Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

199. Gerhard E.                                                Solingen, den 9.6.67

Meine liebe Susanne!

Nun wird es aber doch Zeit, daß ich Dir schreibe. Meine Großeltern sind gerade bei uns, dadurch habe ich wenigstens etwas zu tun. Ich bin immer noch Soldat und kann deshalb nicht arbeiten; langsam beginnt das Nichtstun mir auf die Nerven zu gehen.

Du wirst es nicht glauben, aber Manfred und Anita suchen gemeinsam eine Wohnung, schon seit etwa einer Woche. Mich wundert überhaupt nichts mehr. Am letzten Wochenende waren Michael, Reinhard, ein Stubenkamerad von ihm, Roland und ich zusammen erst bei Reinhard, anschließend in der Stadt unterwegs. Nachher haben Roland und ich uns abgesetzt und bis halb eins getottert. Die Wochenenden sind noch am interessantesten, da dann wenigstens Roland da ist. Sonst weiß ich wirklich nichts mit mir anzufangen.

Hoffentlich geht es Dir gut, und Du langweilst Dich nicht so wie ich. Wenn ich endlich von der Bundeswehr entlassen bin, wird es besser, denn dann kann ich etwas tun.

Sei mir bitte nicht böse, wenn ich über die Ereignisse hier nichts schreiben kann, denn hier finden keine Ereignisse statt.

Lediglich Roland hat Liebesprobleme, darum habe ich ihm am Montag geholfen, einen Brief aufzusetzen.

Ich freue mich, daß die Zeit so schnell vergeht. Diesen Sommer werde ich wohl nicht als einen der schönsten in Erinnerung halten.

Wichtig ist nur, daß es Dir dort Spaß macht. Gestern hörte ich von Axel, der Chef würde bald mit dem Urfaust anfangen. Axel wird wahrscheinlich das Bühnenbild entwerfen.

Das ist es, was ich schreiben wollte. Ich liebe Dich!

Viele Grüße von Deinen

Gerhard.

 

[Anlage]

 Mein Garten

Darum nehme ich einige Hände voll trockener, schwerer Bördeerde, – werfe sie hoch in die Luft und sehe den Staubpilzen zu, die sich in der Mittagshitze allmählich zu Boden senken. Dann schiebe ich ein paar dunkle Wolken, die am nahen Harz hängengeblieben sind, zusammen und nach Nordost. Schon verdunkelt sich die Sonne, rote Ränder überziehen das Dorf. Der Regen fällt und drückt den Staub zu Boden. Jetzt kann ich meinen Garten betreten, doch muß ich vorsichtig sein und die Holzpantinen anziehen, die in der Waschküche bereitstehen, um keine Schlammfüße zu bekommen. Als ich hinaustrete, duftet die Erde betörend frisch. Die Gartenblumen haben ihre Blütenköpfe vor dem Regen geneigt; sie nicken, wenn wieder ein schwerer Wassertropfen abperlt und zu Boden tropft.

Ich gehe zuerst an der Klematishecke vorbei, dann duftet der Jasmin. Zunächst kann ich mit großen Schritten von Platte zu Platte stelzen, dann wage ich mich auf den schlammigen, schmierigen Gartenweg. Der Regen hat aufgehört, noch tropft es von vielen Blättern; die Regentonnen laufen über, denn aus den Dachrinnen platscht es weiter in kräftigem Strahl. So komme ich am Bienenhaus vorbei, wo an der Tränke moosbedeckte Holzsprossen sinnlos im Regen gestanden haben. Das Tröpfeln aus dem Wasserröhrchen verliert sich in der üppigen Wasserfülle – keine Biene sammelt Wasser. Ich stehe am Wetterhaus, schlage die Tür auf und betrachte das Thermometer. Trotz der Abkühlung ist es noch warm genug. Doch wenn ich den Magneten vom Haken nehme und das Quecksilber unter Null drücke, dann zieht die Sonne fort und der Winter kommt.

Dann ist mein Garten erstarrt, alle Pflanzen stehen stumm und warten, manche unter weißem Schnee verborgen. Ich brauche nun keine Holzpantinen, um über den hartgefrorenen Boden zu gehen. Unter meinen Füßen kracht das Eis auf den zugefrorenen Pfützen, und ich kann den Komposthaufen erklimmen, der – viel niedriger als im Sommer – an der Mauer lehnt. Ich schaue in das Nachbargrundstück hinüber und auf die große Giebelmauer der Scheune. Im Efeugerank ist kein Spatz zu hören.

Da fällt mir ein, daß jetzt gar kein Winter ist, der Komposthaufen steigt und ich stehe mit meinen Pantinen plötzlich einen halben Meter höher. Jetzt höre ich das Zetern von vielen Spatzen, geduckt hinter dem Holunderstrauch sehe ich hinüber und kann die fetten Vögel von einer Ecke zur anderen huschen sehen. Dunkles Grün verwehrt mir oft den Blick auf die lustige Gesellschaft. Vorsichtig trete ich zurück, gehe langsam zum Haus, klettere auf den Baum, der im Herbst die rot-gelb gestreiften Gravensteiner trägt, nehme die Armbrust vom Ast, spanne den Bogen und lege einen Bolzen ein. Ich schleiche zur Mauer und steige vorsichtig auf den Komposthaufen. Langsam schiebe ich den kurzen Lauf über die Mauer. Kein Spatz zu sehen. Ich warte. Minutenlang höre ich nur zänkisches Geschilpe. Dann schnurrt eine runde Federkugel ganz nahe an mir vorüber und setzt sich auf den Kirschbaum. Ich hebe die Armbrust, visiere kurz und schieße. Der Bolzen trifft nicht, der Spatz fliegt schimpfend fort. Mist! Wieder ein Bolzen weg, denn in der Wildnis des Nachbargrundstücks finde ich ihn nie wieder. Jetzt schlendere ich zu meinem Baum zurück. Gerade bricht die Sonne durch die Wolken und läßt vor der schwarzen Wolkenwand einen bunten Regenbogen leuchten. Auch die Bienen summen wieder aus ihren Kästen.