’s hier wohl noch einen Tag aushalten könne. Aber aus den Tagen wurden Wochen und Monde und endlich ein ganzes Jahr, während dessen Hans seine Zeit redlich in Essen, Trinken und Schlafen teilte. Da, als das Jahr herum war, fing die alte Pudelmütze, die Hans noch garnicht beachtet hatte, auf einmal an zu sprechen und rief „Hans, geh’ nach Haus, das Jahr ist um, und deine Brüder warten auf dich.“ Da wurde Hans wieder inne, warum er eigentlich von Haus gezogen, und er klagte sehr, dass er kein Tischtuch mit zurückzubringen habe. Aber die Pudelmütze hieß ihn gutes Muts sein und im Eckschrank nachsuchen; da fand er das schönste Tischtuch, das noch gesehen ist. Damit machte er sich auf den Weg nach Hause, wo die Brüder schon waren mit ihren Tischtüchern; aber Hansens Tischtuch war weit das schönste. Der Erste im Hause ward er aber doch nicht, sondern blieb der dumme Hans wie vorher.

Nach einiger Zeit beschlossen die beiden Ältesten wieder in die Welt zu gehen, und wer das meiste Geld verdienen könne binnen Jahresfrist, der sollte der Erste im Hause sein. Wie nun der dumme Hans wieder mit wollte, sagten die Brüder: „Was willst du dummer Hans dir die Welt besehen!“ aber endlich mussten sie ihn doch mitnehmen.

Am Kreuzweg aber gingen sie rechts und ging Hans links und wieder in seine Höhle, wo er alles antraf, wie er es verlassen. Hier verlebte er wieder ein ganzes Jahr und teilte seine Zeit in Essen, Trinken und Schlafen. Und als das Jahr herum war, ermahnte ihn die Pudelmütze, nach Hause zu gehen, wo die Brüder seiner warteten, und befahl ihm, unbesorgt zu sein um das Geld, das er mit zurückbringen solle; im Eckschrank sei so viel, als er nur brauche. Da nahm sich Hans den größten Geldbeutel und zog nach Hause. Da hatte er das meiste Geld verdient, und die Goldstücke gefielen den Brüdern. Aber am andern Tage war er doch nicht der Erste, sondern nur der dumme Hans, der nichts anderes versteht als Brotessen.

Und abermals nach einer Zeit beschlossen die beiden Ältesten wieder in die Welt zu gehen und sich eine Frau zu suchen, und wer die schönste heimführe binnen Jahresfrist, der solle das ganze Erbe haben. Wie nun der dumme Hans wieder mit wollte, sagten die Brüder: „Was willst du dummer Hans dir die Welt besehen!“ aber endlich mussten sie ihn doch mitnehmen. Am Kreuzweg aber gingen sie rechts und ging Hans links und wieder in seine Höhle, wo er alles antraf, wie er es verlassen, und seine Zeit redlich in Essen, Trinken und Schlafen teilte. Als aber das Jahr herum war bis auf drei Tage, da sprach die Pudelmütze: „Hans, du hast noch drei Tage, dir die schönste Frau zu suchen; geh in den Stall und nimm das Beil, das da liegt, damit fälle den umliegenden Wald, aber in einem Tage.“ Hans gab sich nicht die Mühe, das zu begreifen, aber er ging in den Stall, nahm das Beil und kroch hinaus in den Wald. Da suchte er sich die dünnste Eiche aus, um damit sein Werk zu beginnen. Kaum war sie gefallen, so fiel zugleich der ganze Wald. So! dachte Hans, rieb sich die Hände, kroch in seine Höhle und legte sich hin, von der Anstrengung auszuschlafen. Am andern Tage sprach die Pudelmütze: „Geh hin, Hans, mache die Bäume klein und errichte daraus einen Scheiterhaufen, und wenn du ihn angezündet hast, so wirf mich selbst hinein. Und was auch für Ungeheuer aus dem brennenden Scheiterhaufen kriechen, die musst du alle töten und verbrennen, aber alles in einem Tage.“ Hans ging ans Werk, und wie er einen Baum zerhackt, da war der ganze Wald kleingemacht; und wie er ein Stück Holz zum Scheiterhaufen getragen, hatte sich der von selbst aufgebaut. Da steckte Hans ihn an. Aber wie er die Pudelmütze hineinwerfen wollte, dauerte sie ihn, weil sie ihm so gut gewesen, und er wollt’ ’s nicht tun; erst als sie ihm drohte, dass er sonst keine Frau bekommen würde, musste er’s wohl tun. Da krochen Schlangen und Drachen aus dem Feuer, die packte er und warf sie wieder hinein, und so dauerte es eine Zeit, bis alles verbrannt war. Darauf kroch er in seine Höhle und schlief weinend ein, denn er hatte seinen Freund verbrannt und keine Frau wieder. Wie er am Morgen aber die Augen aufschlug, lag an seiner Seite die wunderschönste Prinzessin von der Welt. Da sprang er erschrocken aus dem Bette und rieb sich die Augen und sah, dass er eine Frau habe. Sie aber schlug die schönen blauen Augen auf und sah Hans gar zärtlich an; dann erzählte sie ihm, wie vor vielen hundert Jahren eine böse Zauberin sie in eine alte Pudelmütze verwünscht habe, und wie sie von ihm erlöst und seine Frau sei. Das gefiel ihm wohl, und sie kleideten sich in die prächtigen Gewänder, die für sie auf den goldenen Stühlen lagen, und die prächtig gekleideten Diener halfen ihnen. Dann führte die Prinzess ihren Gemahl durch eine Reihe herrlicher Zimmer. Denn wo früher eine Höhle war, stand jetzt ein wunderschönes Schloss mit Park und Dienerschaft; das hatte Hans alles mit erlöst.

Nach der Handschrift von Theodor Storm. In: Eversberg 2005, S. 20ff.