Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

174. Gerhard E.                                                Schwarzenborn, 12.2.67

Mein lieber Schatz!

Am Dienstag sind wir hier auf die Minute genau um 10.45 Uhr eingetroffen. Der Dienst ging gleich mit Haß und Schikanen los. Abends wurde ein „Maskenball“ veranstaltet, das bedeutet, in rascher Folge mußten wir in allen möglichen Anzügen antreten. Das Schönste der Woche aber war der Nachtmarsch von Mittwoch auf Donnerstag. Um 1.00 Uhr ging es los, die Gruppen gingen mit Gepäck und Gewehr, ohne Führung los. Die Aufgabe lautete, 10 Posten anzulaufen. Jeder Posten gab entweder eine Wegskizze oder die Marschrichtung zum nächsten an. Wir hatten den Marsch gut vorbereitet, da der besten Gruppe ein Tag Sonderurlaub versprochen worden war. Schon am ersten Punkt hatten wir die dritte Gruppe, die vor uns abmarschiert war (10 Min. Vorsprung) eingeholt. Nach Wegeskizzen konnte man sich überhaupt nicht richten, da alle Wege verschneit waren. Den 4. Posten haben alle Gruppen nicht gefunden. Als wir beim 5. Kontrollpunkt waren, hatten wir die drei anderen Gruppen überholt. Jetzt wurde es noch schwieriger, da wir uns ja nicht mehr nach den Spuren der anderen richten konnten. Alle Posten hatten Feuer angezündet, doch da die beiden anderen Züge andere Wege marschierten, die unseren kreuzten, durften man sich nach dem Lichtschein nicht richten. Der 7. Posten war nicht zu finden. Zufällig trafen wir auf ihn und suchten mit ihm seinen angewiesenen Standort. Nach einer Stunde waren wir bei Posten 8. Von dort aus dauerte es nicht mehr lange, und wir hatten das Ziel erreicht. Dort trafen wir als erste Gruppe der ganzen Kompanie nach 3 Stunden und 50 Minuten ein und hatte 9 Posten angelaufen. Die 3. Gruppe war 15 Min. langsamer und hatte nur 8 Posten gefunden. Alle übrigen Gruppen hatten sich verlaufen. Im Gelände gab es dann bei –6°C Frühstück, und anschließend wurden Befestigungsanlagen ausgehoben.

Als es zum Rückmarsch in die Unterkunft ging, glaubten wir, alles überstanden zu haben. Wir waren etwa 15 km marschiert, aber noch 10 km von der Kaserne entfernt. Zu Anfang ging alles noch gut, aber dann sauste unser Unteroffizier mit uns im Sturmschritt einen Berg hinaus. Ich wäre bald umgefallen. Die letzten 300 m gelang es uns nicht, Gleichschritt aufzunehmen, und wir taumelten völlig erschöpft in die Unterkunft. Erst nach einer Viertelstunde kamen die anderen Gruppen an. Insgesamt waren wir 25 km marschiert.

Den Sonderurlaub hat es natürlich bis jetzt nicht gegeben.

Am nächsten Wochenende werde ich, wenn alles gut geht, nach Solingen kommen. Ich freue mich schon jetzt darauf.

Viele Grüße und tausend Küsse von

Deinem Gerhard.