Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

196. Gunhild H.                                                 Witzhelden, 5.-8.6.67

Liebe Susanne!

Darf ich Dir noch nachträglich zum Jubiläum gratulieren? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch! Am Volumen von Gerhards Briefen und am Ausbleiben der meinen wirst Du gemerkt haben, daß Gerhard lieb und brav ist. Sein Leid hat ihn so geschwächt, daß er zu ernsten Aktionen gar nicht in der Lage ist, es ist jammervoll anzusehen.

Vielen Dank für die Grüße, die Du mir hast bestellen lassen. Gerhard hat uns erzählt, bzw. vorgelesen, wie es Dir dank Deines Charmes gelungen ist, eine Schule besuchen zu dürfen. Da siehst Du mal wie unterschiedlich die Ansichten über Schule unter bestimmten Bedingungen sein können, ich bin froh, wenn ich meine 4 Wochen abgedient habe. Das schriftliche Abi war eine wahre Wonne, nur war ja das Wetter viel zu schön, um den halben Tag in der Schule zu sitzen.

Der Totenkopf, den Du Gerhard geschenkt hast, ist ja klasse. Inzwischen habe ich Axel auch kennengelernt. Ich bin gerade dabei, ihm das zweite Bild abzukaufen. Schnieke und ich haben Ditty eine Krüppelschwalbe geschenkt, Roland bekommt jetzt das Blaue, das neben dem Fenster hängt. Ich wollte ihm eigentlich kein Bild schenken, aber 1. gefällt es uns beiden und 2. sind orangefarbene Krawatten billiger als ich dachte. Was er an den Dingern schön findet, ist mir ja schleierhaft, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

Seltsamerweise merkt man wirklich erst, was man an einem Menschen hat, wenn er nicht da ist. Ehrlich gesagt, ich wäre (auch) ganz froh, wenn Du zu Hause wärest. Jetzt geht die komische Männerwirtschaft los, erst im Laubach und dann am Nachmittag meistens noch mal. Fällt mir gerade ein, Du hättest mal unseren kleinen Jochen sehen sollen, der legt sich jetzt schon einen Wohlstandserker an.

Hoffentlich kommst Du durch das Durcheinander, aber das mußt Du leider in Kauf nehmen, wenn ich meine Schreibfaulheit überwinde. Du kannst mir ja mal ein gutes Beispiel geben. Kein Brief ohne Witz: Eine 50jährige kommt in einen Laden und will einen Bikini. Vergebens versucht die Verkäuferin ihr anzudeuten, daß sie dazu etwas zu alt sei. Die Alte ist hartnäckig. Endlich hat sie etwas Passendes gefunden und geht in die Kabine, um den Bikini anzuprobieren. Nach einer Weile kommt sie zurück, legt das Oberteil auf den Ladentisch und erklärt resolut: „Das brauche ich nicht, ich kriege alles in die Hose.“

Reinhard hatte am Samstag seinen großen Tag, er legte gleich los und zog die „Ossis“ regelrecht durch den Kakao. Davon etwas zu schreiben, hat keinen Zweck, Du mußt mir schon glauben, daß es prima war.

So, jetzt muß ich erst in Ruhe Nachrichten hören. Das ist ja eine fückige Sache mit den Arabern. Gerhard, das kluge Kind, hat mal wieder recht gehabt, als er vergangene Woche einen Andrang von Freiwilligen prophezeite.

Hast Du eigentlich in England den Schahbesuch richtig verfolgen können?

 

Endlich komme ich dazu, den Brief fortzusetzen.

Also die Sache mit dem Schah war wirklich interessant. In den ersten Tagen ging noch alles gut. Doch dann wurden die ersten Proteste laut (sogar von Bundestagsabgeordneten), die auf den großen Aufwand und die übergroße Beachtung im Fernsehen hinwiesen. Es war aber auch schlimm, die Straßen gesperrt, riesiges Polizeiaufgebot und im Fernsehen sah man auch kaum noch etwas anderes. In München wurde dann demonstriert und erst recht in Berlin (FU!) Dabei ist dann ein Student von einem Kriminalbeamten erschossen worden (in Notwehr, versteht sich). Daß er erschossen worden war, stellte man allerdings erst bei der Obduktion fest, vorher hatte man angenommen, er sei an einem Schädelbruch gestorben, den ihm ein Polizist, natürlich auch in Notwehr, beigebracht hatte. Natürlich haben die Studenten jetzt noch mehr protestiert. Meine Nachhilfeschülerin meinte dazu: „Die Studenten müssen sich aber auch in alles reinmischen, die sollen doch froh sein, daß sie auf Kosten des Staates studieren können.“

Na ja, darüber kann man streiten, immerhin habe ich gerade in den Nachrichten gehört, daß der Polizeipräsident von Berlin beurlaubt ist.

Wenn Du so nett bist, mir wieder zu schreiben, kannst Du dann mal etwas von der Schule berichten, die Du besuchst? Wie ist es mit den Miniröcken? Hast Du Deine Röcke dem Niveau angepaßt? Sogar in Solingen macht sich mit dem Anstieg der Temperaturen ein Anstieg der Rocksäume bemerkbar.

Jetzt muß ich leider Schluß machen. Morgen kommt nämlich die Oberschulrätin. Das hat die Lehrer in eine gewisse Panik versetzt, die sich in vermehrten Hausaufgaben auch auf die Schüler auswirkt. Wo wir gerade bei der Panik sind, heute waren 3 oder 4 Mädchen 2½ Stunden im Physiksaal eingeschlossen. In der 6. Stunde wurden sie zufällig von einem Mann entdeckt, der die Feuerlöscher überprüfte. So kann’s einem in der A.-D.-S. ergehen.

Ich wünsche Dir alles Gute. Sei brav und halte Dich tapfer!

Viele Grüße

Deine Gunhild