Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

216. Gerhard E.                                                Solingen, 9.7.67, 23.20 Uhr

Mein lieber Schatz,

ich schreibe Dir jetzt einfach, weil ich es satt habe, immer meine Briefe so mühsam zusammenklauben zu müssen. Ich habe also ein Stück Papier und einen Schreiber ergriffen und beginne. Der Grund, der es mir so schwer macht, Dir zu schreiben, ist eine gewisse Ohnmacht, eine Ohnmacht, die darin besteht, oder vielmehr daraus resultiert, daß ich Dich so fern weiß, nicht nur räumlich, vielmehr zeitlich. Wenn ich schon von der Bundeswehr entlassen worden wäre, säße ich bestimmt in irgend einem Gefährt in Richtung England. Meine ganze Arbeit geht nicht so richtig weiter; ich habe niemanden, der mir hilft, so wie Du das durch Dein bloßes Dasein tun würdest. Wenn mich so die ganze Woche die Langeweile anödet, verfluche ich das Nichtseinwollen und nicht Offensein des Umichherum.

Wehrt den Nichtigkeiten

Träumt nicht nur von Weiten

Geht den Weg hinan!

Das ist es, was ich rufe, unvernommen, nichtgehört, endlos weit im Raum verhallt. Und so muß ich die Ode an einen Nichtgott schreiben:

Dir, du selten gewesenes Wesen,

nie verbrochenes Sei.

Nie kannst du vom Nichtsein genesen

Nichtmal du selbst bist dein.

Fluch dir, unendliche Nichtigkeit!

Du Verbrecher der Meinen

Um eine Selbstnichtwichtigkeit

Kann auch ich nicht weinen.

Sag du mir, wo kann ich das Wichtige finden?

Sage ich dir, ich finde es nicht.

Sag du mir, wann soll ich aufgeben?

Sage ich dir, ich hab’s schon getan.  Punkt.

 

Ich wehre mich gegen die Ohnmacht, die die Seele verdammt, nicht das Gewollte schaubar zu gestalten. Wenn Du mir dabei wieder hilfst, wird es gut.

Die Hoffnung des Aufschreis eines Todeswissens bist immer Du gewesen, Du bist der flackernde Lichtschein des aus mir fließenden Schicksals, das in Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit tote Leere flechtet.

Verwobenes Treiben der Teufelsbrut

Entleerte Scheußlichkeiten, Ekel!

………………………………….?

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                                                        Ende!

Ich bin offen für eine Liebe, die nicht da ist, ich bin eingeschlossen für das Wollen von Ungewolltem. Wenn Du noch mal wegfährst, nimmst Du mich mit, mich mit, hoffe ich, sehr!

So vergrabe ich mich verbissen in der Literatur, ärgere mich über Politik und lese erlöstwerdend griechische Lyrik, finde Göthe noch immer müder als Schiller, kann bald keine Frau mehr von einem Hochgebirge unterscheiden  und werde bestimmt bei unserem Wiedersehen aus Kurzsichtigkeit auf Dir Klavier spielen (Liszt allerdings nicht!), Bääähh!

Wenn wenigstens schon Theater gespielt würde, aber nein, ich werde angeödet von denen, die nicht so sehr wollen, aber es doch sind, denen das gewisse Etwas fehlt (Roland, Ulli) und flüchte mich manchmal zu Axel, der noch der einzige ist, der meine Seele lebt.

Komm bald wieder zu mir, sonst findest Du mich nicht mehr ganz, weil sich dann Teile verflüchtigt haben wie gesättigter Dampf. –

Ich sende Dir tausend Küsse, meine aber etwas Anderes, Besseres, u.s.w.

Dein Gerhard.

P.S.: Nicht Pessimismus, Wut ist das, nackte Wut! Halleluja! Amen!