Theodor Storms Schulzeit.

Die Neuorganisation der Husumer Gelehrtenschule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
 unter Rektor Peter Friedrichsen

 

 In seiner kulturhistorischen Skizze „Der Amtschirurgus – Heimkehr“ schildert Theodor Storm ausführlich die Redefeierlichkeiten der Husumer Gelehrtenschule, die er selber von 1826 bis 1835 besucht hat; die Darstellung ist der erste Teil von Storms 1870 bis 1872 geschriebenen „Zerstreute(n) Kapitel“, einer uneinheitlichen Sammlung von Bildern aus dem alten Husum, die auf Erinnerungen und Quellenstudien zurückgehen.[1]

 Es war immer ein großer Tag, diese »Redefeierlichkeit«. Wir konnten damals noch nicht am eignen Tische frühstücken und in Hamburg zu Mittag essen; Alles blieb deshalb hübsch zu Hause, und was wir dort hatten, das würzten wir uns und machten es schmackhaft und kosteten es aus bis auf den letzten Tropfen. - An jenem Tage standen die Häuser der Honoratioren wie der kleineren Bürgersleute leer; der Rattenfänger von Hameln hätte sie nicht leerer fegen können. Frauen und Töchter in Flor und Seide saßen dicht gereiht vor dem weißen Katheder mit der grünsamtenen goldbefranzten Bordüre; den Männern blieben nur die hintersten Bänke, oder sie standen an der Wand unter den großen Bildern vom jüngsten Gericht und vom Urteil Salomonis. Wer hätte auch zu Hause bleiben können, wenn wir Primaner uns nicht zu vornehm hielten, die gedruckten Einladungen in eigener Person von Haus zu Haus zu tragen! Freilich war auch diese Pflicht, besonders für die älteren Schüler, nicht ohne allen Reiz; denn die »Stellen«, welche nach einem Maßstabe von Wein und Kuchen in »fette« und »magere« zerfielen, wurden von dem Primus Classis streng nach der Anciennität verteilt. Die Einladungen selbst enthielten nur unsere Namen und die Thematen unserer Vorträge; aber dessen ungeachtet waren es keine öden Listen, wovon es heutzutage an allen Ecken wimmelt; unser alter Rektor - möge der allverehrte Greis noch lange seiner fruchtbringenden Muße genießen! - wußte durch eine feine Abtönung auch diesen Dingen einen munteren Anstrich zu geben. Denn während der Erste nur »redete«, suchte der Zweite schon »auszuführen«, der Dritte »vertiefte sich in«, der Vierte »verbreitete sich über«; und so arbeitete Jeder in seinem eigenen Charakter. Was blieb endlich mir übrig, der ich schon damals in einigen Versen gesündigt hatte? Ich, selbstverständlich: »besang«. - »Mattathias, der Befreier der Juden«, so hieß meine Dichtung, welche der Rektor mir ohne Korrektur und mit den lächelnd beigefügten Worten zurück gab, er sei kein Dichter. Ich will nicht leugnen, es überrieselte mich so etwas von einer exklusiven Lebensstellung, und ich mag in jenem Augenblick meinen Knabenkopf wohl um einige Linien höher getragen haben. - Freilich, unser Schultisch war derzeit nur mit geistiger Hausmannskost besetzt: wir kannten noch nicht den bunten Krautsalat, der - »Friß Vogel oder stirb!« - den heutigen armen Jungen aufgetischt wird. Ich habe niemals Kaviar essen können, und - Gott sei Dank! - ich habe ihn auch niemals im Namen der »Gleichmäßigkeit der Bildung« essen müssen; diese schöne Lehre beglückte noch nicht unsere Jugend; der Fundamentalsatz aller Ökonomie: »Was kostet es dir, und was bringt es dir ein?« fand damals, freilich harmlos und unbewußt, auch für die Schule noch seine Anwendung. - Leider muß ich bekennen, daß auch die deutsche Poesie als Luxusartikel betrachtet und lediglich dem Privatgeschmack anheimgegeben war; und dieser Geschmack war äußerst unerheblich. Unseren Schiller kannten wir wohl; aber Uhland hielt ich noch als Primaner für einen mittelalterlichen Minnesänger, und von den Romantikern hatte ich noch nichts gesehen als Ludwig Tieck's Porträt auf dem Umschlage eines Schreibbuches. - Nichtsdestoweniger dichtete ich den »Mattathias«.

 Storm entwirft ein Bild seiner alten Schule, das mit anderen Äußerungen korrespondiert, die wir aus unterschiedlichen Lebensabschnitten seit der Verlobungszeit mit Constanze Esmarch in den 1840er Jahren kennen und die er bis ins hohe Alter mehrfach wiederholt hat. Bereits 1846 klagte er gegenüber seiner Braut über die „schlechte“ Husumer Schule[2], und der Schriftstellerin Ada Christen gab er im März 1873 folgende Auskunft[3]:

 Ich besuchte die Gelehrtenschule meiner Vaterstadt, wo von deutscher Literatur außer Schiller und den Dichtern des Hainbundes uns nicht viel bekannt wurde. Dennoch hielt ich als Primaner bei den jährlichen öffentlichen Reden auf dem Rathaus eine Rede in Jamben über Mattathias, den Befreier der Juden. Ich ging von hier zunächst noch 1½ Jahr auf das derzeit berühmte Lübecker Gymnasium, wo die Primaner in den ganzen Kreis der neuen Bildung eingeweiht waren. Hier lernte ich Goethes „Faust“, Heines „Buch der Lieder“, Eichendorffs „Dichter und ihre Gesellen“ kennen, diese Bücher machten großen und nachhaltigen Eindruck auf mich; namentlich die beiden ersteren kamen nicht von meinem Tische.

 Diese Erinnerungsarbeit setzte Storm in den nächsten fünfzehn Jahren fort; sie hat ihren Niederschlag auch in anderen autobiographischen Texten gefunden. In seinem Rückblick auf die Begegnung mit Eduard Mörike im Jahre 1875 z. B. schrieb er[4]:

 Auf der alten Gelehrtenschule meiner Vaterstadt wußten wir wenig von deutscher Poesie, außer etwa den Brocken, welche uns durch die Hildburghausensche »Miniaturbibliothek der deutschen Classiker« zugeführt wurden, deren Dichter aber fast sämtlich der Zopf- und Puderzeit angehörten. Zwar lasen wir auch unseren Schiller, dessen Dramen in der Stille eines Heubodens oder Dachwinkels von mir verschlungen wurden, und selbst ein altes Exemplar von Göthe's Gedichten kursierte einmal unter uns; daß es aber lebende deutsche Dichter gebe, und gar solche, welche noch ganz anders auf mich wirken würden als selbst Bürger und Hölty, davon hatte mein siebzehnjähriges Primanerherz keine Ahnung

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Die Husumer Gelehrtenschule in einer Zeichnung von Julius Grelsdorff (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts)

 Und noch aus Anlass seines 70. Geburtstages 1887 war es dem greisen Dichter ein wichtiges Anliegen, seinen Gästen in Hademarschen von seiner Schulzeit zu erzählen[5]:

 Meine verehrten Freunde! Man sagt von jungen Rossen, daß sie knappes Futter haben müssen, wenn sie werden sollen, was sie werden können. Gilt das auch von Menschen, so bin ich in der Kunst der Poesie glücklich daran gewesen. Die Gelehrtenschule meiner Vaterstadt Husum wußte nichts von dieser Kunst. In unserm Hause war zwar ein Schiller, von Göthe nur Hermann und Dorothea und dann, vom Großvater her<,> ein Chodowiecki<->Band des alten Wandsbecker Boten. […]

Mein Vater hatte den glücklichen Gedanken, mich vor der Universität noch 1 l/2 Jahre auf die Lübecker Schule zu schicken, die unter Jacob und Classen in höchster Blüte stand. Hier war höhere Luft, bedeutendere Menschen, […].

 

Storms Kritik an der Schule wurde von seiner Tochter Gertrud aufgegriffen, als sie Anfang des 20. Jahrhunderts die Biographie ihres Vaters schrieb; im IV. Kapitel des ersten Bandes, das sie „Schule“ überschreibt, stützte sie sich neben den oben bereits zitierten Aussagen ihres Vaters vor allem auf fiktionale Texte wie die Novelle „Bötjer Basch“ oder die „Zerstreute(n) Kapitel“ und schloss daraus auf wirkliche Erfahrungen des Dichters während seiner Jugend. Die Kernaussagen Gertrud Storms, die sie auf 17 Seiten vorträgt, sind folgende: Die Husumer Gelehrtenschule könne zwar auf eine ehrwürdige Tradition zurückblicken, sei aber zu Storms Zeiten dürftig ausgestattet gewesen, habe nur wenige unsaubere und dunkle Klassenzimmer aufgewiesen und könne den gesundheitlichen Bedürfnissen der Knaben nicht Rechnung tragen. Der Unterricht sei vom Gehalt und von der Durchführung her äußerst dürftig gewesen und habe nichts Wesentliches über die deutsche Poesie vermittelt. Damit verallgemeinert Gertrud Storm die Kritik ihres Vaters an der Gelehrtenschule, die von diesem allein auf den veralteten Unterricht über die deutsche Nationalliteratur gemünzt war. Als Kontrast dazu beschreibt sie im Kapitel „Lübeck“ die Zeit ihres Vaters am dortigen Katharineum, „das vollständig auf dem Boden neuster Reformen stand, während der Unterricht an der Husumer Gelehrtenschule noch ganz nach alter Art erteilt wurde.“[6] Hier waren es nach ihrem Urteil vor allem die Lehrer, die ihren Vater für sein Leben geprägt haben und die Freunde wie Emanuel Geibel und Ferdinand Röse, denen er sein eigentliches Bildungserlebnis verdankt, die Begegnung mit der Dichtung Goethes, Eichendorffs und Heines.

 

Dieses negative Bild haben die Biographen Storms nachgezeichnet; es wurde zusammen mit dem positiven Bild der Zeit in Lübeck[7] zu einer Standardaussage über Storms schulische Sozialisation. Hier ein paar Beispiele: Franz Stuckert schrieb 1952: „Storm, der später von sich bekannt hat, daß es ihm jederzeit am ‚Talent des Lernens’ gefehlt habe, hat die klassische Bildung in sich aufgenommen, ohne daß sie ihm wirklich zum geistigen Besitz geworden wäre.“ Hartmut Vinçon behauptete 1972: „Man betrachtete die Poesie als Luxusartikel und überließ sie dem Privatgeschmack.“ Georg Bollenbeck (1988): „Genauer besehen erscheint die Schule mit dem anspruchsvollen Namen als »Klitsche« in einem abseits gelegenen Provinznest.“ Und noch im Jahre 2004 urteilte Horst Frank: „Was ihm dort an klassischer Bildung vermittelt werden konnte, ging an ihm vorüber. So ist ihm die Antike auch als Dichter – etwa im völligen Gegensatz zu seinem späteren Freund Mörike – niemals zum Bildungsbesitz geworden.“[8]

 Betrachtet man die autobiographischen Beiträge im Zusammenhang, so lassen sich einige zentrale Aussagen erkennen, die Storm mehrfach wiederholt hat. Sie besagen erstens, dass ihm die Husumer Gelehrtenschule keine literarische Bildung vermittelt habe und zweitens, dass er erst durch den Besuch des Katharineums in Lübeck mit der Literatur der Klassik, Romantik und Moderne in Kontakt gekommen sei.

Die Entdeckung zweier bisher unbekannter Jahrmarktberichte, die der 16jährige Storm 1834 im „Husumer Wochenblatt“ als Schüler der Husumer Gelehrtenschule veröffentlicht hat[9], einer weiterer Prosaarbeit im „Eiderstedter und Ditmarser Boten“ aus dem folgenden Jahr[10] sowie vier von Storm ebenfalls während der Schulzeit im „Husumer Wochenblatt“ veröffentlichter Gedichte[11] lassen Zweifel aufkommen, ob dieses Bild von Storms Schulzeit wirklich zutrifft und ob sein Urteil über die „schlechte Husumer Schule“ überhaupt angemessen ist. Zwar handelt es sich dabei – wie bei vielen seiner Jugendgedichte – nur um Nachahmungen der damals gängigen Wochenblattpoesie, denen aber im Zusammenhang mit den früheren poetischen Versuchen eine größere Beachtung geschenkt werden muss, als dies in der Storm-Forschung bisher geschehen ist. Diese Texte belegen nämlich, dass Storm bereits als Primaner der Husumer Gelehrtenschule über erstaunliche gestalterische Fähigkeiten verfügte. Meine Forschungen widerlegen das einseitig negative Bild und zeigen[12], dass der Unterricht unter der Leitung von Peter Friedrichsen (Rektor der Husumer Gelehrtenschule von 1821-1838) durchaus auf der Höhe der damaligen Gelehrtenschul-Pädagogik erteilt wurde. Bereits vor Veröffentlichung des Husumer Schulregulativs im Jahre 1827, mit der die allgemeinen Vorschriften der Adlerschen Schulordnung von 1814 für die Herzogtümer auch für Husum konkrete Gestalt annahmen (vergl. weiter unten), verwirklichte Friedrichsen wesentliche Prinzipen der Schulreform und organisierte einen für damalige Zeiten modernen Unterricht.[13]

Schülerliste der Prima von 1835 in einem Handexemplar von Rektor Friedrichsen mit Storms Namen

 Storms Erinnerungen an Rektors Friedrichsen erzeugen bei den Lesern den Eindruck, es handele sich bei diesem Lehrer um einen freundlichen alten Mann, der nicht viel von Poesie verstand und daher auch nicht in der Lage war, Storms jugendliche Dichtversuch zu beurteilen. Dieses Bild fügt sich in die Vorstellung von der veralteten Pädagogik in verstaubten Räumlichkeiten der Husumer Gelehrtenschule ein, die in den Jahren von Storms Schulbesuch noch nicht den Anschluss an die moderne Pädagogik gewonnen hatte, wie Storm sie während seiner drei Semester am Lübecker Katharineum (Herbst 1835 bis Ostern 1837) unter der Leitung des dortigen Rektors Friedrich Jacob (1792-1854) kennen und schätzen gelernt hat. Aber stimmt dieses Bild mit der historischen Wirklichkeit überein?

Als Storm die Redefeierlichkeiten der Jahre um 1830 beschrieb, war er bereits 53 Jahre alt und musste sich an Ereignisse erinnern, die bereits fast vier Jahrzehnte zurücklagen. Das fiel dem Dichter nicht leicht, wie er gegenüber seinem Sohn Ernst am 23. Mai 1870 bemerkte: „Mein Buch ruht freilich nicht; aber die Composition, die Verbindung des Memoirenartigen mit dem frei Phantasirten erweist sich in der Ausführung so schwierig daß ich oft verzweifle; […].“ Und am 27 Mai heißt es: „Es wird – wenn es überhaupt was wird, was noch keineswegs gewiß – so eine Art Krautsalat, Wahrheit u. Dichtung. Kaufmann und seine Ratzen kommen auch darin vor, eine Redefeierlichkeit aus der alten Zeit, die schon geschrieben ist wird Dich vielleicht interessieren.“[14] Das Bild vom „Krautsalat“, das Storm hier wohl im Sinne des grünen Salats als eines Gemischs von unterschiedlichen Blättern verwendet, verweist zunächst auf die Mischung aus Erinnerungen an erlebte Situationen und aus der Fantasie stammenden Zusätze, wie er sie in seiner Darstellung der „alten Zeit“ formulierte. Ebenso ist auch Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“, auf die Storm verweist, mit ihrer Verbindung von fiktionalem und historischem Erzählen eine Verschmelzung von Ich- und Weltdarstellung. Wir müssen also bei der Beurteilung des historischen Kerns dieser Darstellung durchaus skeptisch sein, was die Authentizität des Erinnerten betrifft: Dichtung und Wahrheit können sich auch wechselseitig beeinflussen.

Storm verwendet das Bild vom Krautsalat auch in seiner kulturhistorischen Skizze; dort schreibt er von der modernen Pädagogik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren „Gleichmäßigkeit der Bildung“ er in einen Gegensatz zur „geistigen Hausmannskost“ seiner Schulzeit setzt und spricht seiner Schule in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jede Bildungsökonomie ab, indem er auf seine mangelnden Kenntnisse der damals modernen deutschen Literatur verweist. Diese Äußerungen wurden unter dem Eindruck einer Neugründung der höheren Lehranstalt in Husum im Jahre 1864 niedergeschrieben; in den Herzogtümern wurde das Schulwesen nach der Loslösung von Dänemark gemäß den Prinzipien der preußischen Gymnasien reformiert. Schon der neue Name „Königliches Gymnasium“ deutet diese Veränderung an. Die Schülerzahl der Schule, die bis 1870 auch eine Realklasse beherbergte, verdoppelte sich gegenüber den besten Jahren des Rektorats von Peter Friedrichsen, und eine Fülle von pädagogische Reformen wurden durchgeführt, die den veränderten Anforderungen an die Absolventen im gerade entstehenden Deutsche Reich Rechnung trugen. Der Mann, der einst Storms Griechischlehrer war, zählte zu diesem Zeitpunkt bereits 80 Jahre und gehörte einer längst vergangenen Epoche an.

Rektor Friedrichsen war aber, als Storm bei ihm in der Prima saß, ein Mann von 45 Jahren und vom Greisenalter noch weit entfernt. Peter Friedrichsen wurde am 22. April 1790 in Satrup geboren, studierte Theologie (Dr. theol.) und unterrichtete seit 1817 als Kollaborator in Husum. Im Herbst 1821 wurde er erst einunddreißigjährig zum Rektor ernannt, nachdem sein Vorgänger Jakob Bernhard Friese (1769-1851) Ostern das Rektorat der Kieler Gelehrtenschule übernommen hatte. In dieser Funktion wirkte Friedrichsen bis ins Jahr 1838, in dem er Pastor in Ivenstedt wurde (bis 1865). Er starb am 7. März 1873 in Preetz.[15]

 Um die Rolle dieses Rektors für die Entwicklung der Schule angemessen bewerten zu können, muss auf die langjährige Tradition der Institution zurückgeblickt werden. Die Husumer konnten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf eine fast dreihundertjährige Tradition ihrer Gelehrtenschule stolz sein. Als Reformationsgründung war sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts, nachdem Husum die Stadtrechte verliehen worden waren, zur Landesschule erhoben worden.[16] Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterhielt sie fünf Klassen, in denen von Rektor, Konrektor, Subrektor, Kantor und Rechenmeister unterrichtet wurde; sie war neben den Schulen in Flensburg und Schleswig eine der drei großen Lateinschulen im Herzogtum Schleswig mit über siebzig Schülern.[17] Diese schulgeldpflichtige Einrichtung blieb den Knaben der wohlhabenden Schichten vorbehalten. Die Lehrer wurden von der Stadt besoldet, man erwartete aber von den Bürgern weitere Zuwendungen an die Schulkasse.

Die erste Schulordnung der Husumer Lateinschule in deutscher Sprache erschien 1763 und wurde von Rektor Peter Schaumann verfasst, der von 1749 bis 1771 die Schule leitete.[18] Die geistige Grundhaltung dieser Verfassung ist eine strenge pietistische Frömmigkeit, in der die subjektive Seite des Glaubens betont wurde; Bibelstudium und Gebet sollen den Unterricht in besonderem Maße bestimmen. Vom „Haupt-Zweck“ der öffentlichen Schulen heißt es:

 Denn sie sollen Pflanz-Gärten der Gottseligkeit, guter Sitten, und einer gründlichen Erkenntniß solcher Wahrheiten seyn, die ein jeder nach seiner erwählten Lebens-Art und Stand wissen muß, wo er im Lehr- Wehr- oder Nähr-Stande ein nützliches Mitglied vorstellen, und seine sowohl als anderer Glückseligkeit bevördern will. (S. 10)

 Die vier Lehrer unterrichten jeweils alle Fächer in ihren Klassen: Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Geschichte und Geographie; der Schreib- und Rechenmeister vermittelt Grundkenntnisse in den unteren Klassen. Dazu gehören Briefeschreiben und Rechtschreibung, rhetorische und stilistische Übungen, Dichtkunst, Mythologie und Geographie. Mathematik, Französisch und Literaturgeschichte werden nur durch Privatunterricht vermittelt. Bei der gelehrten Begründung des dominierenden altsprachlichen Unterrichts lassen sich auch neuhumanistische Grundsätze erkennen, wenn etwa verlangt wird, dass die Kinder nichts auswendig lernen sollen, was ihnen vorher nicht erklärt worden ist. Der weitaus größte Teil der Schulordnung ist der Vermittlung von lateinischen Grundkenntnissen und Fertigkeiten gewidmet, aber es fließen am Rande auch Gedanken der Aufklärung in die Vorschriften ein, so die Vorstellung, dass Schüler selbständig lernen müssen. Insgesamt spielen die Gedanken der Aufklärung und der mit ihr verbundene Aufbruch zu einem neuen Bildungsverständnis nur eine untergeordnete Rolle.

Auch entsprach die Wirkung, die man von der neuen Schulordnung erhoffte, nicht den Erwartungen. Bei verschiedenen Revisionen wird in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts über die mangelnde Ordnung in der Schule und über das lässige Verhalten der Schüler in der Öffentlichkeit geklagt. Während des Rektorats von Johann Elias Cellarius in den Jahren 1771-1788 wurde in einem Bericht der Schulaufsicht beklagt, die „Lehrer setzten sich auf gegen den angeordneten wöchentlichen Klassenbesuch des Rektors, der noch nicht habe durchgeführt werden können; ebenso wenig fänden die monatlich angesetzten paränetischen Vorträge [Mahnpredigten, G.E.] statt. Es fehle die Harmonie in dem Kollegium; jeder Lehrer halte seine Klasse für eine besondere Schule und tue, was ihm gut dünke; es würden die festgesetzten Pensen nicht erledigt, die Primaner lieferten die Ausarbeitungen nicht ab und mancherlei mehr“ (nach Ernst Möller).[19] Als Gründe dafür werden angegeben, dass die Schulordnung über den Kopf der Lehrer hinweg oktroyiert worden sei; solche Missstände werden aber auch von anderen Schulen berichtet und führen schließlich zu Beginn des neuen Jahrhunderts zu einer von oben verordneten Schulreform.

Während des Rektorats von Cellarius wurde im Jahre 1784 eine Realklasse eingerichtet. Dies geschah, um jungen Männern, die nicht studieren wollten, eine für ihre berufliche Tätigkeit nützliche Grundbildung zu vermitteln. Da die Stadt für die Errichtung einer selbständigen Realschule zu wenige Einwohner hatte, wurde innerhalb der Lateinschule eine Verlegung des altsprachlichen Unterrichts in die oberen Klassen verfügt, so dass Quinta und Quarta vom Lateinunterricht befreit waren. Eine solche organisatorische Veränderung entsprach den pädagogischen Forderungen des Philanthropismus, jener Lehre von der Erziehung zur Natürlichkeit, Vernunft und Menschenfreundlichkeit, die von Johann Bernhard Basedow begründet wurde. Ziel der basedowschen Philanthropie war es, Jugendliche durch freundliche, liebevolle Unterweisung in allem für das Leben Notwendigen zu tüchtigen lebensfrohen Menschen zu erziehen.[20]

In der neu organisierten Schule nimmt der Religionsunterricht nach wie vor einen breiten Raum ein, und zwar in allen Klassen. Mathematik wird nur in Quarta unterrichtet; Geschichte, Naturgeschichte, Technologie und Geographie dominieren mit 12 Wochenstundenden den Unterricht der Quarta; in Tertia beginnt der Lateinunterricht mit 13 Wochenstunden. Die Reformen scheinen aber im Ansatz stecken geblieben zu sein, denn unter Leitung von Georg Samuel Francke, der 1788 Nachfolger von Cellarius wurde, bestand die Gelehrtenschule vorübergehend nur noch aus zwei Klassen, und die bisherige Quarta der Bürgerschule wurde zur Tertia mit sechs Stunden Latein umgewidmet.

In einem Bericht von Georg Friedrich Schumacher, der von 1798-1802 Konrektor der Gelehrtenschule und anschließen Rektor der Domschule in Schleswig war, lesen wir über die Husumer Schule im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert:[21]

 Es herrschte nemlich das Classensystem; Fr<ancke> hatte nur Prima, ich ausschließlich Secunda und Forchhammer Tertia; außerdem ein Rechenmeister. So mußten wir denn freilich Jeder Alles lehren, und von Fächern für Diesen und Jenen war nicht die Rede. Das Verhältnis der Schüler war ganz, wie in Vaters Hause, und jede Classe erkannte nur ihren Lehrer an.

 Francke war nach Schumaches Schilderung eher ein Sonderling, der als Vorgesetzter seine Kollegen machen ließ, was sie wollten. Dieser Interimszustand blieb auch nach Franckes Abgang unter seinem Nachfolger Hans Jürgen Stubbe, Rektor von 1805 bis 1809, bestehen. Johann Eggers, Rektor von 1809 bis 1818, konnte nicht verhindern, dass es zwischen der Schulleitung und den übrigen Lehrern Zwistigkeiten gab, die zu allgemeiner Nachlässigkeit führten. Auch unter Rektor Friese (1818-1821) änderte sich nichts Wesentliches, obwohl die Adlersche Schulreform mittlerweile bereits seit mehreren Jahren in den Herzogtümern in Kraft war.

Die damalige Unterrichtsorganisation hatte zur Folge, dass der Klassenlehrer alle Fächer in seiner Klasse unterrichten musste, also zum Beispiel in der Sekunda Griechisch, Latein, Französisch, Hebräisch, Deutsch, Geschichte, Geographie, Mathematik und Religion; das enge Verhältnis der Schüler zu ihrem Lehrer wurde also erkauft mit einem systemimmanenten Mangel an Gründlichkeit des Fachunterrichts; dessen Qualität war vom Fachwissen und der Bereitschaft des Lehrers abhängig, sich über sein Studienwissen hinaus autodidaktisch weiterzubilden. Die Schüler waren für zwei bis drei Jahre von der Unterrichtsmethode ihres Lehrers abhängig; der eine dozierte fast ausschließlich, der andere versuchte, sich vom Fortschritt seiner Schüler im Gespräch zu informieren. Die Zahl von vier Klassen wurde erst 1811 wiederhergestellt. Außerdem wurden die Lehrer der obersten drei Klassen verpflichtet, in jeder Stufe zu unterrichten. Obwohl diese Regelung zwischen 1815 und 1822 teilweise rückgängig gemacht wurde, setzte Rektor Peter Friedrichsen sie endgültig durch und erfüllte damit die Vorschriften der „Allgemeinen Schulordnung“ von 1814.[22]

Die Abgelegenheit Husums zeigt sich auch in einem bescheidenen wirtschaftlichen und kulturellen Niveau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dies dokumentieren die sinkenden Schülerzahlen; Ende des 18. Jahrhunderts waren es nur noch 45. Die politische Krise zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Dänischen Staatsbankrott 1813 führte zu einer Verunsicherung des Bürgertums, wurde dann aber in den folgenden Jahrzehnten Ausgangspunkt für politische und gesellschaftliche Veränderungen, die schließlich zur bürgerlichen Revolution von 1848 und in Schleswig-Holstein zur Loslösung der Herzogtümer vom dänischen Gesamtstaat führten. Obwohl Husum auch im 19. Jahrhundert eine beschauliche Kleinstadt blieb und die Einwohnerzahl bis zur Jahrhundertmitte um nur 10% anstieg (Volkszählung 1835: 3882 Einwohner[23]), spürte man auch an der Westküste des Herzogtums Schleswig gravierende Veränderungen, die im Spannungsgefüge von Restauration und Revolution die Jahrzehnte zwischen 1815 und 1850 prägten.[24]

Eine wichtige Aufgabe der Gelehrtenschulen blieb es auch im 19. Jahrhundert, junge Menschen auf das Studium an der Kieler Landesuniversität vorzubereiten; darüber hinaus vermittelte die Institution dem kaufmännischen Nachwuchs eine humanistische Grundbildung. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich ein verstärktes Interesse der Verwaltung der Herzogtümer an den öffentlichen Schulen erkennen. Die von Georg Christian Adler, Generalsuperintendent für Schleswig, angeregte Neuordnung bestimmte den Zweck der Gelehrtenschulen formal in der Vorbereitung junger Leute für das Universitätsstudium; die vier Lehrer sollten frei von Kirchengeschäften ausschließlich ihren Unterrichtsverpflichtungen nachkommen, nach Absprache in allen Klassen unterrichten, und zwar neben Religion die Alten Sprachen Griechisch und Latein, sowie Dänisch und Französisch; der Sprachunterricht zielte zunächst nur auf die Übersetzung von Texten, wurde dann aber durch die Lektüren klassischer Autoren auf Gegenstandsbereiche wie Mythologie und Geschichte ausgeweitet und durch Mathematik, Naturgeschichte und Geographie ergänzt. Darüber hinaus wurden Grundsätze der Rhetorik und Poetik vermittelt. Das Ziel war eine Gesamtbildung der Schüler im Geist der Antike, wie sie vom Neuhumanismus als Wiederbelebung kultureller Werte verstanden wurde, für die konkrete Unterweisung im Unterricht bedeutete dies:[25] „Vertraute Bekanntschaft mit der Klassik als allgemeine Bildung, Sinn für menschlich Großes und Schönes, Verwandtschaft des Griechischen mit dem jugendlichen Geiste, allseitiges Verstehen der Sprachmonumente, Verstehen der Alten als Grundlage für das Verstehen der eigenen Nationalität.“ Praktisch wurden die Schüler im Reden, Schreiben und Deklamieren unterwiesen und zwar durch Übersetzungen aus und in die Alten Sprachen sowie durch Anwendung der Verslehre. Regelmäßige Zensuren, öffentliche Prüfungen und Versetzungskonferenzen gehörten nun zu den Pflichten der Lehrer. Da die Adlersche Schulordnung von 1814 die Trennung von Gelehrten- und Bürgerbildung vorsah, wurden vier Bürgerschulen eingerichtet; zwei entsprachen etwa der heutigen Grundschule, die beiden anderen waren eine Art Hauptschulen für Jungen und Mädchen. Einschließlich der Armenschule unterrichteten um 1840 in der Stadt Husum 10 Lehrer etwa 600 Schüler. Daneben gab es private Vorschulen für kleine Kinder, die auch „Klippschulen“ genannt wurden. Für die Lateinschule in Husum wurde ihr Kernbestand erst 1827 durch ein Regulativ und ein Schulgesetz verwirklicht und damit eine vierklassige Gelehrtenschule geschaffen, die bis zur Absetzung durch dänische Behörden im Jahre 1852 bestehen blieb.

Zu Beginn der politischen Auseinandersetzungen zwischen deutsch gesinnten Schleswig-Holsteinern und Dänen um die Zukunft der Herzogtümer gab es in Husum eine starke Bildungsschicht, die aus Beamten, Geistlichen, Lehren, Advokaten sowie Ärzten und Apothekern bestand und die gemeinsam mit der an politischem und gesellschaftlichem Fortschritt interessierten Kaufmannschaft eine führende Rolle während der Erhebung von 1848-1851 spielte. Die Generation der nach 1815 Geborenen lässt sich exemplarisch durch Theodor Storm und seinen Freundeskreis beschreiben, eine Gruppe von etwa 15 jungen Menschen, die ihre Schulzeit absolvierten, als sich viele Menschen in den Herzogtümern von Dänemark abkehrten und aktiv für Veränderungen im Gesamtstaat einsetzten. Die politischen Vorgänge lassen sich nicht von den geistigen Strömungen lösen, die während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu grundlegenden Veränderungen führten, an denen diese Generation entscheidend mitwirkte.

Der wohl positivste Zeitraum für die Gelehrtenschule waren die Jahre des Rektorats Peter Friedrichsen von 1821 bis 1838, dieser Pädagoge gab der Schule neue Impulse und verbesserte die Gesamtsituation deutlich. Am 24. April 1827 wurde das „Regulativ für die Gelehrtenschule der Stadt Husum“ sowie die „Schulgesetze der Gelehrtenschule in Husum“ erlassen[26], die zu einer Neuorganisation und damit zu einer Angleichung der Bedingungen in der Husumer Gelehrtenschule an die entsprechenden Bildungseinrichtungen der Herzogtümer Schleswig und Holstein führten. Das „Regulativ für die Gelehrtenschule der Stadt Husum“ von 1827 setzte die Vorschriften der Allgemeinen Schulordnung von 1814 in die Praxis um. Damit wurde die Adlersche Schulreform offiziell zwar etwas verspätet auch für Husum verpflichtend; aber schon in den ersten Jahren von Friedrichsens Rektorat werden die neuhumanistischen Impulse erkennbar, da er bereits seit seinem Amtsantritt die dort erhobenen Forderungen in die Praxis umgesetzt hatte. So gaben er und die anderen Lehrer jährlich Rechenschaft über die jeweiligen Lektionen in allen Klassen und Fächern ab und hielten gemeinsame Konferenzen. Die Stundentafeln sahen neben dem dominierenden altsprachlichen Unterricht nun auch die Fächer Deutsch, Dänisch und Französisch vor; darüber hinaus gab es Stunden in Religion, Erdbeschreibung, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften sowie speziellen Schreib- und Rechenunterricht für Quarta und Tertia; hinzu kam eine Wochenstunde Logik in Prima. Die speziellen Lektionstabellen für alle Klassen mussten halbjährlich konkretisiert und in den Klassenzimmern ausgehängt werden. Im Schulprogramm führt Friedrichsen Ostern 1822 aus: „Von Michaelis an ist, wie die allgemeine Schulordnung für die Herzogthümer Schleswig und Holstein es verlangt, ein wechselnder Unterricht der Lehrer durch alle Klassen eingeführt worden, mit Ausschluß der vierten Klasse, in welcher der Herr Pastor Lübker von Michaelis bis Ostern den Unterricht besorgt hat.“ Anschließend berichtet er auf vier Druckseiten ausführlich über die erteilten Lektionen, die von den ebenfalls ausführlichen Berichten der anderen Lehrern ergänzt werden. Dies wurde in etwas vermindertem Umfange bis in die Mitte der 1830er Jahre fortgesetzt.

Die neue Schulordnung schreibt Folgendes vor: Die Schulaufsicht wurde von Amtmann, Bürgermeister, sowie zwei Kirchenbeamten wahrgenommen; die vier Lehrer hatten sich in Konferenzen über den Unterricht in allen Klassen abzustimmen; die Lektionen mussten der Schulaufsicht bekannt gegeben und den Eltern sowie Schülern angezeigt werden. Aufnahme, Prüfungen und Versetzungsverfahren wurden einheitlich geregelt. Eltern bekamen das Recht, über die Leistungen ihrer Söhne informiert zu werden. Abgangszeugnisse für Schüler, die zur Universität gehen wollten, wurden nur erteilt, wenn das Kollegium von der Studierfähigkeit überzeugt war. Der letzte Paragraph regelt die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus und fordert regelmäßigen Schulbesuch, häuslichen Fleiß und gutes schulisches und öffentliches Betragen.

Friedrichsen verstand es, „die Einigkeit unter den Lehrern dauernd zu erhalten und die Primaner durch festes Auftreten, aber auch freundliche Behandlung in Ordnung zu halten, so daß die Schule bald wieder einen guten Ruf im Lande hatte.“[27] Die Schülerzahlen stiegen 1827 auf 72, fielen dann aber seit 1830 wieder auf unter 50, um schließlich in Jahr von Storms Abgang auf 35 zurückzugehen.[28] Um 1840 verschlechterte sich die Situation wieder, viele Eltern schickten ihre Kinder nach Schleswig oder Flensburg. Die öffentliche Diskussion im „Husumer Wochenblatt“ dieser Jahre zeigt, dass eine Schulreform neben anderen Verbesserungen der Infrastruktur der Region als dringende Aufgabe angesehen wurde. Die im Januar 1848 eingeleiteten Reformen kamen aber wegen der Revolution nicht mehr zum Tragen. 1850 verließen die meisten Beamten und Schüler der oberen Klasse das Herzogtum Schleswig; Konrektor und Subrektor hielten den Betrieb mühsam aufrecht, bis die Schule am 16. Juli 1852 aufgehoben und in eine Bürgerschule umgewandelt wurde.

In diese Zeit fällt der Schulbesuch Theodor Storms von Ostern 1826 bis Michaelis 1835. Er war beim Eintritt 8½ Jahre, beim Abgang 18 Jahre alt; die Aufenthaltsdauer betrug also 9½ Jahre. Der Unterricht in den Alten Sprachen und in der Muttersprache schuf die Voraussetzungen dafür, dass Storm und seine Schulkameraden in besonderer Weise über die deutsche Sprache verfügten und nicht nur in der Lage waren, Texte der Antike zu übersetzen und zu interpretieren, sondern auch in ihrer Muttersprache nachzuahmen. Der junge Poet hat sich zunächst in der Imitation unterschiedlicher Vorbilder geübt und dabei das Handwerkszeug erworben, das die Voraussetzung für seine späteren selbständigeren Dichtungen darstellt. Ein genauerer Blick auf die kulturellen Ereignisse, die Storms Schulzeit begleitet haben, zeigt, dass seine Lehrzeit als exemplarisch für bürgerliche Bildungsprozesse gelten kann. Die Besonderheiten in der Entfaltung von Storms literarischen Fähigkeiten lassen sich in seinem weitgreifenden Interesse an geschichtlichen, ästhetischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Phänomenen erkennen, das von der humanistischen Grundbildung durch die Schule angeregt wurde und durch die aktive Teilnahme am kulturellen Leben weitere Anstöße erfuhr. Auch seine in religiösen Dingen unabhängige weltanschauliche Position und seine kritische Haltung zu politischen Umbrüchen seiner Zeit entfalteten sich in diesem Zeitraum, nicht zuletzt unter dem Einfluss von Rektor Friedrichsen. Storms literarische Sozialisation ermöglichte es ihm später, nicht nur gehaltvolle Novellen zu schreiben, sondern auch als kompetenter Kritiker in Erscheinung zu treten und sich in vielfältiger Weise aktiv am kulturellen Leben seiner jeweiligen Wirkungsbereiche zu beteiligen, nicht zuletzt als Leiter zweier gemischter Chöre, mit denen er ambitionierte Konzerte einübte und zur Aufführung brachte.

Erste Eintragung Storms in seine Sammelhandschrift "Meine Gedichte"

Storm hat im Jahre 1833 während seiner Schulzeit in Husum damit begonnen, Gedichte zu schreiben; ein Teil wurde durch die populäre Wochenblattpoesie angeregt, die den Mustern der anakreontischen Dichtung des späten 18. Jahrhunderts folgte. Ein anderer Teil lässt sich auf den Unterricht in den sprachlichen Fächern zurückführen. Dieser Unterricht stand in der Tradition der in der Spätantike wurzelnden humanistischen Bildung, die den sieben freien Künsten verpflichtet war. Neben dem mathematischen Quadrivium (Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik) war es das sprachliche Trivium mit den Disziplinen Grammatik, Rhetorik und Dialektik, das die Unterrichtsinhalte prägte.[29] Insgesamt entsprachen die Bildungsinhalte dem neuhumanistischen Konzept, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Wiederbelebung kultureller Werte verstanden wurde.

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt die Grammatik als das Kernstück des Unterrichts. Der Grammatikunterricht in Griechisch und Latein machte den Schülern im Kontrast zur Muttersprache die abweichenden Strukturen bewusst. Der Rhetorikunterricht zeigte etwa am Beispiel der Reden Ciceros die Möglichkeiten der politischen Beredsamkeit; im Deutschunterricht wurde eine Reihe von Tropen und Figuren vermittelt und eine komplexe Satzverknüpfung eingeübt. Die Methode der Dialektik wurde an platonischen Dialogen erarbeitet und mit ihr Grundkenntnisse im philosophischen Denken erprobt. Der Lektürekanon berücksichtigte alle wichtigen Gattungen, die Lyrik, das Drama und die Epik, aber auch Geschichtsschreibung und Philosophie. Die Stoffe waren teils mythischer, teils historischer Herkunft; die Schüler erhielten Gelegenheit, sich diese Inhalte nicht nur aus Lehrbüchern, sondern vor allem durch die Beschäftigung mit den Quellen anzueignen.

Storm wurde während seines Aufenthalts an dieser Schule vor allem von fünf Lehrern unterrichtet, dem Rektor Peter Friedrichsen (1790-1873); dem Konrektor Georg Heinrich Kuhlmann (1775-1851), Konrektor von 1811-1838; dem Subrektor Johann Christian Fabricius (1778-1849), Subrektor von 1811-1830; dem Kollaborator und späterem Subrektor Hans Heinrich Lohse (1798-1879) und dem Kollaborator Karl Heinrich August Wolff (1802-1851).

Viel stärker als durch den Deutschunterricht mit zwei Stunden in Sekunda und nur einer Stunde in Prima wurde die Sprachkompetenz der Schüler im altsprachlichen Unterricht geprägt. In den beiden Oberklassen wurden 8 Wochenstunden Latein unterrichtet und 4 (Sekunda) bzw. 5 (Prima) Stunden Griechisch. Storm und seine Klassenkameraden lasen während seiner Husumer Schulzeit folgende griechische und lateinische Autoren[30]:

Cornelius Nepos: Das Leben des Atticus, Thrasybul, Conon, Dion, Iphikrates, Chabrias, Thimotheus, Datames, Leben des Epaminondas, Pelopidas, Agesilaus, Eumenes, Phocion, Timoleon, Hamilcar und Leben des Hannibal

Phädrus: Äsopische Fabeln

Cicero: Rede für Milo, Rede für den M. Marcellus, Rede für den Q. Ligarius, Rede für den König Dejotarus, Rede für den Roscius aus Ameria, Rede für die Manilische Bill [De lege Manilia], Vier Catilinarische Reden, Rede für den Dichter Archias, Rede für den Milo, Über die Pflichten, Über das Alter, Gespräche in Tusculum; Das Wesen der Götter.

Terenz: Andria, Phormio

Ovid: Metamorphosen

Cäsar: Über den Gallischen Krieg, Über den Bürgerkrieg, Über die Alexandrischen Kriege

Horaz: Episteln, Oden, Epoden

Livius: Geschichte seit der Gründung der Stadt Rom

Homer: Ilias, Odyssee

Lucian: Totengespräche, Göttergespräche

Plutarch: Leben des Agesilaus

Xenophon: Agesilaus

Sophokles: König Oedipus, Oedipus auf Colonos, Antigone, Philoktetes

Euripides: Phönizerinnen

Der erstaunlich umfangreiche Lektürekanon, der im Griechisch- und Lateinunterricht erarbeitet wurde, vermittelte über die bloße Technik des Übersetzens und Nachbildens antiker poetischer Formen hinaus ein vielschichtiges Bild von kulturgeschichtlichen Prozessen vornehmlich der antiken Hochkulturen im Einflussbereich Griechenlands und Roms. Im Schulprogramm 1833 führt der Husumer Rektor Peter Friedrichsen zum Problem der Übersetzung in die Muttersprache aus[31]:

 Die Uebersetzung dient zunächst mit zum Beweise, daß das Einzelne und das Ganze von dem Schüler richtig verstanden worden sei, und soll überhaupt einen möglichst treuen Abdruck des Originals in der Muttersprache enthalten. Daher schließt sie sich selbst in der Form und Darstellung so genau an das Original an, als der oft abweichende Geist der Muttersprache dieses verstattet. Nur bei Dichterwerken muß sie darauf Verzicht leisten, auch in derselben dichterischen Form den Dichter wiedergeben zu wollen. Wo aber der verschiedene Geist der Sprache eine Abweichung nothwendig macht, da muß die Schule dies natürlich auch erlauben, da sie die Gesetze der Muttersprache unter keiner Bedingung verletzen darf. Aufmerksam kann und soll sie auf diesen verschiedenen Geist der Sprachen machen; ja sie darf sich in besonders schwierigen Stellen vorläufig eine selbst auf Kosten der Muttersprache an das Original sich anschmiegende Uebersetzung geben lassen, läßt sich wol gar mit Fleiß eine solche Uebersetzung geben, um dadurch den Schülern das Verständniß einer schweren Stelle zu erleichtern; aber sie darf sich doch nicht damit begnügen, sie muß doch zuletzt das Ganze in eine Form gießen, wie sie der Geist unserer Muttersprache erfordert.

 Auch wenn Friedrichsen der Übersetzung aus den Alten Sprachen das Primat einräumt und sich gegen eine Nachahmung der dichterischen Form ausspricht, belegen die damals im Unterricht verwendeten Grammatiken, dass es in der Unterrichtspraxis anders aussah. Der Nachahmung antiker Dichtung in der Muttersprache wurde in der Tradition von Rhetorikübungen eine herausragende Bedeutung zugemessen; dies wird auch in den Hinweisen auf die Unterrichtsmethodik in den jährlichen Schulprogrammen bestätigt. Friedrichsens methodische Ausführungen müssen vor dem Hintergrund des Bildungsauftrags gesehen werden, der in den Vorschriften der „Allgemeinen Schulordnung“ von 1814 im Kontext eines neuhumanistischen Bildungsideals formuliert wurde; der Hauptzweck der Gelehrtenschule bleibt „die Vorbereitung und Bildung der studirenden Jugend für die Universität“. Dies geschah vor allem durch den Unterricht in Religion, den gelehrten und lebenden Sprachen sowie der Künste und Wissenschaften und sollte nach § 18 durch „Uebungen der Schüler im Reden, Schreiben, Declamiren“ trainiert werden. Als Schülerarbeiten werden genannt: „Aufsätze in der Deutschen Sprache, lateinische Sprachübungen durch schriftliche Uebersetzungen ins Deutsche, Rückübersetzungen ins Lateinische, eigene lateinische Aufsätze“, durch die „Anwendung der Prosodie“ und durch Deklamationsübungen.[32]

Von Storm haben sich eine Reihe von Gedichten erhalten, die als Fortsetzungen von Hausaufgaben angesehen werden müssen, denn sie lassen sich von behandelten Themen her alle auf Lektüren im Sprachunterricht zurückführen, von denen sich zum großen Teil die damals benutzten Bücher in der Bibliothek der Husumer Gelehrtenschule noch nachweisen lassen. In ihnen zeigt Storm seine Beherrschung der Gesetze der Prosodie, also der Lehre von den Akzenten und vom Versbau, die im Latein- und Griechischunterricht eingeübt und durch Nachahmung antiker Dichtungen angewendet wurde. Darüber hinaus sind sie Zeugnisse für seine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der Dichtungstheorie der Antike.[33] Aber nicht nur der spätere Dichter hat sich als Schüler an der Poesie versucht, auch einige seiner Schulkameraden schrieben Gedichte und Dramen. Diese Texte sind verloren, nur die Poesie aus der Feder von Christian Ulrich Beccau blieb erhalten, weil der Buchdrucker Heinrich August Meyler einige „Gedichte“ im „Husumer Wochenblatt“ veröffentlichte und sie 1836 in Buchform herausgab. Es enthält 105 meist längere Texte in konventioneller Manier zu den Themen Liebe, Lust und Leid, Abschied und Tod sowie einige Balladen. Beccau variiert formal durchaus gekonnt die populären Muster der Lyrik des Rokoko in oft scherzhafter Form mit immer denselben Bildern von Rosen, Täubchen, Sängern und Gräbern. Im Unterschied dazu hat Storm bei seinen nachahmenden Versuchen der Anakreontik jeweils nur wenige Varianten einzelner Gedichttypen produziert.

Storms im Anschluss an den Unterricht entstandenen Gedichte setzen eine Tradition fort, die bis in die Goethezeit hinein als vorbildhaft für die Dichtkunst galt und für die er Beispiele in der Lyrik der Vertreter des Göttinger Hainbundes fand wie Johann Heinrich Voß, Gottfried August Bürger und Matthias Claudius. Im Deutschunterricht lernte er stilistische und kompositorische Fertigkeiten, deren Anwendung ihren Ausdruck in mehreren Jahrmarktschilderungen fand, die der 16 bzw. 17jährige Schüler sogar in Wochenblättern veröffentlicht hat. Sie zeichnen sich durch komplexe Satzperioden aus, deren Teile einander grammatisch, logisch und rhythmisch wie die Glieder eines Organismus bedingen. Dies ist nach damaliger Auffassung die sprachliche Voraussetzung der Dichtung; sie überzeugt nur dann, wenn ein Gedanke sie fest umspannt und wenn die Neben- und Unterordnungen ein zuverlässiges Abbild der durchdachten und in sich geordneten Ausschnitte aus einer geistigen Welt entwerfen. Die in der Schule nach Dispositionen ausgeführten Aufsätze wurden nach diesen Mustern angelegt und von Storm auch für seine ersten veröffentlichten Texte angewendet.

Storm verließ gemeinsam mit seinem Freund Ohlhues die Husumer Gelehrtenschule im Herbst 1835, um für drei Semester das Katharineum in Lübeck zu besuchen. Rektor Friedrichsen stellte den beiden folgendes Zeugnis aus:

 Hans Theodor Woldsen Storm aus Husum und Johann Peter Ohlhues aus Hattstedt, die zur Vollendung ihrer Schulstudien das Gymnasium in Lübeck zu besuchen gedenken, haben vor ihrer Abreise mich um ein Zeugnis gebeten.

Ich bezeuge ihnen daher, daß sie sich, solange sie die hiesige Schule besucht haben, durch Fleiß und durch ihr sittliches Betragen meine volle Zufriedenheit erworben haben und daß ich für den glücklichen Fortgang ihrer ferneren Studien nicht nur die besten Wünsche hege, sondern auch zu guten Erwartungen mich berechtigt glaube.

Sie sind von Natur mit guten Anlagen ausgerüstet und haben sich durch ihren Fleiß gute Kenntnisse in den gewöhnlichen Schulwissenschaften, namentlich in den Alten Sprachen, erworben. Mögen Sie denn durch fortgesetzten Fleiß und ferneres gutes Betragen sich der Liebe ihrer künftigen Lehrer in eben dem Grade würdig zeigen, wie sie sich die meinige zu erwerben gewußt haben.

            Husum, den 30. September 1835.
            gez. P. Friedrichsen, Rektor.[34]

 Storm hat diesen Wechsel später damit begründet, dass sein Vater der Ansicht gewesen sei, die Qualität des dortigen Gymnasium sei besser. Neuere Forschungen haben ergeben, dass das Niveau des altsprachlichen Unterrichts an beiden Schulen gleich gewesen sein muss; die belegen auch zwei Gedichte[35] über den Cäsarmörder Brutus, deren Anregungen bereits aus dem Griechischunterricht an der Husumer Gelehrtenschule stammen, wo neben anderen Autoren auch Texte von Plutarch gelesen wurden.

 

Brutus bei Sardes

Fragment

 

Schweres Dunkel drückte Sardes Auen,

Und in Morpheus Armen lag die Welt,

Tiefe Stille goß ihr nächtlich Grauen

Durch des großen Cäsariden Zelt.

Dunkel flammte nur das Licht der Kerzen

Dunkel war es in dem großen Herzen,

Das der Freiheit letzte Säule hielt.

 

„Alles<,> Römer<,> hab ich hin geschlachtet,

Euch zu retten vor Tyrannenzwang;

Alle Bande hab ich nichts geachtet,

Die um mich das Leben freundlich schlang.

Doch die Freiheit stirbt im Sturm der Zeiten;

Römer gegen Römer blutig streiten;

Und der Kampfpreis ist des Brutus Haupt.

 

Mag ein Sklavenjoch für andre passen;

Brutus hat die Freiheit kühn gesucht;

Doch das Vaterland hat mich verlassen,

Doch das Vaterland hat mir geflucht.

Und doch, Cäsar, doch – du mußtest fallen,

Warnend Beispiel Roms Tyrannen allen,

Teures Opfer für die Republik.

 

Wenig zählts nur noch der bangen Stunden,

Daß zum schweren Kampf der Morgen winkt.

Einmal nur sei Roma überwunden

Daß sie nicht in ew'ge Trümmer sinkt.

Wehe wenn die Tapfern unterliegen!

Götter, Sieg! Nur einmal laßt mich siegen;

Denn mit Brutus fällt die Republik.“

 

Schwerer Ahndung Schauer macht ihn beben,

Unstet flackerte der Kerzen Schein;

Und der Zeiten Schreckgebilde weben

Finster sich in wache Träume ein.

Bleiche Larven tauchen auf und schweben

Und es bricht ein still gespenstisch Leben

Durch die stumme Mitternacht herein.

 

 

Brutus’ Gespenst

 

„Sprich, weß Larve erschien bei Sardes dem herrlichen Brutus,

Als er mit trauerndem Sinn künftige Zeiten ermaaß?

 

War es sein eigen Gespenst, Vorbote des nahen Geschickes,

Cäsars Rächergestalt, schreckend zu nächtlicher Zeit?“

 

„Keins von beiden; es war der schwindende Schatten der Freiheit,

Die mit dem sterbenden Held Roma für immer verließ.“

 

 

 

Der griechische Schriftsteller Plutarch wurde um 46 nach Chr. in Chaironeia (Boiotien) geboren; er starb nach 119. In den 46 „Bioi paralleloi“ (Parallelbiographien) stellt er 23 Paare von je einem berühmten Griechen und einem berühmten Römer zusammen; in der Regel schließ er ein Biographienpaar mit einer Synkrisis ab, einem zusammenfassenden Vergleich. Außerdem sind vier allein stehende Biographien überliefert.

Storm hat sich als Primaner in Husum seit dem Schuljahr 1834/35 mit Plutarch beschäftigt. Im Unterricht bei Rektor Friedrichsen[36] lernte er die Lebensbeschreibung des Spartanerkönigs Agesilaos (lat. Agesilaus) kennen, der von 444-360/59 v. Chr. lebte und seit 399 König war. Schon der ihm befreundete Xenophon schildert ihn in seiner Schrift „Agesilaos“ als Vorbild eines Herrschers. Das Schulprogramm für das Schuljahr 1834/35 ist nicht mehr vorhanden; dass die Schüler aber auch Auszüge aus Plutarchs Parallelbiographien gelesen haben, lässt sich an zwei Schulausgaben ablesen, die während Storms Schulzeit an der Gelehrtenschule in Gebrauch waren.[37] Diese Ausgaben enthalten den griechischen Originaltext mit einigen philologischen Erläuterungen und wurden laut Schulprogrammen im Unterricht sowohl ins Lateinische als auch in Deutsche übertragen. Die Schüler fanden auch deutsche Übersetzungen von Plutarchs römischer Geschichte in der Schulbibliothek; die Bände mit den Lebensbildern von Cäsar[38] und Brutus sind im selben Zeitraum mehrfach entliehen worden. Storm hat 1834, wie sein Namenseintrag belegt, den Band mit der Schilderung des Lebens von Brutus gelesen. Dort fand er folgende Beschreibung der berühmten Szene, die er seinen Gedichten zugrunde legte[39]:

 Als er nun in Begriff war, die Armee nach Europa zu überführen, wurde sein Zelt tief in der Nacht nur von einem schwachen Lichte erhellt, und im ganzen Lager herrschte eine allgemeine Stille. Brutus, der mancherley zu überlegen hatte und in Gedanken vertieft war, glaubte Jemanden herein treten zu hören. Er sah also nach dem Eingange hin und erblickte eine seltsame fürchterliche Gestalt von ungeheurer Größe, die schweigend neben ihm stand. Doch hatte er das Herz zu fragen: „Wer bist du? ein Mensch oder ein Gott? in welcher Absicht kommst du zu uns?“ Die Erscheinung antwortete: <„>Ich bin, Brutus, dein böser Genius, bei Philippi wirst du mich wieder sehen.“ Ohne sich zu entsetzen, erwiederte Brutus: „Gut ich werde dich sehen.“

 Für die weiteren Ausführungen ist es erforderlich, sich mit dem Stoff vertraut zu machen, den Storm und seine Klassenkameraden in der Prima der Husumer Gelehrtenschule kennengelernt haben. Marcus Junius Brutus, geb. 85 v. Chr., gest. im Herbst 42, schloss sich der Verschwörung an, der Cäsar am 15. März 44 erlag, verhinderte aber die von den andern Verschworenen verlangte gleichzeitige Ermordung des Antonius, der bei der öffentlichen Leichenfeier zu Ehren Cäsars das Volk so sehr aufreizte, dass die Mörder Rom verlassen mussten. Nach mehrmonatiger Unentschlossenheit ging Brutus in die ihm noch von Cäsar zugesprochene Provinz Makedonien, gewann dort die Truppen für sich und vereinigte sich mit Cassius zum Kampf gegen die Triumvirn bei Sardes, der Hauptstadt des alten Lydien, im westlichen Kleinasien. Als dann Antonius und Oktavian gegen die vom Senat geächteten Republikaner im Osten auszogen, kehrten beide nach Makedonien zurück und sammelten ihr Heer in der Ebene von Philippi, wo auch die Triumvirn im Herbst 42 eintrafen. Während Brutus den Oktavian besiegte, wurde Cassius von Antonius geschlagen und tötete sich selbst, da er alles für verloren hielt. Etwa 20 Tage später zwang Antonius den Brutus zu einer zweiten Schlacht und schlug ihn; Brutus floh und stürzte sich in das Schwert seines Vertrauten Strato. Während der Kaiserzeit wurde er in den Rhetorenschulen als letzter Republikaner gefeiert und mit großen Tugenden ausgestattet. Plutarch schildert Brutus als Inbegriff des verantwortungsvollen römischen Familienvaters und Politikers. Sowohl in seiner Schrift „Brutus“ als auch in der „Vergleichung des Dion mit dem Brutus“[40] entfaltet Plutarch Charakter und politisches Ethos des Cäsar-Mörders, den er als unbestechlichen Verteidiger der römischen Republik feiert. Dem griechischen Biographen ging es weniger um politische Ursachen und Zusammenhänge, als vielmehr um die Schilderung großer Menschenbilder, die eine moralische und pädagogische Wirkung auf den Leser haben sollten.

Die in der klassischen Geschichtsschreibung greifbaren Tendenzen kann man auch in Storms Gedichten wiederfinden. Storm bezeichnet Brutus als den „großen Cäsariden“ und nimmt damit ein legendäres Attribut auf, das von dem überlieferten Ausruf des sterbenden Cäsar „Auch du, mein Brutus!“ (so bei Shakespeare, „Julius Cäsar“) und das griechische Wort „Auch du, mein Kind?“ (bei Sueton und Cassius Dio) abgeleitet wurde. Schon dieser Hinweis ruft bei Kennern der römischen Geschichte in Erinnerung, dass Cäsar den Brutus wegen seiner herausragenden moralischen Qualität und seiner politischen Fähigkeiten zum engsten Mitarbeiter erwählt hat.

Mit dem Bild der nächtlichen Erscheinung und Warnung des Cäsarmörders nimmt Storm das dramatischste aller mit Brutus Schicksal verbundenen Motive auf und stellt es in den Mittelpunkt eines Heldenepos, dessen Aussage durch die Gegensatzpaare Freiheit – Sklaverei und Republik – Tyrannei bestimmt wird. Das Gedicht gerät Storm zum Appell für die politische Freiheit. Der hohe Redeanteil – in drei der fünf Strophen rechtfertigt Brutus seine Tat als Pflicht, die ihn alle menschlichen Beziehungen zu Cäsar hinter die politische Notwendigkeit zurückzustellen zwang – führt ihn uns dennoch als von Gewissensqualen und -zweifeln heimgesuchten, verantwortungsvollen Menschen vor. Storm wählt fünfhebige Trochäen, um die Bedeutung und Schwere des Vorgangs darzustellen. Und er bedient sich eines komplexen Reimschemas mit dem Wechsel von Kreuzreim und Paarreim sowie einer siebten Zeile ohne Reimpaar, mit Hilfe derer er den jeweiligen Gedanken abschließt. Die fünfte Strophe fügte er erst in Lübeck hinzu. In ihr dominiert das Numinöse und verleiht dem Gedicht einen unheilschwangeren Ausgang, der in einen Gegensatz zu dem Bild in der ersten Strophe gerät, in dem der Held „der Freiheit letzte Säule“ in seinem Herzen hält. In die zu Beginn konstatierte Dunkelheit des Herzens bricht nun am Schluss das drohende „Schreckgebilde“ in „wache Träume ein“ und mahnt an den bevorstehenden Tod. Vielleicht war es dieser Gegensatz, der Storm anregte, zu diesem Text ein zweites Gedicht zu schreiben, „Brutus Gespenst“. In diesem sechszeiligen Werk benutzt er nun den hochdramatischen Hexameter für einen reimlosen Dialog zwischen zwei ungenannten Sprechern. Der eine fragt, ob die „Larve“, die dem Brutus erschien, sein eigenes Gespenst, also sein schlechtes Gewissen, oder „Cäsars Rachegestalt“ war. Der andere weist energisch beide Möglichkeiten zurück und rechtfertigt den in der ersten Strophe als „herrlichen Brutus“ bezeichneten noch einmal, indem er die Gespenstererscheinung nicht als Eingriff höherer Mächte deutet, sondern als „schwindende(n) Schatten der Freiheit“ bezeichnet.

Dieses Motiv fand Storm bei Plutarch, der im 27. Kapitel seines „Brutus“ das unmittelbar an die Erscheinung anschließende Gespräch mit Cassius wiedergibt, in dem dieser seinen erregten und deprimierten Freund u.a. mit folgenden Worten beruhigt:[41] „Daß es Genien gibt, ist eben nicht wahrscheinlich, noch wenn es welche gibt, daß sie menschliche Gestalt und Stimme haben, und sich ihre Macht bis auf uns erstrecke; wie ich wohl wünschen möchte, damit wir uns nicht bloß auf so viele Waffen, Pferde und Schiffe zu verlassen brauchen, sondern auch auf die Hilfe der Götter rechnen können, da wir bey der gerechtesten und rühmlichsten Unternehmung Anführer sind.“ In der letzten Zeile schließlich wird Brutus noch einmal als „Held“ gefeiert, der gemeinsam mit dem Schatten der Freiheit „Roma“, die Allegorie der Republik, verlässt.

Viele in der Husumer Schule thematisierte Gestalten aus der griechischen und römischen Geschichte repräsentieren gesellschaftliche Tugenden wie charakterliche Integrität im Umgang mit Familien und Freunden sowie politische Einstellungen, deren Grundlagen republikanische und demokratische Überzeugungen waren. Über die athenische Demokratie wurden im Unterricht folgende Werte vermittelt, die bedeutende Staatsmänner und Philosophen verkörpert haben: Freiheitsliebe, Gesetzestreue und Seelenstärke. Diese Wertbegriffe werden in einem Teil der klassischen Texte des gymnasialen Literaturkanons mit folgenden Leitlinien verknüpft: Arbeit, Wettkämpfe, Feste, Weltoffenheit, Liebe zur Kunst und zum Geist, Reichtum im Dienst der rechten Tat, Überwindung der Armut durch Anspannung der eigenen Kräfte, Sorgfalt im Haus- wie im Staatswesen, Pflege uneigennütziger Freundschaft und ungezwungener Selbstverwirklichung.[42]

Storm hat sich zu dieser Zeit auch mit Lessings berühmter Verteidigung des Horaz auseinandergesetzt; er bekräftigt sein politisches Verständnis der Rolle des Brutus nachdrücklich in einem Kommentar zur „Rettungen des Horaz“[43], in der Lessing ausführt: „Man weis, daß Horaz, als er sich in Athen, seine Studien fortzusetzen befand, unter der Armee des Brutus Dienste nahm. Die historischen Umstände davon sind zu bekannt, als daß ich mich dabey aufhalten dürfte. Man weis, wie unglücklich die Schlacht bey Philippis für den Brutus ausfiel. Sie ist es, an welche Horaz in der siebenden Ode des zweyten Buchs seinen Freund, dem Pompejus Varus, erinnert: Tecum Philippos, & celerem fugam/ Sensi, relicta non bene parmula,/ Cum fracta Virtus & minaces/ Turpe solum tetigere mento.“[44] Storm merkt dazu an: „Vielleicht ist der Ausdruck „relicta non bene parmula“ ganz einfach und allgemein vom „Aufgeben des Kampfes für die Freiheit der sinkenden Republik“ zu verstehen, und wie die beiden nächstfolgenden Verse ein Seufzer, der sich ihm bei der Erinnerung an jene Zeit aufdrängt.“[45]

Aus solchen Quellen speiste sich das keimende politische Bewusstsein Storms und seiner Freunde während der Schulzeit und entfaltete sich neben einem produktiven Verhältnis zu den schönen Künsten während der Studienzeit in Kiel vor allem durch den Kontakt zu Theodor Mommsen, dessen schulische Bildung am Christianeum in Altona auf dem gleichen pädagogischen Fundament ruht. Dass Storm „unpolitisch“ sozialisiert wurde, wie von Stormforschern im 20. Jahrhundert immer wieder behauptet wurde, wird schon dadurch widerlegt, dass sein Vater Mitglied der schleswigschen Provinzial-Ständeversammlung war, die nach dem Gesetz vom 15. Mai 1834 in den Herzogtümern unter dem Eindruck der französischen Julirevolution durch Friedrich VI. eingerichtet wurde. Dass dies eine unwillige Konzession des dänischen Königs war, kann man in den Beiträgen des Husumer Wochenblatts aus diesem Zeitraum zwischen den Zeilen lesen. Diese Entwicklung wurde ganz sicher von Storm und seinen Freunden in der Prima der Gelehrtenschule aufmerksam verfolgt und mit den Lehrern diskutiert[46]; die Frage nach der Gestaltung eines zukünftigen deutschen Nationalstaates bleibt von nun auf der Tagesordnung. Aus einigen Dichtversuchen dieses Zeitraums lässt sich erkennen, woher Storm seine republikanischen und demokratischen Ideen bezogen hat, die mehr waren als bloße Schülerschwärmereien und die sein Denken und Handeln in den folgenden Jahrzehnten bestimmen sollten, denn sie regten ihn nicht nur zu gesellschaftskritischen Gedichten und Novellen an, sondern waren auch der Motor für sein politisches Engagement während der bürgerlichen Revolution von 1848/49. Der Einfluss seiner Lehrer auf diese Entwicklung ist bisher nicht angemessen gewürdigt worden, sicher hat in seinen letzten Husumer Jahren Peter Friedrichsen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung republikanischer Ideale gespielt. In Lehrern wie ihm lebte das Ethos der athenischen Demokratie weiter und konnte die hellenistische Gedankenwelt kontinuierlich fortwirken. Griechen und Römer verband ein starker Freiheitswille, der sich in der Überwindung der auf Gewalt beruhenden Adelsherrschaft manifestierte und in Verbindung mit der Bereitschaft des Einzelnen, sich für das gemeinsame öffentliche Wohl aufzuopfern, zur Grundlage auch der res publica wurde. Folgende zentrale Wertbegriffe lassen sich in klassischen Texten der römischen Literatur finden: Freundschaft, Eintracht, Besonnenheit, Beständigkeit, Ruhm, Ehre, Fleiß, Unbestechlichkeit, Rechtschaffenheit, Sorgfalt, Einsicht, Bescheidenheit, Achtung und Würde.

Einen unmittelbaren Ausdruck fanden diese Ansichten in Storms couragiertem Verhalten während der Schleswig-Holsteinischen Erhebung, als er für die von Theodor Mommsen redigierte „Schleswig-Holsteinische(n) Zeitung“ kritische Korrespondentenberichte aus Husum verfasste, in denen er aus seiner adelskritischen und demokratischen Orientierung keinen Hehl machte. Nach der Niederlage der provisorischen Regierung nahm er dann – ganz in der Nachfolge seiner antiken Vorbilder – die persönlichen Konsequenzen auf sich und wählte mit seiner Familie für mehr als zehn Jahre das beschwerliche preußische Exil. Tragisch war, dass sich nach seiner Rückkehr in die Heimat im Jahre 1864 die Hoffnungen auf eine demokratische Umgestaltung der deutschen Gesellschaft und auf eine deutsche Republik wegen der preußischen Hegemonialpolitik endgültig zerschlugen; in dieser Hinsicht musste Storm drei Jahrzehnte nach seiner Schulzeit die Erfahrung vieler Dichter des Vormärz teilen.

 In das Rektorat Friedrichsen fiel auch die 300-Jahrfeier der Gelehrtenschule im Jahre 1827, die von der Schule mit den Michaelisreden verbunden wurde, da von der Stadt Husum keine finanzielle Unterstützung gewährt wurde. Die Reden wurden diesmal im Königssaal des Schlosses vor Husum gehalten. Friedrichsen hat Material zur Geschichte der Schule in einigen seiner Beiträge zu den Schulprogrammen beigetragen und damit viele Details für die Nachwelt bewahrt.[47]

Im Schulprogramm 1838, S. 23 verabschiedet er sich von seinem Amt: „Mit Wehmut ergreife ich noch einmal die Feder, um von Husum und der Schule Abschied zu nehmen. Ein und zwanzig Jahre habe ich hier verlebt und mich glücklich gefühlt. Mit dem innigsten Dank werde ich stets an die Liebe und Freundschaft zurückdenken, die ich hier genossen habe. Auch aus der Ferne wird das Wohl Husums und der Schule, an der noch immer mein Herz hängt, mein sehnlichster Wunsch bleiben. So lebet denn wohl, Ihr, die ich meine Freunde nennen darf, und Ihr, meine geliebten Schüler, und gedenket auch bisweilen eures nun bald entfernten Freundes und Lehrers!“

In dem Jahrzehnt nach dem Ausscheiden Friedrichsens wurde auch in der Öffentlichkeit mehrfach die Fortführung der Reform der Gelehrtenschule gefordert, da neben dem Ausbau der Infrastruktur auch das Bildungswesen in den Herzogtümern modernisiert werden sollte. Die Ansätze hierzu konnten wegen der Ereignisse während der Schleswig-Holsteinische Erhebung nicht mehr verwirklicht werden.

Betrachtet man, was aus einigen Schülern geworden ist, die während Friedrichsens Rektorat die Husumer Gelehrtenschule besucht haben, so wird deutlich, dass dieser Mann trotz seines eher zurück haltenden und bescheidenden Auftretens eine ganze Generation prägte, die neben Theodor Storm in ihrem späteren Leben Bedeutendes geleistet hat. Ich erwähne nur elf Männer aus dem Freundeskreis des Dichters, deren Biographien exemplarisch für viele der Absolventen dieser Jahre sind[48]:

 

Christian Ulrich Beccau (1809-1867) aus Friedrichstadt; Vater: Carl Beccau, Chirurg in Friedrichstadt; Schüler an der Husumer Gelehrtenschule seit Ostern 1825; Studium der Jurisprudenz in Kiel; 1838 Untergerichtsadvokat in Husum;1842 Notar; musste Husum 1848 verlassen, kehrte 1851 zurück und erhielt seine Bestallung als Rechtsanwalt 1855 wieder; Verfasser einer Geschichte Husums

 

Jakob Petersen Blumensaat (1811-1883) aus Osterhusum; Vater: Landmann; Husumer Gelehrtenschule von Ostern 1825; Abgang Ostern 1834, Studium der Theologie in Kiel, 1858 Pastor in Dagebüll, 1871 in Översee, 1880 i.R.

 

Ernst Simon Heinrich Friedlieb (1815-1866) aus Husum; Vetter von Storm, Vater: Stadtphysikus; Schüler an der Husumer Gelehrtenschule ab Ostern; 1835 Studium in Kiel, Dr. jur., Amtssekretär in Rendsburg, 1848 Privatdozent, 1864 a.o. Prof. in Kiel

 

Albert Julius Ferdinand Henrichsen (1814-1890) aus Schwesing; Schüler an der Husumer Gelehrtenschule von Ostern 1827 bis Michaelis 1833, seit 1834 Studium in Kiel, 1839 Adjunkt in Flensburg, 1840 Kollaborator, 1848 Konrektor in Schleswig, 1855 2. Lehrer, 1859 1. Oberlehrer in Altona; 1882 i.R.

 

Christian Albrecht Klander (1817-1874) aus Husum; Vater: Gerber; Husumer Gelehrtenschule von Michaelis 1826 bis Ostern 1834, dann Christianeum in Altona, seit Herbst 1835 Student in Kiel, Lehrer an der Gelehrtenschule Plön (1841-1874)

 

Wilhelm Heinrich Koopmann (1814-1871); Husumer Gelehrtenschule bis Ostern 1834, Student der Theologie in Kiel, 1855 Bischof von Holstein

 

Karl Friedrich Emil Krebs (1815-1897) aus Bredstedt; Vater: Deichinspektor, Schüler an der Husumer Gelehrtenschule bis Michaelis 1830; seit Herbst 1830 Studium in Kiel, Advokat in Bredstedt

 

Johann Lorenz Heinrich Kuhlmann (1817-1900) aus Husum; Vater: Georg Heinrich K., Konrektor an der Husumer Gelehrtenschule (1811-1838); praktizierte als Arzt von 1843-1886 in Husum

 

Theodor Hermann Johannes Lüders (1823-1858) aus Schleswig, Vater: Etatsrat und Regierungsmitglied in Schleswig, besuchte die Husumer Gelehrtenschule bis Michaelis 1842 und begann Ostern 1843 sein Jurastudium in Kiel. Er sammelte Sagen aus der Umgebung von Schleswig. Nach seiner Beteiligung am schleswig-holsteinischen Aufstand als oberster Militärrichter und einer kurzen journalistischen Tätigkeit bei der „Deutschen Reichszeitung“ in Braunschweig wanderte er 1853 nach Amerika aus.

 

Johannes, Mathias Peter Ohlhues (1815-1883); Sohn des Pastors in Hattstedt; Husumer Gelehrtenschule bis Herbst 1835, dann mit Storm auf dem Lübecker Katharineum, seit 1837 Studium der Theologie in Kiel, 1841 zweites Predigerexamen, seit 1847 Lehrer in Dockenhude, seit dem 23.3.1849 Prediger in Olderup; Mitunterzeichner der Erklärung schleswig-holsteinischer Geistlicher vom 29.8.1849, Entlassung im Dez. 1850, seit 1851 Prediger in Duisburg.

 

Georg Friedrich Rittel (1819-1850) aus Husum; Vater: Kaufmann; Schüler an der Husumer Gelehrtenschule seit Michaelis, 1840 Studium der Theologie in Kiel, Hauslehrer in Karby (Schwansen) in der Nähe von Kappeln. Wurde bei Idstedt (24./25. Juli 1850) schwer verwundet und starb am 26.9.1850 in einem Lazarett auf Schloss Gottorf.

 

Anmerkungen


[1] „Der Amtschirurgus – Heimkehr“. In: „Zerstreute Kapitel“. Theodor Storm. Sämtliche Werke in vier Bänden, hg. von Karl Ernst Laage und Dieter Lohmeier. Bd. 4, Frankfurt am Main 1988, S. 159-174; hier S. 164ff. Im Folgenden zitiert als „LL“ mit Band und Seitenangabe.

[2] „Als ich mit 17 Jahren von der schlechten Husumer Schule nach Lübeck kam, rief mein Freund Röse mir einmal zu: „,Du bist noch geistig todt! Wach auf! Du denkst nicht!’“ Theodor Storm- Constanze Esmarch. Briefwechsel, hg. von Regina Fasold. 2 Bde, Berlin 2002, Brief vom 4.4.1846.

[3] Beilage zum Brief an Ada Christen vom 2.3.1873; Theodor Storm. Briefe. Hg. von Peter Goldammer, 2. Bde. Berlin, 2. Aufl. 1972, Bd. 2, S. 60.

[4] Meine Erinnerungen an Eduard Mörike; LL 4, S. 470.

[5] Entwürfe einer Tischerede (1); LL 4, S. 487f.

[6] Theodor Storm. Ein Bild seines Lebens. Von Gertrud Storm. Bd. 1: Jugendzeit. Berlin 1912, S. 130. Als Quellen dienten ihr neben Erinnerungen von Zeitgenossen ihres Vaters vor allem die erste Biographie Storms von Paul Schütze: Theodor Storm. Sein Leben und seine Dichtung. Berlin 1887.

[7] Vergl. Karl Ernst Laage: Theodor Storms Lübecker Zeit. In: Theodor Storm im Film. Die Kino- und Fernsehverfilmungen seiner Werke. Lübeck 1987, S. 76-82. – Walter Zimorski: „Die Tore einer neuen Welt“. Theodor Storms Bildungserlebnis in Lübeck. In: Der Wagen. Lübecker Beiträge zur Kultur und Gesellschaft, Lübeck 2002, S. 202-309.

[8] Franz Stuckert: Theodor Storm. Der Dichter in seinem Werk. Tübingen 1952, S. 13. – Hartmut Vinçon: Theodor Storm in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1972, S. 18. – Georg Bollenbeck: Theodor Storm. Eine Biographie. Frankfurt am Main 1988, S. 41. – Host Joachim Frank: Theodor Storm. In: H. J. F.: Literatur in Schleswig-Holstein. Bd. 3.1. Neumünster 2004. S. 519.

[9] Gerd Eversberg: Theodor Storm als Schüler. Mit vier Prosatexten und den Gedichten von 1833 bis 1837 sowie sechs Briefen. Heide 2006.

[10] Gerd Eversberg: Neues zu Storms frühen Schreibexperimenten. Mit den frühesten Briefen Storms und einem bisher unbekannten Prosatext aus dem Jahre 1835. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 54 (2005), S. 27-63.

[11] Gerd Eversberg: Storms erste Gedichtveröffentlichungen. In: STSG 41(1992), S. 45-49.

[12] Was damals in der Schule vermittelt wurde und wie diese Lernerfahrungen die Entwicklung des jungen Storm beeinflusst haben, erhellen bisher wenig beachtete Dokumente im Husumer Storm-Archiv und vor allem im Archiv der Hermann-Tast-Schule, der früheren Gelehrtenschule, in der auch die historische Schulbibliothek aufbewahrt wird, die eine Fülle von Zeugnissen über den Unterricht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts enthält.

[13] Ausführlich bei Gerd Eversberg: Theodor Storm als Schüler. Heide 2006.

[14] Zit. Nach dem Kommentar von Dieter Lohmeier in LL 4, S. 666.

[15] Ernst Möller: Geschichte des Hermann Tast-Gymnasiums in Husum nebst Lehrer- und Schülerverzeichnissen. Husum 1827, S. 57.

[16] Walter Schöler: Die einheitliche Gestaltung des nordfriesischen Bildungswesens durch die Adlersche Schulreform um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Phil. Diss. Hamburg 1977.

[17] „Tabellarischer Extrakt“ der Erhebung der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen, Herbst 1777; vergl. Wolfgang Weimar: Geschichte des Gymnasiums in Schleswig-Holstein. Rendsburg o.J. [1986], S. 32.

[18] Erneuerte Husumsche Schul-Ordnung. Flensburg 1763.

[19] Ernst Möller: Geschichte des Hermann Tast-Gymnasiums, S. 39.

[20] Die umfangreiche pädagogische Literatur, die in der historischen Schulbibliothek aufbewahrt wird, zeugt zumindest davon, dass man auch in Husum die Forderungen damals aktueller Reformen zur Kenntnis genommen hat.

[21] Georg Friedrich Schumacher: Genrebilder aus dem Leben eines siebzigjährigen Schulmannes, ernsten und humoristischen Inhalts; oder: Beiträge zur Geschichten der Sitten und des Geistes seiner Zeit. Schleswig 1841. Darin: Die Gelehrtenschule. Husum vor 50 Jahren. Einzelne Charaktere, S. 272-299; hier S. 286.

[22] 24. August 1814: Erlass der „Allgemeinen Schulordnung für die Herzogtümer Schleswig und Holstein“. In: F. M. Rendtorff: Die schleswig-holsteinischen Schulordnungen vom 16. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Texte und Untersuchungen zur Geschichte des Schulwesens und des Katechismus in Schleswig-Holstein. Kiel 1902; S. 144-177. Der Text ist abgedruckt in: Chronologische Sammlung der im Jahre 1814 ergangenen Verordnungen und Verfügungen für die Hertzogthümer Schleswig und Holstein. Kiel 1816.

[23] Census 1835. Verzeichniß der am 1sten Februar 1835 vorhandenen Volkszahl. (Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv Schleswig). Die Zahlen für Husum wurden im HusumerWochenblatt vom vom 1.2.1835, S. 62 mit 3880 angegeben und kurz darauf in Nr. 10 vom 8. März, S. 77 zu 3882 korrigiert (Exemplar im Nissenhaus, Husum).

[24] Vergl. Christian M. Sörensen: Abkehr vom Gesamtstaat – Erhebung gegen Dänemark (1813-1864). In: Geschichte Husums von den Anfängen bis zur Gegenwart, S. 127-152.

[25] Wolfgang Weimar: Geschichte des Gymnasiums in Schleswig-Holstein, S. 46.

[26] Gedruckte Exemplare im Schularchiv der Hermann-Tast-Schule Husum.

[27] Ernst Möller: Geschichte des Hermann Tast-Gymnasiums, S. 47.

[28] Schülerzahlen (Nach den Jahresberichten und handschriftlichen Aufzeichnungen im Archiv der Hermann-Tast-Schule Husum): 1821/22: 52/49; 1822/23: 44/48; 1823/24: 58/58; 1824/25: 65/68; 1825/26: 65/66; 1826/27: 71/72; 1827/28: fehlt; 1828/29: 69/76; 1829/30: 72/67; 1830/31: 70/68; 1831/32: 69/63; 1832/33: 49/54; 1833/34: 51/45; 1834/35: fehlt; 1835/36: 35 (ohne Sekunda).

[29] Manfred Fuhrmann: Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt am Main 1999, S. 55ff.

[30] In der Reihenfolge ihrer Behandlung, Lektüre teilweise in Auszügen; die Aufstellung erfolgt nach den erhaltenen Schulprogrammen in den dortigen Formulierungen.

[31] Peter Friedrichsen: Über Schulprogramme. In: Schulprogramm, Husum 1833, S. 3-12; hier S. 9f. Friedrichsen bestimmt den Sinn solcher Schulschriften und bestimmt drei Aufgaben: 1. die Geschichte der Schule und der Lehrer darzustellen, 2, Nachrichten über Vorzüge und Mängel der Schuleinrichtung zu geben und 3. „Angabe der Methoden, nach welcher die einzelnen Lehrgegenstände in der Schule behandelt werden.“ Im Folgenden beschreibt er die Methode, mit der er die Klassiker behandelt, also die Art und Weise, wie die Werke griechische und lateinische Autoren mit den Schülern erarbeitet werden sollen.

[32] Chronologische Sammlung der im Jahre 1814 ergangenen Verordnungen und Verfügungen, S. 120.

[33] Vergl. Gerd Eversberg: Lyrik und Poetik. Zu Storms Gedicht „Elegie“ aus der Husumer Schulzeit (1835). In: Storm-Blätter aus Heiligenstadt, 12, 2006, S. 35-44.

[34] Original verschollen; Text nach Gertrud Storm: Theodor Storm, S. 101f.

[35] In Storms Sammelhandschrift „Meine Gedichte“ (Storm-Archiv Husum), S. 85-87 als Nr. 98 mit dem Hinweis „Husum als Primaner.“ nach der vierten und „Lübeck.“ nach der fünften Strophe eingetragen. Das zweite Gedicht ist dort auf S. 85 als Nr. 97 mit dem Hinweis „Kiel erstes Semester“ notiert.

[36] Schulprogramm 1835/1836: Rektor Friedrichsen: „Plutarchi Agesilaus wurde ins Lateinische übersetzt, griechische Grammatik“. (Husumer Gelehrtenschule; Schularchiv.) In der Bibliothek der Hermann-Tast-Schule hat sich folgender Band erhalten: Plutarchi Agesilaus et Xenophontis encomium Agesilei. In scholarum usum edidit, notis et indice illustravit Detlev Car. Guil. Baumgarten-Crusius. Leipzig 1812. Der Band scheint von Rektor Friedrichsen benutzt worden zu sein, denn auf dem hinteren Umschlag ist eine Schülerliste der Prima von August 1835 eingetragen; bei Ohlhues und Storm ist notiert: „Michaelis 1835 nach Lübeck“.

[37] Plutarchs Timoleon, Philopoemen, die beiden Gracchen und Brutus. Zum Schulgebrauch herausgegeben mit kurzen Anmerkungen und einem erklärenden Wörterverzeichniss von G.G. Bredow. Altona 1800. (Brutus S. 125ff. mit Schülereinträgen von 1832-1836); Zweite, vermehrte und verbesserte Ausgabe. Altona 1815. (Brutus S. 133ff. mit Schülereinträgen von 1820-1849).

[38] Des Plutarchus von Chäroneia vergleichende Lebensbeschreibungen. Aus dem Griechischen übersetzt mit Anmerkungen von Joh. Friedr. Sal. Kaltwasser. Siebenter Theil. Magdeburg 1803. Cajus Julius Cäsar S. 1ff. Eintrag auf dem Vorsatzblatt: „Storm. 1834.“ Marcus Brutus S. 361ff.

[39] Neunter Theil, Kapitel 63, S. 422. Ähnlich erzählt Plutarch im Lebensbild Cäsars, Siebenter Theil, Kapitel 69, S. 133.

[40] So die Überschrift in der Übersetzung von Kaltwasser, Neunter Theil, S. 453-459.

[41] Des Plutarchus von Chäroneia vergleichende Lebensbeschreibungen. Magdeburg 1803, S. 423.

[42] Vergl. Ernst R. Sandvoss: Geschichte der Philosophie. Wiesbaden 2004, S. 282 und S. 405f.

[43] Gotthold Ephraim Lessings Schriften. Dritter Theil. Berlin 1754  (Exemplar in Storms Bibliothek, StA); die Anmerkung in Storms Handschrift steht hinter dem von ihm handschriftlich angefertigten Inhaltsverzeichnis am Schluss des Buches. Der Namenseintrag Storms unten auf dem Titelblatt ist ausgeschnitten; ein Rest des ausgerissenen Besitzervermerks im „Zweiten Theil(s)“ (Berlin 1756) lässt die Schriftzüge „HWStorm“ erkennen, so dass dieser Eintrag in die Schulzeit datiert werden kann.

[44] Horaz: Oden, Buch II, 7; dritte Strophe: Mit dir habe ich Philippi erlebt und die rasche Flucht, als wir so schändlich den Schild verloren, als unsere Kraft zerbrach und die drohend Blickenden mit dem Kinn schimpflich zu Boden gingen. (Übers. G.E.)

[45] „Was für ein Bekenntniß! rufen alle aus, die sich des Schimpfs erinnern, der sowohl be den Griechen als Römern mit dem Verluste des Schildes verbunden war – –“ (Lessings Schriften. Dritter Theil, S. 58f.).

[46] Die Schulaufsicht htte bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrfach die Praxis mancher Lehrer gerügt, zu Beginn des Fachunterrichts Aktuelles aus den Wochenblättern vorzulesen. Vergl. Walter Schöler: Die einheitliche Gestaltung des nordfriesischen Bildungswesens durch die Adlersche Schulreform um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, S. 101.

[47] Friedrichsens Beiträge zur Schulgeschichte und sein Wirken für die Schulbibliothek sind in seinen Veröffentlichungen dokumentiert:
Ueber die Entstehung und den jetzigen Zustand unserer Schulbibliothek, Schulprogramm 1822, S. 3-26.
Nachricht von der Schulbibliothek, Schulprogramm 1826, S. 15 (über die Kataloge).
Erneuertes Andenken an die bisherigen Lehrer der hiesigen Gelehrtenschule (1), Schulprogramm 1823, S. 3-26; (2) 1824, S. 3-34; (3) 1825, S. 3-36; (4) 1836, S. 3-14; (5) 1831, S. 3-26; (6) 1832, S. 3-27; (7) 1834, S. 4-23. (Der vierte Beitrag enthält auch eine Autobiographie Friedrichsens.)
Ein paar Worte über die Gründung unserer Schule, Husum 1827.
Kritischer Überblick der merkwürdigsten Ansichten vom Buche Jonas, nebst einem  neuen Versuche über dasselbe. Altona 1817.
Wortregister zu dem kleinen dänischen Lesebuch von  Tobiesen. Altona 1818.
Über die Oratio obliqua in der lateinischen Sprache. Schulprogramm 1827, S. 1-26; 1829, S. 3- 18.
Praemittuntur variae lectiones in Juvenalis satiras, Schulprogramm 1830, S. 3-21.
Explicatur ex libro Ciceroniano, qui inscribitur: de senectute, caput secundum, Schulprogramm 1835, S. 3-23.
Die Verschlingung des Herakles von einem Seeungeheuer, verglichen mit der biblischen Erzählung von den Schicksalen des Propheten Jonas, Schulprogramm 1836, S. 3-13.
Explicantur ex Horat. Sat. I. 4 vs. 10-12 et 25, Schulprogramm 1837, S. 3-12.
Probe einer historisch-critischen Übersicht der merkwürdigsten Ansichten vom Buche Jonas, Schulprogramm 1838, S. 3-17.

[48] Angaben nach Ernst Möller: Geschichte des Hermann Tast-Gymnasiums in Husum nebst Lehrer- und Schülerverzeichnissen. Husum 1827.

 

Theodor Storms Schulzeit. Die Neuorganisation der Husumer Gelehrtenschule in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Rektor Peter Friedrichsen. In: Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte 2006, Band 10, S. 8-34.