Brüder Grimm: Sneewittchen

Die folgenden Textstellen haben Storm als Quelle gedient:

Sneewittchen (1)

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich „hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie der Rahmen.“ Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und wurde darum das Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin.

Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig, und konnte nicht leiden dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel, wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie

„Spieglein, Spieglein an der Wand,
wer ist die schönste im ganzen Land?“

so antwortete er

„Frau Königin, ihr seid die schönste hier,
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr.“

Da erschrack die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum, so hasste sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmuth wuchsen, und wurden so groß in ihr, dass sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger, und sprach „bring das Kind hinaus in den Wald, ich wills nicht mehr vor meinen Augen sehen. Dort sollst dus töten, und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.“ Der Jäger gehorchte, und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte, und Sneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen, und sprach „ach lieber Jäger, lass mir mein Leben; ich will in den wilden Wald laufen, und nimmermehr wieder heim kommen.“ Und weil es so schön war, hatte der Jäger Mitleiden, und sprach „so lauf hin, du armes Kind.“ „Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben“ dachte er, und doch wars ihm als wär ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und weil gerade ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus, und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch musste sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf, und meinte sie hätte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.

 

Sneewittchen (2)

Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelig allein, und ward ihm so angst, dass es alle Blätter an den Bäumen ansah, und nicht wusste wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen, und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Thiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief so lange nur die Füße noch fort konnten, bis es bald Abend werden wollte, da sah es ein kleines Häuschen, und ging hinein sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, dass es nicht zu sagen ist. Da stand ein weiß gedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblein, und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein neben einander aufgestellt, und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Sneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brot, und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem allein alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins passte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war, und darin blieb es liegen, befahl sich Gott, und schlief ein.

Als es nun ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie dass jemand darin gewesen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach „wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?“ Der zweite „wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ Der dritte „wer hat von meinem Brötchen genommen?“ Der vierte „wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Der fünfte: „wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ Der sechste „wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?“ Der siebente „wer hat aus meinem Becherlein getrunken?“ Dann sah sich der erste um, und sah dass auf seinem Bett eine kleine Dälle war, da sprach er „wer hat in mein Bettchen getreten?“ Die andern kamen gelaufen, und riefen „in meinem hat auch jemand gelegen.“ Der siebente aber, als der in sein Bett sah, erblickte Sneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen, und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein, und beleuchteten Sneewittchen. „Ei, du mein Gott! ei du mein Gott!“ riefen sie, „was ist das Kind schön!“ und hatten so große Freude, dass sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum.

Als es Morgen war, erwachte Sneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrack es. Sie waren aber freundlich und fragten „wie heißt du?“ „Ich heiße Sneewittchen“ antwortete es. „Wie bist du in unser Haus gekommen?“ sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen dass seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden. Die Zwerge sprachen „willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.“ Das versprach Sneewittchen, und blieb bei ihnen. Es hielt ordentlich Haus: Morgens gingen sie in die Berge, und suchten Erz und Gold, Abends kamen sie wieder, und da musste ihr Essen bereit sein. Den Tag über war das Mädchen allein, da warnten es die guten Zwerglein und sprachen „hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen dass du hier bist; lass ja niemand herein.“