Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

197. Jochen S.                                                   Hamburg, am 6.6.67

Liebe Susanne!

Sicher wartest Du schon lange auf eine Antwort von mir. Daß ich noch nicht geschrieben habe, liegt nur daran, daß ich Deine Adresse zu Hause liegen lassen habe und Roland sie mir noch nicht nachgeschickt hat. Ich könnte zwar den Absender Deines Briefes übertragen, aber dann würde sicher die deutsche oder englische Post streiken. Deine Anschrift habe ich jetzt immer noch nicht, aber ich hoffe jeden Tag auf einen Brief von Roland.

Deine Zeilen klangen recht froh und erwartungsvoll – meine Englischkenntnisse reichen so gerade aus, um den Brief zu übersetzen –, und ich hoffe, inzwischen hat sich geklärt, welche Schule Du nun besuchen kannst. Wenn Deine Gasteltern so hilfsbereit sind, wie Du geschrieben hast, wirst Du sicher zurechtkommen.

Im Augenblick habe ich im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegende Sorgen. Du klagst, wenn Du ein Pfund zuviel auf die Wage bringst, ich aber habe seit Januar 15 kg zugenommen. (Du hast schon richtig gelesen, ich wollte es zuerst auch nicht glauben.) Wie ich das fertiggebracht habe, weiß ich nicht, auf alle Fälle werden mir sämtliche Hosen (einschließlich Badehose) zu eng. Da ich hier zum Essen verpflichtet bin, kann ich nicht als Radikalkur eine Hungerkur unternehmen. Es empfiehlt sich dann schon, abends mal ein Bier oder einen Schnaps weniger trinken. Das ist manchmal verd. anstrengend, wenn man jeden Abend noch lange zusammensitzt und zum gemütlichen Teil der Tagesordnung übergehen kann. Vor halb eins bis ein Uhr komme ich hier nie ins Bett. Dieses Opfer muß man schon zahlen, wenn man in einer Großstadt lebt. Das Schlimmste ist, daß wir unsere 2 Std. Mittagspause jetzt nicht mehr schlafend an der Alster verbringen können. Jeden Tag ist bei uns jetzt Exerzieren. In einer Hamburger Kaserne üben wir jeden Tag von morgens bis abends mit dem Lüneburger Musikkorps zusammen für die große Musikschau in Arnheim. Langsam bekommt man etwas Routine, im Stehen oder Gehen zu pennen. Jedenfalls haben wir, wenn wir Anfang Juli zurückkommen, unseren Urlaub voll verdient. Wahrscheinlich werde ich, wenn mir nichts Besseres einfällt, meine drei Wochen Urlaub in derselben Manier wie letztes Jahr verbringen. Sturmfreie Bude mit einem sorglosen In-den-Tag hineinleben stelle ich mir mal wieder köstlich vor. Roland und Gerhard sind ja auch da, es ist nur jammerschade, daß Du dann weg bist. Kannst Du Deine Ferien nicht in Solingen verbringen? Da Roland und Reinhard arbeiten, ist es möglich, daß es mir ohne Dich zu langweilig wird. Vielleicht trampe ich dann ganz gemütlich nach Hamburg zurück, oder ich besuche Martin auf Langeroog. Er scheint in München das Studentenleben so richtig zu genießen.

Gunhild lernt jetzt wohl eifrig für ihr Abi. Ich glaube, ich muß ihr jetzt mal wieder ein paar Trostworte zukommen lassen, obwohl sie mir zuerst schreiben wollte. Aber vor lauter Müdigkeit kommt unsereins zu nichts. Für heute abend bin ich schon wieder in einer sehr gepflegten Nachtbar oder Night-club (in unserer Nähe) verabredet. Du siehst, das Soldatenleben ist hart!

Liebe Susanne, ich wünsche Dir alles erdenkliche Gute und alles Liebe
Dein Jochen.

 

 

10.6.

Liebe Susanne!

Da musste ich nun extra nach Burg fahren, um mir Deine Adresse zu holen! Roland, der Trottel, hatte sie zwar bereit gelegt, aber er dachte nicht daran, sie mir zu senden. Das war überhaupt so eine Schnapsidee mit unserer Fahrt nach Hause. Gestern, Freitag morgen, sprach ein Lüneburger Musiker davon, er führe nach Dienst nach Köln. Das war natürlich die Gelegenheit. Ein Kamerad aus Aachen und ich machten sofort alles klar mit dem Spieß, und so saßen wir um viertel vier im Autor. Aber jetzt muß ich Schluß machen. Roland wartet schon, wir wollen noch nach Wuppertal. Anschließend schauen wir eben noch im Laubach rein.

Bis auf weiteres!

Viele Grüße

Dein Jochen!

 

Grüß Dich! Ich habe immer schon vorgehabt zu schreiben, aber Du weißt ja, wie das geht. Trotzdem werde ich versuchen, in naher Zukunft zu schreiben. Bis dahin wünsche ich Dir alles Gute etc.

Bis neulich! Roland