Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

162. Gerhard E.                                                Solingen, im Dezember 1966

Liebe Susanne!

Zum Weihnachtsfest 1966 und zum Abschied für längere Zeit widme ich Dir dieses Buch als Erinnerung und Dank für dreieinhalb Jahre Freundschaft.

An diesem Lebensabschnitt wünsche ich Dir Glück und Erfolg für Dein weiteres Leben. Gleichzeitig bitte ich Dich, diese Gabe nicht als Ende, sondern als neuen Anfang anzusehen.

 

[Gedichte aus Gerhards Album]

An dich

 

1. Einst spielt die Zeit auf Nerventastatur,

Ein Antlitz weicht vor hartem Blick.

Wie wasserwellengleich verschwimmt es jetzt.

Du zeigst dich mir im Selbstverlaß

Wo Einsamkeit Ringwolkennetze spinnt

Und grüne Fäden freies Sehnen fesseln.

 

2. Wo finde ich ein Ausgangsloch?

Mir ist, als können meinen Fäden

In leere Raumunwirklichkeit

Nicht Halt am Mitmirlebenwollen finden.

Ich schreie meine Qual durch Hallenleer

Und sehe bis zu echolosen Wänden.

 

3. Da endlich faßt das Abgeschlossensein

Ein Purpurlicht, das flackernd überm Abgrund schwebt.

Ich schreie, um so festzuhalten.

Das Glas klirrt trocken und zerschellt.

Das Licht ist da und Dunkel weicht,

Die harten Wände geben Sehnsucht frei.

 

4. Nun werden Helligkeit die Wände fast,

Sie selber werden zu Durchdringlichkeit.

Der Geist schwebt frei im Weltenlaß

Und meidet grüne Totenhallen.

Wir einigen verneintes Du

Mit eignem Ich in freien Räumen.

 

5. Der neue Grund hilft mit Verwandlung schaffen,

Wo Dunkel war, ist helles Du.

Aus Wand wird Raum und sternenfrei

Aus Totengrüften treten Welten,

Das Daseinsglück erhellt mir Wege

Und beide treten ihren Gang gemeinsam an.

 

 

 

                  Der Riese

 

Hinter dem Waldstreifen beginnt das Gebirge.

Gipfel leuchten im letzten Licht der Abendsonne.

Ein Berg wankt und erhebt sich –

                            es ist ein Riese.

Da fletscht er die Zähne, und

Weiß blitzt es aus runzligem Gesicht.

Die zottigen Haare fallen ihm ungekämmt

Über die Stirn auf die Schultern.

Die Hand hebt er zum Mund

Und verdeckt die Zähne.

Jetzt sehen wir die Fingernägel.

Hoffentlich bleibt der Riese

              So lange stehen,

                        Bis wir

                              Ausgewandert sind!

 

 

Immer wieder…

 

Immer wieder kommt er zu uns herab

Und nimmt uns alles weg

Wenn ich nur wüßte wie ich ihm

Den Garaus machen könnte

Wenn ich nur wüsste wo er verwundbar ist

                                Da ist er wieder!

 

 

Warum drückt

 

Warum drückt die blaue Wolke

                        auf uns herab?

Wuchtig blähn sich ihre Flanken

Zu Kastenform und wandeln sich.

 

Da liegt die weiße Stadt,

Von roten Sonnenstrahlen warm umflutet.

Das Gold blitzt auf den Dächern,

Und weiße Tempelsäulen leuchten.

Die Wolke bringt den Schatten.

 

Das Gold blitzt auf zum letzten Mal,

Und Dächer brechen, Säulen bersten.

 

Nun färbt sich wieder rot die Stadt

Von Menschenblut, das berghoch spritzt.

 

Warum drückt die blaue Wolke

                        auf uns herab?

 

 

Revolution

 

1.  Sonnenstreifen am Horizont erwecken Leben,

     Die Recheckhieroglyphen tragen süße Früchte,

     Der Honigbär steigt in Laternenhelligkeit

     Vom hohen Sitz hinab in Stammtiefsein.

     Ich höre Schwalben dort auf Masten reden;

     Da rollt ein Wagen, korbhoch aufgeladen

     Mit Einerlei aus weisen Städten

 

2.  Wir alle wollen es, doch niemand wagt

     Das graue Bild vom hellen Fensterglas zu trennen.

     Wenn Sonnenschein in Tropfen über Dächer rollt,

     Fällt Hut und Stein und Blatt vom Zaun herab.

     Wenn erst der graue Schleier weicht,

     Sieht jeder rotgestreiftes Himmelsflach

     Und niemand weint mehr um die Toten.

 

3.  Vom weisen Riesengroß erhielten wir ein Mal;

     Auf ihm war unser Ziel gefestigt worden.

     Es schien, als hätten Unwelthorden

     Ein Lichtblick aufgewischt und dann verdorben.

     Wir fragen nicht nach Netzwerkschranken,

     Und wenige fürchten sich vor vielen.

     Doch alles wird mit neuer Sonne gut.