Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

125. Gerhard E.                                                Elixhausen, 21.7.1965

Mein lieber Schatz!                                                               

Heute abend, da wir unseren ersten Tag hier herum gekriegt haben, möchte ich Dir über die Lage hier schreiben. Die Bahnfahrt heute Nacht war einfach schauerlich! Unser Zug war ein Sonderzug, besetzt mit DRK, AWO und Jugendfahrtendienst – die Wagen waren Nahverkehrsveteranen, ohne geschlossene Abteile. Du kannst Dir vorstellen, wie schwer es war, die Kinder zu beaufsichtigen. Ich habe etwa vier Stunden Wache geschoben und aufgepaßt, daß keiner die Toilettentür mit dem Ausstieg verwechselte. Um 5.15 kamen wir in Freilassing an, wo uns ein Frühstück erwartete. Dann warteten wir eine Stunde auf die Busse. Hast Du schon einen Sack Flöhe gehütet? Nein? – Dann mußt Du mal mit der AWO fahren! Um 8.00 gelangten wir endlich bis zum Jugenddorf. Atmosphäre: typisch österreichischer Bumsladen links, rechts prima neues Haus. Ich wohne links – meine Gruppe rechts. Ich habe als einziger das Glück, von der Gruppe getrennt zu schlafen. Das ergibt ein ganz neues Laufgefühl – besonders wenn Bettruhe sein soll! Von 8.00 bis 10.00 Uhr warteten wir auch die Zimmer (2 Säcke Flöhe). Endlich war das Volk untergebracht; bis 15.00 pennte alles, dann ging es los. Ein Bach in der Nähe war unser erstes Ziel. Ich habe das Volks berauf – bergab gejagt, bis nur noch Dreck und Schmutz zu sehen war. Dann war zwei Stunden Waschen. Schon beim Abendessen fielen manchen die Augen zu. Es bedurfte nur einer halben Stunde Vorlesens, bis sechs von acht fest schliefen. Wir hatten anschließend Helferbesprechung.

Stell Dir vor, es gibt für jeden zwei ganze und zwei halbe Tage Urlaub.

Nun, bis jetzt ist meine Energie noch nicht gebrochen, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Wie schon auf der Karte erwähnt, fühle ich mich ganz als Indianer (Die konnten auch nicht gut schreiben).

Hoffentlich kann ich meine Sehnsucht nach Dir überwinden! So die Alpengötter wollen, erleben wir 1966 einen gemeinsamen Urlaub. Schön wär’s ja!

Wir sitzen jetzt in der Gastwirtschaft, und holen das nach, was das Abendessen vermissen ließ.

Die Post wird doch nicht in Deutschland aufgegeben, wundere Dich nicht über die Marke!

Ich hoffe, bald von Dir zu hören.

Viele Grüße und Küsse von Deinem Gerhard.