Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

186. Gerhard E.                                                Solingen, den 21.5.67

         Liebe Susanne!

Für Deine zwei Briefe möchte ich mich herzlich bei Dir bedanken. Erst war ich enttäuscht, daß bei Dir nicht alles gut gegangen ist. Jetzt aber hoffe ich, daß Du doch noch irgendeine Gelegenheit findest, eine Schule zu besuchen.

Von hier gibt es einiges zu berichten. In der letzten Woche war ich oft mit Roland, Jochen und Martin unterwegs. Ulli hat sein Auto von innen geteert, weil Wasser durch kam. Wir haben uns tot gelacht. Gestern war ich baß erstaunt. Höre, was sich Großes zugetragen hat.

Heidrun kam nach dem Mittagessen, um mir zu gratulieren. Meine Mutter lud sie zum Kaffeetrinken ein. Nach dieser Sahneprozedur saß ich mit Heidrun  im Wohnzimmer und unterhielt mich. Plötzlich klingelt es und Martin und Jochen sind da. Roland käme gleich mit Gunhild, hieß es. Ob ich nicht mit ins Kino käme. Wohin denn? In ’nen Micky-Maus-Film! Ich habe gleich ja gesagt und wir dampften los, nachdem Roland und Gunhild angekommen waren. Heidrun wurde mitgenommen. Nach dem Kino wussten wir nicht, wohin. Endlich landeten wir bei Martin, weil da niemand zu Haue war. Ich fuhr mit Ulli etwas Trinkbares kaufen und kam mit viel Bier wieder. Es wurde ein ganz netter Abend, bei dem Jochen und Heidrun sich sehr erregt unterhielten. Gegen 10.00 Uhr fuhr Roland Gunhild nach Hause und Martin verlud den Rest. Als ich bei uns aussteige, kommt Heidrun nicht. Ich gucke einmal, zweimal, die beiden küssen sich im Wagen! Martin hat nur verständnisvoll gelächelt. Mein erster Gedanke war, das hätte dem Jochen eine Woche vorher einfallen können. Wie findest Du das? Ich hoffe, auf Heidrun bist Du nun nicht mehr eifersüchtig. Ich bin nur mal gespannt, ob das zwischen den beiden was wird.

So, Du siehst, hier war viel los. Doch heute fahren Martin und Jochen wieder weg. Roland ist auch nur an den Wochenenden da. Jetzt wird es wieder einsam. Dann merke ich wieder richtig, wie Du mir fehlst.

Für Dein Geburtstagsgeschenk möchte ich Dir nochmals danken. Du weißt gar nicht, was für eine Freude Du mir damit bereitet hast. Alle bewundern das Bild.

So, für heute möchte ich den Brief schließen.

Ich wünsche Dir alles Gute und sende tausend Küsse.

In Liebe, Dein Gerhard.

 

[Anlagen:]

[1]

 Auf bunten Frühlingswiesen

Und hinter Waldeshöhn,

bei stolzen Eichenriesen,

sieht man Cupido stehn.

           ───

Cupido, dieser muntre Freund

Ist nackend, dabei leicht gebräunt.

 

[Rückseite]

 

Er steckt hinterm Busche – so,

kneift die Mädchen in den Po.

Bettet man sich in Wiesenröschen,

stibitzt er manchmal Spitzenhöschen.

Entdeckt man ihn, verschwindet er,

lachen hört man seine Stimme;

der Bursch’ läuft wütend hinterher:

Cupido ist fort, der Schlimme.

 [2]

 Tor des Glückes nannten sie es und gingen hindurch,

Dann trug er sie über den schlechten Weg.

Am grünen Hang sank sie ins Gras.

Dort flatterten Vögel über grüne Wipfel.

Sie regte sich nicht und sah zu den Wolken hinauf;

Dann schloß sie die Augen und er beugte sich über sie.

Der kleine Vogel kam spät erst zurück,

Da trug er sie über den schlechten Weg,

und jetzt lächelte sie …

 

[Rückseite]

 Weisheit

 

„Was gefällt dir an den Frauen?“

Fragte der greise Hesipheios

Seinen jungen Freund, den Dichter.

„Ich kann die Laffen nicht verstehen,

die dem Weibervolk nachlaufen!“

 

Jener lächelte ein wenig:

„Komm, laß uns erst speisen,

dann werde ich dir die Antwort geben.“

 

Sie legte sich zum Mahle nieder.

Die Sklaven trugen Speisen, schwere Weine,

besonders Hesipheios schmeckte es gut.

 

Nach langer Zeit

Erheben sie sich wieder,

der Alte nur mit Mühe.

„Nun komm, mein Alter, folge mir!“

 

In einem andern Raum

Steht auf berstend voll beladenen Tischen,

was alle Welt an Gaumenkunst zu bieten hat.

„Setz dich und iß!“ Den Alten aber ekelt es.

„Ich bin zu satt, um mich hieran zu laben.“

 

„So ist es mit den Frauen, alter Freund.

Du bist schon satt, doch ich beginne erst zu essen.“

 

[3]

 

  

Brecht im Himmel

 

Der Maschinenschlosser M. hatte Brecht gelesen.

„Das beeindruckt mich;

Die Gedanken eines lesenden Arbeiters entsprechen meinem Wesen.“

Sagte M. zu sich.

M. geht es lange Jahre schlecht,

Von zehn Kindern starben acht,

Die Frau ist krank, M. arbeitslos.

Als er stirbt, ist es ihm recht,

An die Zukunft hat er doch nie gedacht;

Für den Sarg reicht es nicht, M. ist zu groß.

 

Auf seiner langen Wanderung dort oben hin

Trifft er Brecht und sagt zu ihm:

„Ich habe viel gelesen und gedacht,

Was unsereins nur selten macht;

Doch möchte ich allzu gerne wissen,

Warum wir wie Hunde leben müssen!

Was sollen wir dagegen tun?“

 

„Ihr sollt lesen“, sagte Brecht.

 

[Rückseite]

 

 Um diesen Brief interessant zu gestalten, kam ich auf die Idee, Dir mit dem Lesen dieser Karte etwas Mühe zu machen. Tröste Dich aber mit dem Gedanken an die Mühe, die das Schreiben dieses Scherzes für mich bedeutet hat. Ich habe schon einen Drehhehehehewurm! Genau so, wie Du jetzt dieses Papier drehst, drehe ich mich immer um den Gedanken an Deine Liebe. Wichtig ist mir, daß diese Liebe nicht ebenso schwierig zu entziffern ist, wie das hier! Wenn Du wieder bei mir bist, kannst Du dich ja gerne so um mich drehen. Langsam wird es mir zu dumm. Ich drehe mich schon selbst im Kreis herum. Eine interessante Variante des Lesens wäre, wenn Du das Blatt auf einen Tisch legst und dann liest, ohne das Blatt anzufassen.