Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

169. Gerhard E.                                                Schwarzenborn, 22.1.67

Mein lieber Schatz!

Nachdem ich Dicht heute Vormittag angerufen hatte, war ich so richtig sauer. Nach dem Mittagessen sind wir nach Schwarzenborn gegangen und haben so etwa 10 Biere getrunken. Gegen 5 Uhr hat es mir gereicht und ich bin ärgerlich die zwei Kilometer bis zur Kaserne gelaufen. Ein Autofahrer hat mich noch ein Stück mitgenommen. Hier habe ich erst einmal gegessen und schreibe nun an Dich. Du kannst mir glauben, am Wochenende kann man hier verrückt werden. Jetzt merke ich erst, wie sehr Du mir fehlst. In der Woche merkt man das vor lauter Anstrengung gar nicht. Heute aber verwünsche ich alles.

Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf die Heimfahrt freue! Ich hoffe nur, daß ich am 3.-5. Februar keine Wache schieben muß; wenn doch, komme ich so schnell wie möglich nach Solingen. Man braucht hier irgendetwas, auf das man sich freuen kann.

Wenn man zur Schule geht, freut man sich auf die Freiheit des Studiums und verwünscht den sturen Unterricht; ich habe das ja bis Weihnachten auch getan. Nun aber, nach 3 Wochen B.W., weiß ich, was für Vorteile die Schule bietet. Glaub mir, ich weiß, was ich schreibe. Bei aller Unannehmlichkeit des Schülerdaseins war es trotzdem eine wunderbare Zeit. Man war zwar bis mittags beschäftigt und hatte oft Angst vor dem nächsten Tag, dafür hatten wir aber ab 2.00 Uhr Zeit für uns und niemand redete uns drein. Hier aber hört das Individuum auf zu existieren und geht in der Masse unter. Verstehst Du, warum ich Dir so oft schreibe?

Wenn ich heute noch einmal vor der Wahl stände, würde ich mit allen Mitteln versuchen, vom Bund frei zu werden, ja, ich würde sogar den Kriegsdienst verweigern.  Lieber in einer Anstalt Kranke pflegen, als den sturen Dienst hier ableisten zu müssen. Bitte erzähle meinen Eltern nichts von diesem Brief, aber ich musste einmal alles von der Seele reden.

Du kannst Dir nicht vorstellen, wie furchtbar es für einen individuell denkenden Menschen ist, sich von gleichaltrigen Idioten, die gerade ihren Namen schreiben können und wegen irgendwelchem Unsinn hierhin strafversetzt worden sind, herum kommandieren zu lassen!

Bei allem Geschwafel vom „Bürger in Uniform“ wünsche ich den Leuten, die solche Phrasen verbreiten, einmal die Grundausbildung mitzumachen! Wahrscheinlich würden sie dann etwas vorsichtiger argumentieren. Der Dienst ist das Schlimmste nicht, vielmehr sind es die Vorgesetzten, die zum Teil eine große Schnauze haben und doch geistig drei km unter mir stehen. Ich freue mich schon jetzt auf die Zeit, in der ich Fahnenjunker bin. Das entspricht dem Unteroffizier und dann kann mir keiner mehr. Aber das dauert noch bis Oktober.

Nun darfst Du Dir nicht vorstellen, daß die Ausbildung so vor sich geht, wie mir das bei meiner Verpflichtung erzählt worden ist! Das erste ist zum Beispiel, daß ich in den drei Jahren bar nicht Leutnant werden kann, sondern nur Oberfähnrich. Das bedeutet etwa 1500 – 2000 DM weniger Abfindung. Außerdem hängt die Beförderung nicht von meinen Leistungen ab, sondern von den Vorgesetzten. Noch hat das keine Bedeutung, dafür wird es später umso spürbarer.

Unser Fähnrich zum Beispiel, der hier stellvertretender Zugführer ist, hat erzählt, daß erv wegen seines großen Mundes nach Schwarzenborn abkommandiert worden ist. Er ist auch nicht zum Leutnant vorgeschlagen worden und geht im März als Fähnrich ab mit etwa 1800.-- DM Abfindung vom Bund nach Hause! Schuld daran hat unser Hauptmann, von dem man weiß, daß auch er strafversetzt ist. Der Fähnrich sagte einmal, als er von ihm sprach: „Das Schwein ist zu faul, mir eine Begutachtung zu schreiben!“

Du siehst also, daß man mit völlig falschen Voraussetzungen zum Bund geht und dann, wenn man etwas durch die Verhältnisse blickt, völlig anders denkt.

Du darfst nicht denken, daß ich alles verdamme, aber wenn man am Wochenende so viel Zeit zum Nachdenken hat, dann muß man einfach mit irgendjemanden reden (oder an jemanden schreiben), um wieder zu sich selbst zu finden.

Ich wiederhole noch einmal: Meine Eltern sollen davon nichts erfahrne, sie sollen glauben, daß alles in Ordnung ist. Nun, ich hoffe ja auch, daß nach der Grundausbildung alles besser wird.

Mit drastischen Worten gesagt: Die ganze Scheiße kotzt mich an!

Es wäre schön, wenn Du für Samstag, den 4. Februar eine nette Veranstaltung finden könntest. Denk aber bitte daran, daß ich kein Kostüm habe! Am liebsten würde ich mit Dir ganz allein zusammen sein, ohne von anderen gestört zu sein. Na, wir werden ja sehen!

Nun noch zu etwas anderem. Die drei Karten, die ich mitschicke, zeigen folgendes:

1)      Unser Lager als Luftaufnahme. Das Kreuz zeigt den Block, in dem ich wohne. Das große Gebäude davor ist die Kantine. Links siehst Du den Eingang. Die Straße führt nach oben in Richtung Schwarzenborn; alle anderen Wege sind Panzerstraßen.

2)      Unser Lager von der Wache aus gesehen. Die Häuser sind übrigens Holzbauten. Trotzdem sind alle Stuben angenehm geheizt.

3)      Rechts ist die Kantine von vorn gesehen. Da essen wir immer.

4)      Das erste Bild (links oben) zeigt den Eingang, das zweite (rechts oben) die Straße, die durchs Lager führt, das dritte die Kantine von außen (Essenraum) und das vierte die kleine Kantine, in der es Bier u.s.w. gibt. Dort sitzen wir oft zusammen und ersäufen unseren Kummer.

So, nun hast Du eine ungefähre Vorstellung von unserer Behausung.

Jetzt will ich ins Bett gehen und von Dir träumen. Laß Dir noch einmal versichern, wie sehr ich Dich liebe.

Viele Grüße und Küsse sendet Dir Gerhard, der immer auf Post wartet.

[Anlage]

   

Schwarzenborn/Knüll. Truppenübungsplatz     Kantine I Konrad Liebermann