Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

210. Sigrid N.                                                    Solingen, 2. Juli 1967

Liebe Susanne!

Hier kommt endlich das „erneute Lebenszeichen aus old Germany“ zwar etwas verspätet, doch ich glaube, daß Du mir meine Schreibfaulheit noch einmal verzeihen kannst. Deine sicher schon sehnsüchtig erwarteten Tabletten habe ich Dir besorgt und ich hoffe, daß Du sie nicht schon allzu sehr vermißt hast. Vielen Dank übrigens für Deinen Brief. Du scheinst ja wirklich wüst zu malochen und die Lektüre, die Du so verarbeitest, ist wirklich beachtlich.

Ottos Prognose ist zwar auch noch nicht wahr geworden: ich lesen abends noch keine Bildzeitung und komme durchaus noch dazu, anständige Bücher zu lesen. Heute Nachmittag kommen 10 Franzosen aus Chalôn hier an, die wir im Sommer kennengelernt haben, und so bin ich auch noch mal gezwungen, mich 14 Tage mit Französisch zu beschäftigen. (… nur mit der Sprache, komme nicht schon wieder auf krumme Gedanken!!) Aber sonst bin ich zur Zeit wirklich entsetzlich faul, was aber bestimmt am Wetter liegt. Es ist nämlich sehr heiß. Ich habe mir heute morgen den Liegestuhl in den Garten gesetzt, das Radio herausgeholt und lasse mir nun die Sonne auf den Pelz brennen. Wie ist eigentlich das Wetter in England? Konntest Du Deine Sommer-Kleidung schon benutzen?

Damit Du beruhigt bist, auch ich muß Dir eingestehen, daß mein Rocksaum einige Zentimeter höher gerutscht ist. Gestern habe ich mir ein neues Kleid gekauft, so ein schönes, weites Hängerchen, das auch ziemlich kurz ist. Aber bei den weiten Kleidern sieht das auch ganz gut aus.

Vergangene Wochen waren Wolfgang und ich in der VHS, wo ein Vortrag über den „politischen Witz“ gehalten wurde und ein Witz davon, der mir ausgezeichnet gefiel, muß ich Dir unbedingt noch erzählen:

Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges gibt die niederländische Königin ein großes Gastmahl. Da sie an Verdauungsstörungen zu leiden hat, passiert ihr nach der Vorspeise ein großes Mißgeschick, das alle gehört haben. Der französische Botschafter springt sofort auf und sagt: „Es tut mir schrecklich leid, daß gerade einem Botschafter der ‚Grande Nation’ ein solches Mißgeschick passieren mußte. Ich entschuldige mich.“ Sprach’s und verschwand.

Nach dem 2. Gang passiert der niederländischen Majestät das Mißgeschick zum 2. Mal. Jetzt springt der englische Botschafter auf und ruft: „Es tut mir sehr leid, daß einem Botschafter Englands so etwas passieren mußte. Ich entschuldige mich hiermit vielmals!“ Dann verläßt auch er den Saal.

Als jedoch ihrer Majestät schon nach kurzer Zeit zum 3. mal das Mißgeschick unterläuft, springt der deutsche Botschafter auf, schlägt die Hacken zusammen, führt den deutschen Gruß aus und ruft: Diesen und die nächsten drei übernimmt das Groß-Deutsche Reich!

Ich fand diesen Witz ausgezeichnet und mal wieder typisch für die Deutschen.

Ich habe mich übrigens auch erkundigt, die Petra nun heißt. „L.“ (kann aber auch anders heißen; entschuldige bitte vielmals, aber ich hab’s schon wieder fast vergessen, ich habe Gisela auch schon Donnerstag danach gefragt und heute ist schon Sonntag!) Gisela ist übrigens völlig daneben; Morgen ist ja mündliches Abi und sie hat noch keine Ahnung, in welchem Fach sie geprüft wird. Und außerdem ist die Schneider dieses Jahr noch beim Abi dabei!

So, nun möchte ich schließen, die Sonne hat mein Gehirn völlig ausgetrocknet. Viele liebe Grüße von Sigrid!

P.S.: Freust Du Dich schon auf den September? Ich glaube hier in Solingen freut sich auch einer sehr darauf, ich habe so etwas am Samstag im Laubach gehört. Rat’ mal, wer es war!!