Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

167. Gerhard E.                                                Schwarzenborn, 17.1.67

Mein Liebling!

Für Deinen Brief vom 13. vielen Dank! Mir ist es fast unmöglich, in der Woche Zeit zum Schreiben zu finden. Am Wochenende ist dazu mehr Zeit; heute aber will ich Dir antworten. Ich hoffe, deine Wange ist wieder in Ordnung, wenn dieser Brief ankommt.

Über Grass zu schreiben ist mir im Augenblick unmöglich; vielleicht finde ich am Sonntag Ruhe dazu. Den Stresemann-Film habe ich auch gesehen, doch Probleme zu wälzen findet man hier kaum Zeit. Warte also bis zum Wochenende mit einer Stellungnahme.

Ich kann Gerhard die große Scheiße so richtig nachfühlen. Gestern hatten wir nämlich Sport. Das sah etwas so aus: 50 m bis zur Halle laufen, dort 20 min. Gymnastik und anschließend Geräteturnen. Danach 2000 m Waldlauf. Da beim Antreten keine Ruhe war, mußten wir und etwa zehnmal in den Dreck werfen! (Der Schnee war gerade weggetaut.) Wir sahen nachher wie die Schweine aus. Heute sind wir wieder 1 km durch den Wald zum nassen Sportplatz gelaufen, anschließend ohne Pause 800 m, dann wieder zurück (1 km). Da bekommt man Kondition und lernt das Fluchen.

Ich habe eine Generalerkältung (Halsentzündung, Husten, Schnupfen und keine Stimme).

Über den Stumpfsinn in Solingen darfst Du Dich nicht aufregen. Hier ist es ebenso. Vor allem stumpft man hier ab. Gleich geht’s weiter.

Ich finde nun doch noch Zeit, weiter an Dich zu schreiben. Der Spieß hat Geburtstag und der Zapfenstreich wurde auf 23 Uhr verlängert. Ich habe heute Stubendienst und muß nach 23 Uhr die Stube abmelden, wenn der UvD (Unteroffizier vom Dienst) durchgeht. Nicht das Saubermachen, sondern das Aufbleiben (die anderen sind schon seit 21 Uhr im Bett) macht Mühe, denn wir müssen morgen schon wieder um 5 Uhr aufstehen.

Der morgige Tag bringt sowieso einige Überraschungen. Zuerst ist theoretischer Unterricht (Gefechtsausbildung), in dem wir über Orientierung im Gelände mit und ohne Kompaß und Karte belehrt werden. Anschließend geht’s hinaus in den Wald zur Schießausbildung. Dabei wird mit Manöverpatronen geschossen. Hauptsächlich dient diese Ausbildung der Erlernung des Zielens und von Anschlagarten. Unsere Gewehre stehen übrigens nicht im Ständer, sondern jeder hat die Knarre im Spind, auf daß die Klamotten ordentlich eingeölt werden! Bei einer solchen Schießausbildung sind wir ganz schön bepackt: Stahlhelm auf dem Kopf, Arbeitsanzug, hohe Schuhe mit Gamaschen, pelzgefütterte Feldjacke (übrigens das beste Stück der Ausrüstung! Beim Anziehen schwitzt man, draußen hält sie aber ordentlich warm), ABC-Maske in Tasche (Gasmaske), Koppel mit Tragegestell (eine Art Hosenträger); am Koppel baumeln zwei Patronentaschen mit je zwei Magazinen, ein Klappspaten, die kleine Kampftasche mit Kochgeschirr, Besteckt und Gewehrreinigungsgerät, eine Zeltbahn. Doch das ist noch nicht alles, wir müssen noch unser Gewehr schultern.

Gerade war der UvD hier und hat mir gesagt, er käme schon um halb zehn. Gott sei Dank! Schlaf können wir immer gebrauchen. Doch weiter zur Ausrüstung. In einer Seitentasche ist die ABC-Schutzplane, Handschuhe, Überhandschuhe, Pi-päckchen mit Verbandzeug, Nägeln, Messer, Korken und Streichhölzern, womit wir uns die Gesichter schwärzen können. Dazu kommt noch die große Kampftasche (ein kleiner Kleiderschrank) und der Schlafsack!

Doch nun will ich schließen und bevor der UvD noch einmal kommt, schnell den Brief zum Kasten bringen. Was morgen alles passiert, schreibe ich später. Bitte zähl keine Fehler, zum Durchlesen hatte ich keine Zeit. Viele Grüße und tausend Küsse, Dein Gerhard.