Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

250. Gerhard E.                                                Solingen, den 4.9.67

Mein Liebling!

Da nunmehr die letzten vierzehn Tage angebrochen sind, will ich Dir schreiben. Meine Eltern sind am Freitag spät abends wie der aus dem Urlaub stark gebräunt zurückgekehrt. Nun brauche ich nicht mehr abends die Wohnung in Ordnung zu bringen und habe endlich Ruhe. Neulich sprach ich mit Deinem Vater und hatte den Eindruck, auch er freue sich auf Deine Rückkehr. Wolfgang will am kommenden Samstag eine Fete steigen lassen; leider ist das zwei Wochen zu früh. Da die ganze Klasse eingeladen ist, werde ich wohl auch hingehen.

Wenn Du wieder hier bist, gehen wir am ersten Samstag gleich wieder mal richtig tanzen, hoffentlich hast Du Zeit.

Ich habe jetzt noch vier Wochen hier zu arbeiten und bin wirklich froh, wenn das vorbei ist.

Ulli hat einen Unfallwagen für 150 DM gekauft und bastelt nach dem Motto: Aus zwei mach eins; wie Du sicher bemerken wirst, gibt es von hier immer weniger zu berichten, doch bald kommt Martin aus dem Urlaub zurück, dann ist wieder mehr los.

Ich habe in der letzten Zeit bei Becker einen ganze Haufen Bücher im Antiquariat gekauft und bin sicher, Du wirst auch ein paar ganz interessante Dinge darunter finden.

Augenblicklich schreibe ich gerade eine romantisch-satirische Erzählung über die Erlebnisse des Göttervater Zeus nach seiner Vertreibung vom Olymp durch das Christentum. Da fällt mir beim Wort „vertreiben“ eine nette Spitze auf die Vertriebenenvereine ein. Ich freue mich schon darauf, mit Dir wieder Alles besprechen zu können.

Ich schreibe Dir übrigens hier im Arbeitsamt; zwar habe ich keine Zeit, doch ich brauche einfach mal Abwechslung. Abends bin ich immer saumüde und komme nur schwer zum Schreiben; so hoffe ich, Du entschuldigst meine spärlichen Mitteilungen. Meine Eltern waren noch eine Woche in Süd-Tirol und haben tatsächlich zugegeben, daß auch das Gebirge einen Urlaub wert sein kann.

Vor allem ist die Gastfreundlichkeit und die Natürlichkeit der Südtiroler zu loben.

Als meine Eltern einen kleinen Paß ansteuerten um nach Österreich zu gelangen, fanden sie oben in über 200 m an der Grenze Stacheldraht, Sperren und bewaffnete Posten vor. Die Italiener haben verdammte Angst vor Anschlägen. So kommt es auch, daß alle öffentlichen Gebäude dort mit Barrikaden geschützt sind.

Hier hat sich der Herbst nun endgültig etabliert, doch ist bald Frühling in Sicht, oder? …(!)

Soweit für heute.

Viele liebe Grüße und Küsse

von Deinem Gerhard.

 

[Anlage]

Die Rache des Götzen

 

Die Hütten der Nacht sind aufgerichtet

Wer stiehlt des Tigers Zahn?

Wer bläst das Elefantenhorn?

Der Götze fällt vom Zwischensteg

Und grüne Augen funkeln Mord

Der Dschungel dröhnt von wildem Affenlärm

Götter stürzen Menschen tot

 

Weiße Nebel senken sich herab

Der Irre bricht den roten Stein

Aus weißem Marmorbett

Er nimmt das goldne Diadem

Dem umgestürzten Gott vom Haupt

Der Schleier fällt vom Urwaldfluch

Ein auferstandner Götze lacht

 

Der rote Bauch bricht blutig auf

Und Panik peitscht das Menschenherz

Dämonen speit die ungeheure Glut

Und Teufelsbrut hetzt die Gewissenlosigkeit

Der eine hebt den Diamantenstab

Dann saust er krachend auf den Schädel

Und Edelstein mischt sich mit Hirn

 

Der Rachesinn ist eingeschlafen

Der Götze starb zum zweiten Mal

Bäume sprengen Tempelmauern

Kein Gott wacht mehr auf blutbespritztem Pfad

Nachtlärm weicht der Morgenstille

Nur hier und dort blitzt es noch auf

Im ersten Morgensonnenschein