Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

247. Gerhard E.                                                [Solingen,] 25.8.1967

Mein Liebling!

Warum ich so spät schreibe, erkläre ich nachher; vorher etwas anderes, gleich, damit ich es nicht vergesse.

Man spricht doch immer von dem „Ideal“-Staat U.S.A (Paradies). Dazu sah ich folgenden Fernsehbericht: Thema: Waffen in den U.S.A.

Erste Feststellung: Jeder Erwachsene darf Waffen kaufen. Also scheuchte ein Reporter am Jahrestag des Kennedymordes los und kaufte in der Straße, in der der Mord geschah, das gleiche Modell, das Oswald benutzte, ohne nach dem Namen gefragt zu werden.

Doch nicht nur das. Der Mann lud auf offener Straße durch, latschte durch die City und blieb endlich vor einem Polizisten stehen. Niemand nahm Notiz von ihm.

Danach kaufte ein anderer Reporter ein Gewehr (voll automatisch, 30 Schuß, 99 Dollar)!!! Ein 12jähriger Junge kaufte durch Versandhandlung (!!!) ein Gewehr, ähnlich dem ebengenannten. (Übrigens: jährlich sterben in den U.S.A. ca. 70.000 Menschen durch Mord, Selbstmord oder Unfall durch diese Waffen.)

Der größte Clou kommt aber noch:

Die Reporter gingen in einen Laden, kauften eine halbautomatische Panzerabwehrkanone (2. Weltkrieg, schwedisches Modell, etwa 30 mm Sprenggranaten) für 450 Dollar und Munition (99 c), fragten einen Polizisten, was er davon hält und fuhren in die Wüste. Dort schossen sie auf eine Felsen mit Sprengmunition, die auf 4 km jeden Panzer durchschlagen hätte. Das alles war völlig legal!!

Ich enthalte mich jeden Kommentars.

Doch jetzt, warum ich erst heute schreibe. Das liegt an meiner Arbeit; ich will kurz schildern, was ich zu tun habe.

Ich habe zuerst eine vollständige Planstelle. Dann vertrete ich die Frau, die die „Vermittlungskartei“ erledigt und die Kraft, die die Registratur macht. Dazu helfe ich unserem Chef bei der Ablage von Bergen von Tarifverträgen, habe nebenbei noch die Statistik mitgemacht u.s.w. Ich schätze, ich habe etwa 30 verschiedene Dinge zu erledigen. Du verstehst also, wie müde ich oft bin.

Jetzt sind es bloß noch drei Wochen. Schreib mir bitte, wann Du wo und wie ankommst.

Ich freue mich darauf, mit Dir wieder einmal richtig ausgehen zu können.

Hier ist mal wieder absolute Leere, da alle entweder wieder beim Bund sind oder aber augenblicklich Urlaub machen. In ein paar Wochen wird das wieder besser. Martin beginnt sein Semester erst im November und will in Köln zu Anfang meines Studiums das süße Leben kennen lernen. Nun, ich bin dabei und Du?

So, nun beeil Dich mal, damit die Zeit schneller vergeht!

Viele liebe Küsse und tausend Grüße

von Deinem Gerhard.

 

[Anlage]

 

Beim Betrachten des Einhorns

 

Handzahm wirst du
durch jungfräuliche Liebe,
heißt es,
und daß es dich nicht gibt,
weiß ich,
ein Tier, das es nicht gibt,
nicht handzahm wird es,
nicht geliebt.

 

Jungfräuliche Liebe –
o sinniger, Einfall!
Eine Liebe,
die es nicht gibt –
was seid ihr einander,
du und deine Geliebte
trotz protzigen Horns?