Mit einem Anflug von Schwärmerei ‒ „Polterabendszene“ (1840)

 

Während seines Hamburger Aufenthaltes im Herbst 1840 erfuhr Storm, dass eine Freundin von Bertha bald heiraten sollte; da Bertha bei dieser Hochzeit anwesend sein würde, beschloss er, für sie eine dramatische Szene zu schreiben, die das Mädchen während des Polterabends vortragen konnte. Nach seiner Rückkehr schrieb er in Kiel folgende dialogisierte Verse nieder und schickte sie an Bertha:

 

Polterabendszene1

Der Knabe muss keck, naiv und zutraulich gespielt werden; das Mädchen mit einem über ihre Jahre hinaus gerückten Schmelz der Empfindung und einem Anflug von Schwärmerei, den ihr die Ausübung ihrer ernsten, phantastischen Kunst aufgedrückt hat.

Zigeunermädchen den Zigeunerbuben an der Hand.

 

Bube.                          Du ziehst mich fort durch die Winternacht!
                                   Theresittchen, ich denk, da sind wir zur Stelle.
                                   Hier glänzet das Fest und die Blume lacht
                                   Und die Kerzen flammen in freundlicher Helle.

Dirne.                         Die Kerze flammt ‒ wir sind zur Stelle!
                                   Geh, rast an der Tür, mein kleiner Geselle.

Bube.                          Ei lass doch auch mich meine Künste üben!
                                   Du weißt, manch Sprüchlein habʼ ich zu sagen.

Dirne.                         Du töricht Kind! Nicht des Kummers Nagen
                                   Hast du erkannt, weder Hass, weder Lieben!
                                   Wer die Rätsel der Zukunft will erfragen,
                                   Muss die Lösung im eigenen Herzen tragen.

Bube.                          So lass mich doch!

Dirne.                         Ich fühlʼs, hier weilt das Glück!
                                   Die Norne schläft ‒ hier dürfen Kinder spielen.
                                   So geh denn hin! ‒ Ich suchʼ die Braut mir auf;
                                   Ich will sie leicht erkennen aus den vielen.
                                   Ein bräutlichʼ Augʼ das schaut so eigen drein,
                                   Als wie am Waldessaum der Morgenschein, ‒
                                   Als wie im Morgenschein die junge Rosʼ,
                                   Als wie der Tropfen Taus in ihrem Schoß.

(Sie tritt, gefolgt von dem Knaben, weiter vor und sieht sich, den Finger an die Lippen legend, unter den Damen um.)

                                    Istʼs wohl die Blonde? ‒ Nein! die denn? ‒ Doch nein!

(auf die Braut zugehend)

                                    Mir sagtʼs das Herz! Du musst die Rechte sein!
                                    Gib mir die Hand! es soll Dich nicht gereuen!

(Sie nimmt die Hand der Braut und studiert die Linien)

Bube.                          (geht rasch auf den Bräutigam zu)

                                    Grüß Gott Euch, Herr! Ihr seid der Bräutigam;
                                    Ich sehʼs Euch, gelt, gleich an der Nase an.
                                    Die Schwester meint, sie nur könnʼ prophezeien.
                                    Doch lasst mich nur! ‒ Zwar möchtʼ ichʼs noch nicht wagen,
                                    Den Damen aus der Hand ihr Temprament zu sagen;
                                    Denn schaut! Was drin im Herzchen wird getrieben,
                                    Das steht oft nicht so rein in flacher Hand geschrieben.

(Hat die Hand genommen die er mit eifrigen Gebärden beschaut)

Dirne.                         Doch ehʼ ich rede, musst Du mir vertraun!
                                   Die Mutter war von den klugen Frauen,
                                   Die hat mich gelehrt, durch Wirren und Nacht
                                   Die Rätsel der Zukunft entschleiert zu schauen.
                                   Geboren bin ich in Waldespracht,
                                   Im Böhmerland, wo im tiefen Schacht
                                   Verborgen schläft des Kristalles Helle;
                                   Wo des leichtbeweglichen Blutes Welle
                                   Starr in Rubinen gefesselt liegt;
                                   Wo der Alraun wächst, wenn der Schuhu fliegt;
                                   Wo die Mitternacht plaudert in dunkeln Zweigen;
                                   Wo das Elfenhorn klingt zum luftigen Reigen.

(Nimmt wieder die Hand, die sie indes hat sinken lassen, und richtet emsig Blick und Gedanken darauf.)

Bube.                          Herr, Ihr habt Herz ‒ gehabt; doch leider jetzt nicht mehr!
                                   Ein leeres Plätzchen nur, studierʼ ich noch so sehr!
                                   Der Wechselwinkelzug! Ei schaut!
                                   Ihr habt das Herz vertauscht ‒ fürs Herzchen Eurer Braut!

(Studiert, während die Dirne spricht, weiter)

Dirne.                         Ein schmales Kreuz ‒ ‒ ein leichter Zug hinüber ‒ ‒
                                   Nicht immer warst Du froh; doch froher noch denn trüber!
                                   Vergangnes Leid sind gegenwärtʼge Freuden,
                                   Und Leben heißt ein bunt Gemisch aus beiden.
                                   Doch schlug der Himmel Dir noch keine von den Wunden,
                                   Die nimmermehr in aller Zeit gesunden.

(Studiert weiter)

Bube.                          Nun merket auf! Die dicke Linie hier,
                                   Herr Bräutʼgam, das bedeutet Ihr!
                                   Und die schmale dünne daneben,
                                   Das ist die Jungfer Braut, Euer Liebʼ und Leben.
                                   Doch ehʼ sie zusammentreffen, die Beugung ‒ ‒

(Höchst wichtig)

                                   Das bedeutet lange schweigsame Neigung!
                                   Kein Herz schon hattet Ihr, und lang noch keine Lunge;
                                   Drum tragt Ihr aber auch das Herz nicht auf der Zunge!

(Studiert weiter)

 

Reinschrift von Storms Polterabendszene

 

Dirne.                         „Du sollst den Vater und die Mutter lieben!“
                                    Nicht das Gebot ‒ das steht in jedes Herz! ‒
                                    Du hastʼs erfüllt! Das lesʼ ich klar geschrieben ‒
                                    Mit Freudigkeit in Freude wie in Schmerz!

(Studiert weiter)

Bube. (redselig)

                                    Ei wie das sich kreuzt auf dem kleinen Felde!
                                    Ein Glücksrad, ein großer Beutel mit Gelde,
                                    Eine Million oder zwei und die Zinsen dazu,
                                    Ein großes Haus, zwei Pferdʼ, eine Kuh,
                                    Und Gänse und Enten und Hühner die Menge,
                                    Und Mägde und Diener in lautem Gedränge!
                                    Und „Eia popeia, so schlafe, mein Kind!“
                                    Das flattert und rennet und saust wie der Wind!
                                    Und wenn in der Mitte das Weibchen nicht wär,
                                    In Ordnung kämʼs nimmer und nimmermehr!

(Studiert weiter)

Dirne.                         Vergangenheit nur lesʼ ich aus der Hand! ‒
                                    Aus Deinem Augʼ lass mich die Zukunft lesen,
                                    Lass mich Dich anschaun kurz, doch unverwandt! ‒

(Sie sieht ihr tief und sinnend in die Augen, und spricht nach kurzer Pause geheimnisvoll und bedeutsam:)

                                    Und also wird es sein, weilʼs also ist gewesen!

                                                    „Mehr Ruh, denn Glanz,
                                                    Mehr Glück denn Leiden!
                                                    Nur eine Liebʼ,
                                                    Doch tausend Freuden
                                                    Von Vielen nicht gekannt,
                                                    Gehasst von Keinen;
                                                    Geliebt von Allen;
                                                    Die sich Dir vereinen!“

(Nach einer kurzen Pause, mit Herzlichkeit.)

                                    Bist Du zufrieden, denk an mich zurück,
                                    Wenn reich lebendig wird mein armes Wort!
                                    Du hastʼs verdient; drum trägst Du leicht dein Glück ‒ ‒

(mit Schmelz)

                                    Ich aber ziehʼ von Dir in meine Wälder fort,
                                    Wo hell zum Tanz das Tamburin erklingt,
                                    Wenn der Zigeunerbubʼ die blanke Schwester schwingt; ‒

(schwärmend)

                                    Die Schelle rauscht, die bunten Bänder fliegen;
                                    Es weicht die Nacht, ‒ hoch auf die Flammen siegen.
                                    Hinaus, hinaus! ‒ Lebʼt wohl! Noch einen Blick!
                                    Und lacht Dein Himmel, denk an mich zurück!

(Sie küsst in tiefer, langsamer Verbeugung der Braut die Hand und geht langsam ab.)

Bube.                          Verzeiht mir, Herr, ich bin noch in der Lehre!
                                    Hier wirdʼs mir, gelt, ein bissel gar zu kraus.
                                    Doch siehts, beim Nepomuk und meiner Ehre!
                                    Wie eitel Glück und eitel Segen aus.
                                    Die Schwester geht! lebt wohl und lebt in Freuden!
                                    Was ich nicht konnte ‒ muss die Zeit entscheiden!

(ab.)

(Die Dirne muss soviel Zeit mit dem Handkuss und ihrem Abgang hinbringen, dass der Bube sie noch an der Tür einholen kann)

 

Der Dankesbrief2 von Bertha kam diesmal schnell. Bereits am 15. November schrieb sie: Mein lieber Theodor, recht vielen Dank für die treue und hübsche Ausführung, soll ich Dir von Mutter sagen; sie glaubt, dass es Dir Freude machen wird, zu hören, dass sie in meiner Rolle gar nichts geändert hat; […] ich danke Dir aber noch ganz besonders für meine Rolle, die Worte sind so sehr hübsch! Eduard Ahl führt seine Rolle über meine Erwartung gut aus; wir haben schon in der vorigen Woche Probe gemacht; Mutter sagt wir müssen es oft schlecht machen, damit es nachdem gut werde. ‒ Unsere Anzüge sind schon gemietet, sie sind recht nett und wir hoffen dass wir einen guten Eindruck machen werden. […] Wenn dieser wichtige Zeitpunkt vorüber ist, will ich Dir Nachricht geben, wie Dein Werk gefallen hat; ich wollte erst mit meiner Antwort so lange warten, denn wir glaubten, die Hochzeit würde bald sein; nun ist sie aber auf Ende November oder Anfang Dezember angesetzt; und da kam es mir doch vor, als wäre es nicht freundlich von mir gewesen, hätte ich Dich so lange warten lassen.

Solche Gelegenheitsgedichte haben eine lange Tradition; sie wurden zu wichtigen Anlässen wie Hochzeiten, Kindtaufen, Leichenbegängnisse, Doktorpromotionen, städtischen oder höfischen Feste verfasst und verdanken sich in der Regel der Inspiration eines Augenblicks, der nun im Gedicht festgehalten ist. Im bürgerlichen Leben des 19. Jahrhunderts wurde das Gelegenheitsgedicht zur Privatsache, das ein hierzu Begabter in der Regel in Form einer Rede in Versen vorträgt.

Storms Polterabendszene gewinnt aber durch den biographischen Bezug zu seiner Liebe eine zusätzliche Bedeutung. Er nennt das Mädchen Theresitta und spielt damit auf Therese Rowohl an („Kind von Therese“), deren Vorname durch die Endung -itta eine zigeunerhaften Klang erhält. Zugleich idealisiert er das Zigeunermädchen, indem er ihm Züge verleiht, die von seiner Vorstellung des geliebten Mädchens gespeist werden. Damit beschreibt er in dieser Szene wie in vielen seiner Liebesgedichte seine ganz persönliche Vision der erträumten Braut. Zugleich lässt er Bertha das aussprechen, was er so brennend gern von ihr persönlich hören möchte.

Die Dirne trägt also Züge der Bertha, die Theodor bei seinem Besuch im Oktober in Hamburg erlebt hat, wird aber zugleich mit einem über ihre Jahre hinaus gerückten Schmelz der Empfindung und einem Anflug von Schwärmerei versehen, den ihr die Ausübung ihrer ernsten, phantastischen Kunst aufgedrückt hat. Die Regieanweisung beschreibt damit, was erst durch die Aufführung der Szene geschehen soll. Bertha muss davon etwas gespürt haben, denn sie schreibt über die Proben, die sie mit dem Darsteller des Buben unter Anleitung ihrer Pflegemutter absolviert hat: Du wolltest keine Masken für uns haben; allein das ist mir ganz unumgänglich notwendig, die Dichtung würde sehr verlieren denn ich könnte, wäre ich erkannt, nimmer ungeniert sprechen, und den richtigen Ausdruck einlegen.

Der Knabe muss keck, naiv und zutraulich gespielt werden, denn er spricht direkt aus, was sein Erfinder über die vorgestellte Angelegenheit denkt. Der Dirne teilt er die Aufgabe zu, für das Brautpaar die Rätsel der Zukunft zu lösen, deshalb muss sie die Lösung im eigenen Herzen tragen. Nach der Ankunft erkennt die Dirne intuitiv, wer der anwesenden jungen Frauen die Braut ist, die ja am Polterabend noch nicht im Brautkleid erscheint, denn: Ein bräutlichʼ Augʼ das schaut so eigen drein.

Storm lässt Bertha in seiner Fiktion zweimal erscheinen; zunächst ist sie das Theresittchen, also die kleine Therese, das Kind, das aus dem Böhmerland stammt, Wo der Alraun wächst, wenn der Schuhu fliegt; dadurch ist sie Trägerin einer magischen Kraft, denn die Alraune, die Wurzel eines Nachtschattengewächses, war im Volksglauben ein Liebeszauber. Sie ist die Tochter einer klugen Mutter, von der es heißt: Die hat mich gelehrt, durch Wirren und Nacht/ Die Rätsel der Zukunft entschleiert zu schauen.

Die Zigeunerkinder lesen nun Braut und Bräutigam die Handlinien; der Bube die des Bräutigams, die Dirne die der Braut. Damit spiegelt der Verfasser sein Verhältnis zu Bertha in den Charakteren von Braut und Bräutigam, so dass er Bertha ein zweites Mal erscheinen lässt, nun als Braut am Abend vor dem Hochzeitstage.

Die Dirne traut sich nicht zu, Den Damen aus der Hand ihr Temprament zu sagen; / Denn schaut! Was drin im Herzchen wird getrieben, / Das steht oft nicht so rein in flacher Hand geschrieben.

Das, was die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch (Stichwort Temperament) die natürliche geblütsmischung und gemütsstimmung, die eigenthümliche naturanlage und gemütsart nennen, lässt sich durch die Deutung der Handlinien zunächst nur als ihr Temperament beschreiben, als die körperliche constitution (den starken oder schwachen bau) und complexion (das flüssige, durch die lebenskraft gesetzmäszig bewegliche im körper; worin die wärme oder kälte in bearbeitung dieser säfte mit begriffen ist).

Die Dirne spricht die Braut an, meint aber Berthas Vergangenheit: Nicht immer warst Du froh; doch froher noch denn trüber! / Vergangnes Leid sind gegenwärtʼge Freuden, / Und Leben heißt ein bunt Gemisch aus beiden. /Doch schlug der Himmel Dir noch keine von den Wunden, / Die nimmermehr in aller Zeit gesunden.

Über den Bräutigam lässt Theodor den Buben sagen: Kein Herz schon hattet Ihr, und lang noch keine Lunge; Drum tragt Ihr aber auch das Herz nicht auf der Zunge! Das ist eine direkte Anspielung darauf, dass sich Theodor gegenüber Bertha nie klar genug ausgedrückt und auch seine Liebe noch nicht ausgesprochen hat.

Die Dirne zitiert das biblische Gebot „Du sollst den Vater und die Mutter lieben!“ und bestätigt, dass die Braut dieses natürliche Gebot als Gefühl verinnerlicht und es auch so gelebt hat; Nicht das Gebot ‒ das steht in jedes Herz! ‒/ Du hastʼs erfüllt! Das lesʼ ich klar geschrieben ‒/ Mit Freudigkeit in Freude wie in Schmerz!

Danach entwirft der Bube ein Bild der bäuerlichen Familie und zitiert mit dem Vers „Eia popeia, so schlafe, mein Kind!“ aus Nr. 1 der „Sechs deutsche(n) Lieder“ op. 25 von Louis Spohr (1784-1859), Text von Karl Emil Konstantin von Goechhausen (1778 -1855) aus dem Jahre 1809. Die erste Strophe lautet3: Eia popeia, so leise, so lind/ wieg dich in Schlummer, du liebliches Kind!/ Lass dich nicht stören den hellen Schein,/ Muttertreu hütet das Bettchen dein. Damit sagt er dem Bräutigam unter anderem voraus, dass die Ehe durch Nachwuchs gesegnet sein werde. Diese Anspielung erschien Therese Rowohl aus dem Munde Berthas unschicklich und daher hat sie sich die Freiheit genommen, einiges auszulassen und ab zu ändern (Bertha in ihrem Brief vom 15.11. 1840 an Theodor).

Das Handlesen hat etwas über den Charakter der Braut zu Tage gefördert; alles, was die Dirne der Hochzeitsgesellschaft erzählt, bezieht sich auf Vergangenes, auf die gemütsart, wie sie sich in den menschen ausgeprägt hat: der wille, der von den naturgaben gebrauch machen soll und der darum character heiszt. (DWb) Dann liest die Dirne im Auge der Braut deren eigentliches Temperament; als temperament der seele (gefühls- und begehrungsvermögen) werden jene, von der blutbeschaffenheit entlehnte ausdrücke nur als nach der analogie des spiels der gefühle und begierden mit körperlichen bewegenden ursachen (worunter das blut die vornehmste ist) vorgestellt.

 

Und mitten in den Dialogen finden wir wiederum ein Liebesgedicht, in dem Theodor über das zukünftige Leben spricht, das er Bertha wünscht: Mehr Ruh, denn Glanz,/ Mehr Glück denn Leiden!/ Nur eine Liebʼ,/ Doch tausend Freuden/ Von Vielen nicht gekannt,/ Gehasst von Keinen;/ Geliebt von Allen;/ Die sich Dir vereinen!

In der Polterabendszene spaltet der Dichter seine fiktive Bertha-Gestalt also in zwei Personen auf, in das Zigeunermädchen aus Böhmen, das er als eine mit Bertha etwa gleichaltrige 15jährige Dirne auftreten lässt und der er Züge verleiht, die denen der wirklichen Bertha gleichen. Die zweite Bertha-Gestalt ist die Braut der Polterabendszene; dieser schreibt er Eigenschaften zu, die er in seiner Phantasie von seiner zukünftigen Braut vorwegnimmt; sie repräsentiert damit die bräutliche Bertha, die er in einigen Jahren heiraten möchte. Als Dirne prophezeit Bertha der Braut: Bist Du zufrieden, denk an mich zurück,/ Wenn reich lebendig wird mein armes Wort!/ Du hastʼs verdient; drum trägst Du leicht dein Glück ‒ ‒ und dann verabschiedet sie sich mit den Worten; Hinaus, hinaus! ‒ Lebʼt wohl! Noch einen Blick!/ Und lacht Dein Himmel, denk an mich zurück!

Zum Schluss lässt er den Buben sagen: Verzeiht mir, Herr, ich bin noch in der Lehre! und ihn dadurch dieses im Ganzen zu rosige Bild von der Zukunft der Braut wieder etwas relativieren: Was ich nicht konnte ‒ muss die Zeit entscheiden!

In ihrem Brief vom 31. Dezember 18404 berichtet Bertha über die Wirkung, die ihre kleine Aufführung gemacht hat: Nun soll ich Dir wohl noch einen kleinen Bericht geben, wie wir Deine Dichtung am Polterabend ausgeführt haben. Es ging alles sehr glücklich ab, wir haben Dir keine Unehre gemacht! Mutter hat vorher einige Erkundigungen eingezogen, und so wussten wir, dass sich die Geschwister es vorbehielten zuerst zu reden; wir trafen es ganz nach unserem Wunsche, so glücklich, dass wir gleich nach ihnen auftraten, und so nichts von den anderen Aufführungen verloren.

 

Von den meisten intimen Anspielungen im Text hat Bertha wohl nicht viel verstanden. Auch Theodor scheint das Ganze zu intim geraten zu sein, wie er den Buben schon in seinen letzten Versen aussprechen lässt: Hier wirdʼs mir, gelt, ein bissel gar zu kraus./ Doch siehts, beim Nepomuk und meiner Ehre!/ Wie eitel Glück und eitel Segen aus. Der heilige Nepomuk aus Böhmen gilt als Patron des Beichtgeheimnisses.

 

Bertha an Theodor, Brief vom 31.12.1840

 

Und zur selben Zeit hat er ein „Schlusslied“ geschrieben, das er aber dem Manuskript der „Polterabendszene“ für Bertha nicht beifügte. Es lautet:

 

Schlusslied5

Warum ich traure alle Zeit
Und wandle allzeit stumm? ‒
Ich trag im Herz ein stilles Leid
So schwer mit mir herum.

Was hilfts, dass ich dem Gram vertrau,
Der still mein Herze bricht,
Verstehen kannst dus nimmermehr,
Und helfen kannst du nicht.

Verstehen würdst du nimmermehr
Das Leid das mir geschehn,
Ach die mein Herz gebrochen hat,
Kanns selber nicht verstehn.

 

Strom hat rechts neben der 11. Zeile nachträglich eingefügt: Die allʼ mein Leid gefüget hat, und unter dem Gedicht notiert er: Es liegt in ihrem Wesen ein über ihre Jahre hinausgerückter Schmelz der Empfindung, die ihr die ernste Kunst des Schauens künftiger Dinge verleihen. Der Knabe ist zutraulich, naiv, dreist.

Bertha aber signalisierte Theodor in ihrem Brief zumindest eine gewisse Sehnsucht, ob aus Liebe oder nur aus alter Freundschaft, das mochte er in diesem Moment noch nicht entscheiden. Wenn ich jetzt so allein bei meinen Weihnachtsarbeiten sitze, so habe ich oft ein großes Verlangen nach Dir, mir scheint es, als hätte ich Dich so sehr viel zu fragen, und Dir zu erzählen, aber ich glaube wenn Du nun bei mir säßest, so würde doch nichts daraus werden; unsere Unterhaltung würde sich dann wie gewöhnlich aufs Denken erstrecken. Nun will ich Dir noch am Schlusse meines Briefes einen Vorschlag machen; zu Neujahr zieht ja bei Scherffs der Hauslehrer ein, und okkupiert die Zimmer, die sonst für Besuch frei waren; dann ist an ein Zusammensein für uns dort nicht mehr zu denken; vor Neujahr kommt aber noch das Weihnachtsfest; ‒ wenn Du nun Deinem Papa dies einmal vorstelltest und ihn bearbeitetest dass Du anstatt Ostern, Weihnachten zu uns kämest, und anstatt Weihnachten, Ostern zu Deinen Eltern gingest. Wenn das etwas dazu beitragen kann, so bringe Deinem Papa unbekannter Weise, auch von mir eine Bitte darum. ‒ Ich denke mir das müsste eine recht gemütliche Zeit für uns sein! ‒6

Zu dieser Begegnung kam es freilich nicht, aber Theodor setzte seinen Dialog mit Bertha auf seine Weise fort.

  

Anmerkungen


1 Entwurf und Reinschrift (StA, Husum) mit der Unterschrift ThWStm. Erstdruck der Reinschrift: LL 1, S. 204-208. Hier nach der Handschrift.

2 Bertha von Buchan an Theodor Storm, Brief vom 15.11.1840, StA, Husum. Zitiert nach Eversberg 1995a, S. S. 111f.

3 Zitiert nach http://www.liederprojekt.org/lied27815-Eia-popeia.html

4 Bertha von Buchan an Theodor Storm, Brief vom 31.12.1840, StA, Husum. Zitiert nach Eversberg 1995a, S. 114.

5 Einzelblatt, Entwurf (StA, Husum).

6 Bertha von Buchan an Theodor Storm, Brief vom 15.11.1840, StA, Husum. Zitiert nach Eversberg 1995a, S. S. 110.