Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

215. Jochen S.                                                   Hamburg 9.7.[1967]

Seit Dein Brief hier angekommen ist, ist schon einige Zeit vergangen und ich möchte Dich nicht ewig auf Antwort warten lassen.

Ich glaube, ich komme heute aus dem Bett gar nicht mehr hinaus. Um 3 Uhr bin ich aufgestanden, dann habe ich „gefrühstückt“, dann Gunhild zum Abitur geschrieben und jetzt liege ich schon wieder in der Koje. In meinem Bett lässt es sich unwahrscheinlich schlecht (schlafen) schreiben (o je, so weit ist es schon gekommen! Anm. d. Aut.), das Blatt verrutscht immer, die Schrift ist auch dementsprechend. – Zur Entschuldigung für das lange Schlafen muß gesagt werden, daß wir heute früh noch zum Fischmarkt wollten, da es aber regnete, sind wir schon um 4 Uhr ins Bett gegangen (voll wie eine Granate). Aber diesen Zustand sind wir mittlerweile schon gewohnt. In Holland ist es uns jeden Abend so gegangen. Stell’ Dir die Sauferei vor, wenn Musikkorps aus 5 Ländern zusammenarbeiten. Erstes sind es alles Soldaten, die so einiges verkraften können, und zweitens Musiker. Es gab einige, die waren in den 14 Tagen unserer Schau nur einmal nüchtern, und daß war am frühen Abend unsere Ankunfttages.

Am Anfang hatten wir, d.h. 3 Mann, eine tolle Tour drauf. Bis 11 Uhr abends dauerte die Schau. Da unsere Kaserne ganz j.w.d. lag, sind wir in Uniform in der Stadt geblieben (anfangs mit einigen Bedenken, die sich aber als unbegründet erwiesen). Uns prompt fielen wir einigen Deutschen in die Hände, die in typisch deutsch-naiver Art uns sofort einluden („Hallo, da sind ja die Vaterlandsverteidiger!“ „Ihr ward aber gut!“ „Wie geht’s denn?“ „Hier ist ein Bier!“ „Erzählt mal ein bisschen!“ u.s.w.). Darauf haben wir gefressen und gesoffen, bis der Ofen aus war. Auf diese Weise haben wir drei billige Abende verbracht. Aber dann konnten wir nicht mehr. Wir durften zwar bis Mittag schlafen, aber wir lagen mit 15 Mann auf einer Bude. Wenn morgens um 8 der letzte wiederkam, stand der erste schon wieder auf. Viel schlafen war also nicht drin. Außerdem habe ich mir in der folgenden Zeit Deine Belehrung zu Herzen genommen, so daß ich zwar keine Magermilch, aber doch meine 12 Tassen Kaffee am Abend getrunken habe.

Einmal haben wir die Schau in Südholland bei einem Nato-Headquarter abgezogen. Dort in Heerlen in einem Fußballstadion musste der gesamte Käse dann umdisponiert werden, aber ad rem: Kurz vor Schluß geht das ganze Licht aus, und Du weißt ja, wie es bei uns im letzten Sommer war. Nur schade, daß Du diesmal nicht dabei bist. Den letzten Urlaub fand ich richtig prima. Freitags abends in die Spätvorstellung u.s.w.

Wieso bevorzugt ihr in eurem L-H-Club nur Strawinski? Wollt ihr euch abhärten oder kasteien? Für die sadness würde ich nicht so eine Roßkur machen. Etwas Brahms (liebst Du Brahms?), Chopin und etwas später Mozart, das würde ich Dir verordnen, und für die sadness wäre die richtige Untermalung geschaffen.

So, mittlerweile bin ich im Bett ziemlich weit hinuntergerutscht, das Schreiben fällt mir schwer, ich kann meine Knie nämlich nicht mehrt so anziehen, da mir sonst die Hose aufplatzt. Wenn ich nicht noch an Martin schreiben müßte, würde ich mich einfach umdrehen und noch ’ne Runde schlafen.

Nun, mein Mini-Mädchen, viele Grüße, alles Gute, und natürlich auch einen Kuß

Immer Dein Jochen