Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

119. Gail W.                                                       Toronto, February 22, 1965

[in englischer Sprache]

Liebe Susanne,

Ich habe mich gefreut, deinen Brief zu erhalten. Ich freue mich ebenso, dass du schöne Ferien und ein gutes Weihnachtsfest gehabt hast. Ich hoffe, dass das Wetter bei euch gut ist. Hier ist das Wetter sehr unbeständig. Eine Woche ist es kalt, in der nächsten ziemlich warm.

Du musst ganz begeistert von der Möglichkeit sein, eine Schule in einem anderen Land zu besuchen. Ich würde gern etwas über andere Länder lernen und durch den Besuch dieser Länder einen größeren Durchblick erlangen. Ich besuche eine Wirtschaftsschule und habe einen fünfjährigen Kurs belegt. Ich weiß noch nicht genau, wohin ich nach der 13. Klasse gehen werde. Vielleicht gehe ich auf eine pädagogische Hochschule, auf die Universität oder die Ryerson [Universität], wo ich meine Ausbildung in Buchführung vielleicht fortsetze. Ich mag Buchführung sehr. Ich interessiere mich auch für Naturwissenschaften, Mathematik und Französisch. Literatur kann interessant sein, wenn man ein interessantes Buch durchnimmt. Dieses Semester lese ich Julius Caesar von Shakespeare. Es ist das erste Buch, das ich von Shakespeare lese und ich finde es ganz eigentümlich. In Naturwissenschaften haben wir Physik. Auch Geschichte ist interessant. Ich mag besonders alte Geschichte, obwohl wir heutigen und mehr mit der Gegenwart befassen sollten. Welche Fächer magst du in der Schule?

Du hast mich gefragt, ob ich die Rolling Stones mag. Ich mag sie persönlich nicht, aber einige ihrer Songs sind wirklich gut. Die Beatles werden hier langsam unmodern. Ich mag die Beatles. Mein Lieblings-Beatle ist John. Wer ist deiner? Ich mag auch die Searchers (besonders Love Potion No. 9) und Jerry und die Pacemakers. Ich mag auch Elvis Presley und Cliff Richards. Einige der englischen Gruppen sind schwul oder total bescheuert, weil einige ihre Haare so lang wie Mädchen tragen und das geht doch ein bisschen zu weit.

Eine andere Frage, die du mir gestellt hast, war, welche meine bevorzugten Schriftsteller sind. Da gibt es viele gute. Ich mag auch Mark Twain. Charles Dickens ist ein anderer, den ich mag. Spaß machen mir auch die Bücher von Eric Nicol.

Im Winter bin ich sehr viel Schlittschuh gelaufen. Ich mag Schlittschuhlaufen sehr. Es ist ein entspannender Sport und macht viel Spaß.

Nun zum Thema Verabredungen. Hier in Kanada ist das so ähnlich wie in Deutschland. Ein Mädchen, das einen Freund hat, wird als „besetzt“ bezeichnet. Das kann man nur schwer erklären. Aber viele Mädchen flirten. Sie gehen eine Zeit lang mit einem Jungen, dann geben sie ihn auf und gehen mit einem anderen. Ein Mädchen, das gern flirtet, ist nicht besonders beliebt. Es ist in Ordnung, mit unterschiedlichen Jungs auszugehen, aber wenn man plötzlich ohne Grund nicht mehr mit einen redet, gilt man als unbeliebt. Ich selber habe keinen Freund. Auch sehr junge Mädchen gehen bei uns aus. Es gibt auch viele, die rauchen und in Banden rumhängen. Das verschafft ihnen einen schlechten Ruf.

Was ist der letzte Schrei in Deutschland? Hier tragen alle Schuhe, die Clarks heißen. Hier sind auch Kosaken-Stiefel in Mode. Skijacken sind in und Stretchhosen. Die Mädchen toupieren ihre Haare während einige Jungen Beatles-Frisuren tragen.

Wir beginnen unsere Oster-Prüfungen am 15. März.

Das ist für heute alles. Ich hoffe, bald von dir zu hören,

deine Freundin,

Gail.