Kasperls Lachen

  

Die Vorstellung war zu Ende. Friederike saß noch immer auf ihrem Stuhl, um sie herum redeten die anderen lärmend durcheinander. Sie konnte nichts sagen; in ihrem Kopf summten die Bilder der Aufführung, die sie gerade gesehen hatte, und bildeten einen bunten Schwarm überwältigender Eindrücke.

Der Ritter Blaubart hatte seine sechste Frau geheiratet. Ihre Schwester warnte sie zwar vor dem finsteren Mann, aber das Fräulein war begeisterte Leserin von Ritterromanen und schlug alle Warnungen in den Wind. Auf Blaubarts Burg entpuppte sich der Ritter gar bald als fürchterlicher Wüterich; fünf Frauen hatte er bereits umgebracht, weil sie neugierig waren und sich nicht an des Ritters Gebote gehalten hatten. Nun kam Bertha an die Reihe, da half kein Weinen und kein Flehen. Verzweifelt bat das arme Kind ihren Vater um Hilfe, doch der vertrottelte Alte war schwerhörig und dachte den ganzen Tag nur ans Essen.

Aber da war noch Kasperl, der treue Diener und Helfer in der Not. Der schlich sich heimlich aus der Burg und versprach, Hilfe zu holen. Gerade, als der furchtbare Ritter der armen Bertha mit dem Schwert den Kopf abschlagen wollte, stürmten Hugo von Hohenfels und seine Knappen die Burg. Blaubart wurde im Zweikampf getötet, und Bertha fiel ihrem tapferen Retter in die Arme.

Am meisten hatte Friederike der Kasperl gefallen. Er hieß Larifari und spielte einen erbärmlichen Feigling, aber er konnte lachen, wie kein anderer.

Ja, lachen konnte er, dass es schepperte und keuchte, kicherte und kreischte. Mal kam sein Lachen von ganz unten aus dem Bauch und klang dumpf und hohl, dann wieder saß es ganz oben im Kehlkopf, war spitz und meckerig wie das einer Ziege.

Kasperls Lachen erschütterte die Spielleiste, dass das ganze Theater wackelte. Kasperls Lachen dröhnte durch den Saal, bis die Ohren der Zuschauer klangen. Friederike glaubte, Kasperls Lachen sehen zu können, so deutlich flog es von der Vorderseite des Saales bis hin zur letzten Reihe.

Zwar wusste Friederike, dass Kasperls Gesicht aus Holz war, doch wirkte es gar nicht starr; immer ließ er den Mund ein wenig geöffnet, so dass man seine Zähne sehen konnte, und obwohl er die Gesichtsmuskeln nicht anzuziehen vermochte, drückte es sowohl Heiterkeit und Freundlichkeit als auch Spott und Verachtung aus.

Ja, Kasperls Lachen kann noch viel mehr. Mit seiner starren Grimasse kann er schmunzeln, grinsen, grienen, feixen, auflachen, herausplatzen, losprusten oder losbrüllen. Einmal kichert er, dann wieder gickelt, gickst, gackert oder wiehert sein Lachen so aus ihm heraus, dass sich die Zuschauer kugeln oder krumm und schief lachen, manche lachen gar Tränen.

Ist Kasperl in großer Gefahr, dann setzt erst recht sein Lachen ein, dann wird aus dem Lächeln einen Lachsalve, ein Lachanfall und schließlich ein Lachkrampf. Kasperl windet sich am Boden, will sich scheckig lachen, wirkt aber lächerlich, wenn er sich einen Ast lacht. Er tut, als könne er sich ausschütten und lacht aus vollem Halse. Aber was schüttet er aus: Spott, Hohn, Verachtung. Man kann sogar die Freude, die Enttäuschung und die Wut in seinen Augen und auf seinem Gesicht erkennen; ja selbst Angst und Trauer kann dieser Kerl zeigen, ohne seinen Mund dabei verziehen zu müssen.

Du denkst: Der lacht sich tot! Aber Kasperl lacht sich nicht tot; im Gegenteil: Kasperls Lachen rettet ihn aus aller Gefahr. Wenn er quietschend loslacht, wissen seine Gegner, dass sie verloren sind. Kasperls Lachen scheint zunächst nur breites, dummes, verlegenes, schadenfrohes Grinsen, dann ist es fragendes, unsicheres, tastendes, suchendes Kichern und wird zum wissenden, überlegenen, spöttischen, hämischen Lachen. So besiegt Kasperls Lachen alle Feinde.

 

Die Kinder hatten sich inzwischen am Saaleingang versammelt, um zurück zur Schule zu gehen. Herr Ellenberg rief: „Wo bleibt denn Friederike?“

Friederike saß noch immer verträumt auf ihrem Platz und rührte sich nicht.

„Friederike! Schlaf nicht im Sitzen ein! Wir müssen zurück zur Schule!“

Friederike schrak aus ihrer Erstarrung hoch und gesellte sich zu den anderen.

Als alle wieder in der Klasse saßen, konnte sie sich noch immer nicht von den Bildern lösen, die in ihrem Kopf herumschwirrten. So gelang es ihr nicht, während des Rests der Stunde aufzupassen, und als Herr Ellenberg fragte, was ihnen denn am meisten gefallen hätte, sagte sie laut und mit verträumten Augen, ohne es zu wollen: „Kasperl Larifari!“

Roman feixte und spottete: „Friederike hat sich in den Kasperl verliebt!“

„Blöder Kerl!“, sagte Friederike laut in die Klasse und wurde von Herrn Ellenberg streng ermahnt. Sie war froh, als es zur Pause klingelte.

 

Friederike lief mit den anderen hinunter auf den Hof, aber sie blieb am Rand der hohen Büsche stehen und blickte durch sie hinaus auf die Wiesen, die sich jenseits des kleinen Flusses zu einer Auenlandschaft erweiterten.

In der Ferne hörte sie ein leises Gekicher, das näher kam und anschwoll. Es lachte die ganze Tonleiter hinauf und hinunter und dröhnte schließlich wie ein mächtiger Bass. Mit tiefen Lachern kam es näher gesprungen. Dann blieb es ruhig.

„Kasperl Larifari?“, fragte Friederike leise.

Es war, als ob das Lachen überrascht sei, Friederike hier zu treffen. Es stutze aber nur einen Augenblick.

„Was ... machst du hier?“, wollte Friederike fragen, aber dazu kam sie gar nicht, denn kaum hatte sie den Mund aufgetan, da fuhr es ihr hinein, und sie fing an, mit ganz hoher Stimme zu kichern und sich zu schütteln.

Roman kam heran und fragte: „Was ist mit dir?“

Friederike antwortete nicht.

„Warum kicherst du so?“

Dann machte er Herrn Ellenberg nach und fragte mit tiefer Stimme: „Was soll diese unpassende Kindlichkeit?“

Nina hatte alles mit angehört und fragte: „Warum schüttelst du dich so?“

„Ich muss, ich muss!“, lachte Friederike. „Das Gelächter Kasperls ist in mir!“

„Das Gelächter Kasperls? - Spinnst du?“

„Ja, das Lachen Kasperls; ich spüre es in mir; es poltert und purzelt mir durch die Därme, es zerreißt mich noch.“

Und sie lachte: „Hihi, Haha, Hoho!“

Dann kreischte sie: „Achtung, es fährt aus mir heraus!“

Sie drehte sich vor Lachen, dann plötzlich donnerte es hinten aus ihr heraus und fuhr mit einem Ruck Roman in die Nase.

Der war zunächst verdutzt, dann krümmte er sich vor Lachen und rief: „Ich spür's in meinen Nasenflügeln, beißender als Rauch. Huhu! Haha! Hatschi!“

Immer mehr Kinder aus der Klasse hatten sich eingefunden und sahen dem Schauspiel zu.

„Jetzt rutsch es mir durch den Kehlkopf, huch wie das kitzelt! Da, da, jetzt schüttelt es hohl aus meinem Bauch. Hoho! Hoho! Hoho!“

„Soll ich es totschlagen?“, fragte Benjamin.

„Ja, ja! Es lächert mich ja so furchtbar!“, prustete Roman, sprang wie wild hin und her und zeigte auf seinen herausgestreckten Bauch, in dem es ruckte und strampelte.

„Tu doch was!“, rief er, „ich halte das nicht mehr aus!“

Benjamin boxte ihn in den Bauch, sofort stand Roman still.

„Jetzt habe ich es tot geboxt!“, triumphierte Benjamin.

„Au!“, schrie Roman, hielt sich den Bauch mit beiden Händen und knickte in der Mitte ein.

Wieder rumste es kräftig.

„Nein, nicht ich!“, rief Björn, aber da war Kasperls Lachen bereits durch seinen Mund in ihn hineingefahren, und er stand da, kicherte, schnaufte und lachte schließlich so dreckig, dass die anderen einstimmen mussten und so lange aus vollem Halse lachten, bis ihnen die Tränen kamen.

 

Aber ihnen allen sollte das Lachen noch vergehen, denn was weiter geschah, war alles andere als lächerlich. Immer schneller sauste das Lachen aus dem einen hinten heraus und in den anderen vorne hinein. Schließlich war jeder aus der Klasse einmal dran gekommen, und das Lachen hörte sich, je weiter es herum kam, immer gewöhnlicher und gemeiner an.

Als schließlich alle an der Reihe gewesen waren, kriegte Friederike einen Schreck.

„Nein, nicht schon wieder!“, dachte sie, aber sie konnte nichts dagegen tun, dass es erneut in sie hinein lächerte und gewaltig in ihr tobte und rumorte. Nun war ihr aber gar nicht mehr zum Lachen zu Mute. Alles tat ihr vom vielen Gelächter schon weh; sie würgte ein paar Gluckser hervor, die sich zwar albern anhörten, die für sie aber eher der Ausdruck eines inneren Schmerzes und einer allmählichen Verzweiflung waren.

Gleich darauf war Nina an der Reihe, dann krümmte sich Freia, es traf Tanja und nacheinander Rhea, Sonja und Susanne. Sarah wollte weglaufen, aber das Lachen holte sie ebenso ein wie Nis, Karsten, Henning und alle die anderen. Nur Binh blieb komischerweise verschont, worüber sich aber im Augenblick keiner der anderen Gedanken machte. Alle waren nur mit sich selbst beschäftigt, denn das Lachen wechselte immer schneller von einem zum anderen.

 

Die nächste Stunde hatte längst begonnen. Eigentlich sollten alle im Klassenraum sitzen und Herrn Kropp zuhören. Aber in der Klasse war niemand. Herr Kropp, der einen Streich vermutete, suchte seine Schüler; schließlich fand er die Jungen und Mädchen, die meisten lagen bereits auf den Boden hingestreckt, einige krümmten sich noch auf den Knien und stöhnten. Nur Binh stand da und begriff nicht, was das alles bedeuten sollte.

„Die haben plötzlich alle so gelacht“, sagte er.

„Die Lachpest! Die Lachpest!“, rief Herr Kropp, als ob er wüsste, was eben passiert war.

„Wo seit Ihr denn heute Morgen gewesen?“, fragte er misstrauisch.

Binh erzählte es ihm, und Herrn Kropps Gesicht wurde ernst, ja sein Blick wurde bedenklich, sehr bedenklich.

„Das ist ja furchtbar“ sagte er mit Nachdruck, „Eine schlimme Sache; dagegen muss sofort etwas unternommen werden!“

„Was ist denn mit denen?“, fragte Binh.

„Sie haben Kasperls Lachen im Bauch“, erklärte Herr Kropp. „Es ist der reine Wahnsinn! Das kommt von dem Theaterbesuch von heute Vormittag. Irgendwie muss das Lachen seinem Herrn entkommen sein. Diese hier“, und er wies mit einer großen Geste auf die herumliegenden Kinder, „sind Opfer des unmäßigen Lachens eines völlig verantwortungslosen, ungezügelten Burschen.“

Die Kinder waren inzwischen wieder aufgestanden und umringten Herrn Kropp und Binh. Allen tat etwas weh, manchen alle Knochen; einige schluchzten vor Schmerzen, andere schauten vor Angst mit aufgerissenen Augen auf ihren Lehrer.

„Kommt das wieder?“, fragte Claudia.

„Das kann jederzeit wieder losgehen!“, bestätigte Herr Kropp. „Jeder von euch war von Kasperls Lachen besessen. Und in irgend einem von euch steckt es noch immer drin. Jetzt ist es erschöpft und muss sich erst ein wenig ausruhen. Aber sobald es zu Kräften gekommen ist, wird es wieder in euch herumtoben, bis ihr zusammenbrecht.“

„In wem ist es denn jetzt drin?“, fragte Nadine.

Friederike spürte ein Gluckern im Bauch, ein eisiger Schreck durchfuhr sie. „In mir ist es!“, dachte sie und malte sich entsetzt aus, wie es sie wieder schmerzhaft lächern würde.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Herr Kropp. „Aber wir werden es bald erfahren, denn es ruht nicht lange aus.“

Friederike spürte, dass ihr schlecht wurde.

„Warum tut es das?“, wollte Nadine wissen.

„Es muss sich verliebt haben“, sagte Herr Kropp.

„Verliebt? Das Lachen? In wen?“, fragte Roman.

„Das ist so,“ erklärte Herr Kropp, der sich in diesen Dingen zum Erstaunen der Kinder recht genau auskannte, „wenn sich Kasperls Lachen während einer Aufführung in eine der Zuschauerinnen verliebt, dann erfasst es eine tiefe Sehnsucht, die ganz plötzlich von ihm Besitz ergreift und es nicht mehr loslässt. Wenn dann nach Ende der Vorstellung der Kasperl einen kräftigen Schluck nimmt, schläft er auch bald ein. Er schnarcht, öffnet den Mund, und sein Lachen drängt heraus. Es verlässt seinen Herrn, fliegt davon und sucht und sucht, bis es die geliebte Person gefunden hat. Dann fährt es in sie hinein und lächert sie in Grund und Boden. Ihr habt das ja gerade erlebt.“

„Und warum ist es durch uns alle hindurch gefahren, wenn es sich in Friederike verliebt hat?“, fragte Roman.

„Weil es in einem Menschen nicht lange stecken bleiben kann. Kasperl ist eine Holzpuppe, die keine Seele hat. Er hat nur sein Lachen. Wenn das Lachen aber in euch hineinfährt, trifft es auf eure Seele, die schon in euch drin ist. Da rangeln die beiden miteinander, und das fremde Lachen muss schon bald wieder hinaus, denn auf Dauer ist nur für einen von beiden in euch Platz. So tobt es von einem zum anderen und das so lange, bis es erschöpft ist und nicht mehr kann. Dann lässt es eure Seele in Frieden, und ihr habt für eine Weile Ruhe.“

„Und wann kann es wieder?“, fragte Friederike leise.

„Nach ein, zwei Stunden kann es schon wieder loslachen“, sagte Herr Kropp.

Für Friederike war diese Auskunft alles andere als beruhigend. Ängstlich lauschte sie in sich hinein, aber mehr als ein mattes Glucksen konnte sie nicht spüren.

 

Herr Kropp hatte inzwischen ein Gesicht aufgesetzt, das allen signalisierte: Jetzt wird etwas Wichtiges geschehen.

„Ihr geht in euer Klassenzimmer und wartet!“, ordnete er an und stolzierte ins Schulgebäude. Die Schülerinnen und Schüler stiegen die zwei Treppen hinauf und setzten sich auf ihre Plätze. So ruhig wie heute ging es dabei selten zu. Allen war der Schreck doch mächtig in die Knochen gefahren.

Nur Roman stichelte: „Kasperls Lachen liebt Friederike! Kasperls Lachen liebt Friederike! Na, du Lachbraut, wie fühlst du dich?“

Aber Friederike konnte weder darüber lachen noch fiel ihr sonst etwas Passendes ein.

„Hoffentlich schläft das dämliche Lachen noch lange oder besser verschwindet ganz aus mir!“, wünschte sie sich.

Nach ein paar Minuten war Herr Kropp auch wieder da und nicht allein. Nein, er hatte sich als Verstärkung Herrn Tölke und Herrn Ellenberg mitgebracht, und schließlich kam auch noch Frau Kindel.

Alle Lehrer schauten ernst und bedrückt auf die Kinder.

„Wenn das nur gut geht!“, murmelte Herr Tölke.

„Was ist denn mit den Kindern?“, fragte Frau  Kindel.

„Die Lachpest! Die Lachpest!“, rief Herr Kropp.

„Aha! Das ist es also!“, sagte Herr Ellenberg.

„Könnte mir vielleicht endlich jemand verraten, was hier vorgeht?“, fragte Frau Kindel etwas erregt.

„In die Kinder ist Kasperls Lachen gefahren!“, erklärte Herr Kropp.

„Was ist in sie gefahren?“, fragte Frau Kindel und riss dabei die Augen auf, dass Tim schon befürchtete, sie könnten ihr aus dem Gesicht fallen.

„Kasperls Lachen. Sie haben die Lachpest!“, wiederholte Herr Kropp.

„Was sollen die haben?“, rief Frau Kindel mit kreischender Stimme. Sie ruderte dabei mit beiden Armen und schnappte mit dem Mund nach Luft. „Ihnen ist der Pausenkaffee wohl nicht bekommen! Sie wollen mich doch nicht auf den Arm nehmen?“

„Fällt mir nicht ein“, entgegnete Herr Kropp, und Herr Ellenberg beeilte sich hinzuzufügen: „Nun sagen Sie bloß, Sie hätten noch nie etwas von der Lachpest gehört?“

Frau Kindel sagte nichts mehr. Einigen schien es, als ob ihr die Worte im Hals stecken geblieben wären.

In Friederikes Bauch rumorte es heftiger und immer heftiger. Ein gurgelndes Glucksen drang aus ihrem Hals heraus und entlud sich in meckerndes Lachen.

Frau Kindel rief hysterisch: „Friederike!“, und ihr Gesichtsausdruck war unbeschreiblich, „einfach un-be-schreib-lich!“, wie Christian noch Wochen nach diesen Ereignissen unter krampfähnlichen Lachanfällen immer wieder erzählen musste.

Die Situation sah so komisch aus, dass alle in lautes Gelächter ausbrachen. Sogar Herr Kropp verzog sein todernstes Gesicht ein wenig, und auch Herrn Ellenbergs bierernste Miene erheiterte sich etwas. Neben ihrem Stuhl krümmte Friederike sich vor Lachen, vor ihr stand Frau Kindel mit erhobenen Händen und hochrotem Kopf und schrie: „Kind! Kind! Was ist dir?“

Dann knallte es heftig, und das Lachen fuhr aus Friederike heraus. Wohin es sich wendete, konnte keiner sehen, aber dann lachte Herr Ellenberg unter so heftigen Zuckungen, dass er seine Brille verlor.

„Hören Sie doch auf, ich weiß, dass es nicht Ihre Natur ist, so albern zu kichern!“, rief Frau Kindel, die noch immer nichts begriff.

Nur ein paar Sekunden hielt es Kasperls Lachen in Herrn Ellenbergs Bauch aus, dann rumste es, dass die Scheiben klirrten, und Herrn Tölkes Brüllen übertönte alles andere.

Und dann kam Herr Kropp an die Reihe. Das hättet Ihr einmal sehen sollen! An dem Mann hätte sich Kasperls Lachen die Zähne ausgebissen, wenn es denn welche gehabt hätte. Da war nichts zu lächern, es rüttelte und schüttelte zwar heftig, aber kein noch so kleines Lächeln vermochte sich aus dem fest verschlossenen Lippen zu stehlen. Die Seele dieses Mannes schien mir nichts, dir nichts mit Kasperls Lachen fertig zu sein. Und so schnell, wie aus diesem Menschen, war das Lachen noch aus keinem herausgeschnurzt.

Und wer wurde sein nächstes Opfer? Natürlich Frau Kindel. Sie hatte noch keine Zeit gefunden, sich über das dumpfes Blöken in Herrn Tölke oder das tonlose Toben in Herrn Kropp zu mokieren, da nahm Kasperls Lachen von ihr Besitz und schüttelte sie durch, wie es ihr vorher noch nie passiert war. Ja, Kasperls Lachen lächerte sie so, dass ihr die Füße weggerissen wurden und sie lang auf den Fußboden knallte. Da lag sie und wand sich in Lachkrämpfen. „Hihihu! Hahahihu!“, brüllte sie schmetterte ein Lachen durch den Klassenraum, dass Gyde schon insgeheim befürchtete, die Tafel würde aus der Verankerung in der Wand herausgerissen.

Von den Kindern lachte keines. Jetzt war der Spaß vorbei, und alle schauten mitleidig, aber hilflos zu, wie sich Frau Kindel in ihren schrecklichen Krämpfen zwischen den Tischen und Stühlen hin und her wälzte.

 

Plötzlich flog die Tür auf und eine Gestalt sprang herein. Sofort herrschte Totenstille und auch Frau Kindel wurde vom Lachen in Ruhe gelassen. Tief durchatmend erhob sich vom Fußboden und ließ sich von Herrn Ellenberg auf einen Stuhl geleiten.

Es war Kasperl Larifari. Hoch aufgerichtet stand er im Türrahmen und schritt würdevoll in den Klassenraum. Sein hölzernes Gesicht sah unverändert aus, aber Friederike glaubte, ernste Sorgenfalten auf der Stirn zu erkennen.

„So was ist mir lange nicht mehr passiert“, begann er ohne Gruß. „Ich wachte auf und warte - wie gewöhnlich - auf meinen ersten lustigen Einfall, aber ich blieb ernst wie eine Blutwurst. Kein dummer Scherz, rein gar nichts! Ich erzählte mir selber die schönsten Witze und betrachtete mich dabei im Spiegel, aber mein Mienenspiel spielte überhaupt nicht mehr mit. Da hörte ich ganz weit weg mein eigenes Lachen, wie es sich von mir entfernte. Es lachte genau wie ich, ganz weit draußen aus mir, und ich wusste: Kasperl, dein Lachen hat dich verlassen.“

„Es hat sich verliebt!“, sagte Herr Kropp.

„In Friederike!“, sagte Roman.

„Jetzt hockt es aber in Frau Kindel“, sagte Herr Ellenberg.

 

Kasperl trat ein paar Schritte näher und blickte Frau Kindel, die erschöpft auf ihrem Stuhl hockte, tief in die Augen.

„Du bist Frau Kindel?“, fragte er. „Gib mir einen Kuss!“

„Pfui, Kasperl, so etwas tue ich nicht!“, sagte Frau Kindel; ihre Antwort sollte empört klingen, aber sie musste herzhaft dabei lachen.

„Bitte, bitte, nur einen kleinen Kuss hier her“, sagte er mit einer Leichenbittermiene.

„Wo hin? Auf die Backe?“, kicherte Frau Kindel.

„Nein, hier auf den Mund!“

„Aber nein, Kasperl, nein! das tue ich nie und nimmer!“, rief Frau Kindel und musste dabei so herauslachen, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und wieder hinzustürzen drohte.

Gleich war Kasperl bei ihr und fing sie im Fallen auf. Als er sie fest in seinen Armen hielt, beugte er sich über sie. Frau Kindel sah noch, wie sich sein halbmondförmiger Mund dem ihren näherte, dann schloss sie die Augen und presste die Lippen zusammen. Sie spürte den hölzernen Mund auf ihrem Mund, sie wollte schreien, da fuhr es aus ihrem Mund heraus, dass sie heftig zur Seite geschleudert wurde. Kasperls Lachen!

Sie öffnete ihre Augen und sah in das starre Gesicht Kasperls. Sein Lachen schien ihn anzuspringen wie ein Hund, der sich über das Wiedersehen mit seinem Herrn freut. Aber es kam nur bis zu Kasperls Bauch. Dessen Miene verklärte sich andächtig, dann sperrte er sein Maul auf und ging etwas in die Knie, da flog es hinein. Sogleich rumorte ein heiseres Lachen in Kasperls Körper, dass ihm der Bauch wackelte.

„Noch nie war mir so lächerlich zu Mute wie heute!“, rief er und vollbrachte Riesensprünge. Die Kinder und ihre Lehrer bildeten einen Kreis um Kasperl.

„Mein Lachen ist wieder da! Mein Lachen!“, schrie es begeistert aus ihm heraus. „Hurra! Kasperls Lachen ist wieder da!“

Und alle stimmten erleichtert ein: „Hurra! Kasperls Lachen ist wieder da!“

 

Nun wollt Ihr sicher noch wissen, warum Kasperls Lachen nicht in Binh hineingefahren ist. Das weiß ich auch nicht. Aber wenn ihr Kasperl Larifari einmal begegnet, dann fragt ihn doch! Vielleicht erzählt er es euch.

 

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