Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

177. Gerhard E.                                                Schwarzenborn, 25.2.67

Vielen Dank für Deinen lieben Brief; als ich ihn gelesen hatte, war mir wieder viel wohler. In dieser Woche hat sich etwas ereignet, worüber meine Eltern noch nichts erfahren sollen. Ich bitte Dich, ihnen nichts zu erzählen, denn Du weißt ja, wie meine Mutter und auch mein Vater sich Sorgen machen würden.

Am Mittwoch hatten wir wieder Schießen. Da wir den ganzen Morgen herumstanden, bekam ich starke Rückenschmerzen. Am Nachmittag ist mir der Sport noch gut bekommen. Anschließend hatten wir ABC-Ausbildung im Wald. Wir hatten gerade unsere Gasmarken auf, als der Fähnrich zu unserer Gruppe kam und uns im Laufschritt im Kreis herumscheuchte. Dabei mussten wir mehrmals Deckung suchen und unsere Schutzplanen benutzen. Plötzlich bekam er den Einfall, einen Schleppgriff zum Transport von Verwundeten im Schussfeld zu üben. Dazu legten sich sechs Mann etwa 20 m vom Waldrand entfernt auf den Boden. Die anderen, unter denen auch ich mich befand, knieten über die Verwundeten (wir hatten die Gasmasken auf und trugen Gepäck (15 kg) und zwei Gewehre (15 kg)). Der Verwundete klammerte sich an meinen Nacken und ich versuchte ihn zum Wald zu ziehen. Der Kamerad wog etwa 80 kg. Als ich es geschafft hatte, kam ich fast nicht mehr auf die Beine. Nach weiteren 15 Minuten wurde eine Pause eingelegt. Wir standen im Kreis und unterhielten uns. Meine Rückenschmerzen waren wieder stärker geworden. Plötzlich bekam ich weiche Knie und fiel einfach um. Zwei Stubenkameraden trugen mich sofort zum Sanitätsbereich. Dort war der Arzt zum Glück noch anwesend Als erstes habe ich ½ Liter Wasser getrunken, da ich völlig ausgedörrt war. Nach etwa einer Stunde ging es mir etwas besser. Ich ging in die Unterkunft und legte mich zu Bett.

Am Donnerstag Morgen war ich zum Arzt bestellt. Er befreite mich vom Gepäck und meinte, ich könnte den Dienst weiter mitmachen. Am Donnerstag Nachmittag waren wir wieder im Gelände. Diesmal hatte ich kein Gepäck, sondern nur das Gewehr mit. Nach etwa einer Stunde passierte mir dasselbe, wie am Tag zuvor. Unser Gruppenführer holte unseren Leutnant, der mich zur Panzerstraße begleitete. Dort holte mich der Jeep des Hauptmanns ab und brachte mich wieder in den San.-Bereich. Der Arzt meine, ich hätte beide Male einen Kreislaufkollaps gehabt. Am Freitag spritze er mir Calcium in die Vene ein und befreite mich vom Außendienst. Heute habe ich wieder eine Spritze bekommen. Morgen bin ich wieder hoch bestellt. Was nun werden soll, weiß ich nicht, Rückenschmerzen habe ich noch immer. Du kannst mir glauben, daß ich im Augenblick nicht gerade in der besten seelischen Verfassung bin, da ich nicht weiß, was mit mir nun werden soll.

Eigentlich hatte ich noch Glück, denn am Mittwoch beim Raustreten stand der Leutnant, das „Karpfenmaul“, wie er hier heißt, mit verbissenem Gesicht im Flur. Er verlangte plötzlich Dinge wie Kopfschützer, Halstuch und Tarnnetz zu sehen, die niemand bei sich hatte. Am Abend veranstaltete er einen Maskenball. Am Freitag um 01.00 Uhr begann eine Nachtübung, die ich auch nicht mitmachen durfte. Ich weiß noch nicht, was in der nächsten Woche wird, da wir viel draußen im Gelände sein werden.

Hier sind übrigens noch mehr Bäume umgefallen, doch haben sie keinen Schaden angerichtet.

Ich möchte mich Ostern gern mit Dir verloben, wenn Du einverstanden bist. Es soll aber geheim bleiben. Du kannst ja bei einem Juwelier nach einem schönen Ring fragen. Wenn ich am nächsten Samstag in Solingen bin, suchen wir uns die Ringe dann aus.

Vielleicht wunderst Du Dich über meinen plötzlichen Entschluß. Sicher ist die Verlobung nur eine Formsache, aber ich glaube, daß wir uns nun lange genug kennen, um zu wissen, daß wir einmal heiraten werden. Ob wir nun noch ein Jahr mit der Verlobung warten oder nicht, ist nur äußerlich, da ich mich schon längst als verlobt mit dir betrachte. Wenn Du glaubst, mich so zu lieben, wie ich Dich liebe, dann antworte mir bitte bald.

Bitte entschuldige die Flecken, die auf den Brief gekommen sind. Ich bin gerade aufgestanden und konnte die ganze Nacht vor Rückenschmerzen nicht schlafen. Wenn man hier allein sitzt und nicht weiß, was nun eigentlich los ist, dann gehen schon einmal die Nerven durch. Ich weiß nicht, wie es mit der Verpflichtung weitergehen soll, da ich unmöglich als Kranker die Lehrgänge mitmachen kann. Der Arzt ist der Meinung, es würde besser werden, aber bisher sind die Schmerzen nur größer geworden. Ich bitte Dich nochmals, meine Eltern nicht zu ängstigen. Wenn ich nach Hause komme, werde ich alles erzählen.

Ich fühle mich so leer und weiß nicht, was ich noch schreiben soll. Wenn ich an Dich denke, finde ich den einzigen Halt.

Bitte schreib mir bald.

In großer Liebe,

Dein Gerhard.