Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

49. Gerhard E.                                                  Magdeburg, den 8.8.63

Liebste!

Heute Nacht träumte ich von Dir. Als ich eben aufwachte, gab mir mein Opa Deinen Brief. Ich habe schon sehnsüchtig auf ihn gewartet, endlich ist er da.

Über Langeweile kann ich nur am Tage klagen. Es war hier bis gestern furchtbar heiß. Über 34º C zeigte das Thermometer! Außerdem hat es hier seit Pfingsten nicht geregnet. Die Ernte ist teilweise in Gefahr: Linden- und Akazienbäume tragen gelbes Laub. Man könnte denken, es sei Herbst. Gestern kam nun das erste Gewitter. Und was für eins! Seitdem regnet es.

Am Abend meiner Ankunft ging ich zu meinem ehemaligen Freund. Um 10 Uhr begaben wir uns in den Garten meiner Großeltern und ich „besorgte“ aus dem Keller eine Flasche Kirschwein. – Es blieb nicht bei einer Flasche! –

Am Samstag war Tanz im Gartenheim. 5 meiner ehemaligen Freunde gingen mit. Um 20 Uhr begann es. Tanzen kann ich gottseidank noch nicht. Aber das werden wir im Herbst in der Tanzstunde nachgeholen! An dem Abend hast Du mir gefehlt. Es war eine wunderbare Nacht. Um 3 bin ich dann mit einem Freund nach Hause gegangen. Die anderen „mußten“ Mädchen nach Hause begleitet. Wie gerne wäre ich mit Dir durch die Nacht gewandert!

Fast an jedem Abend lassen wir uns das Bier gut schmecken. Meinen Großeltern ist es gleich, ob ich um 21 oder um 5 Uhr nach Hause komme!

Die Ansichten über Moral sind hier ähnlich wie bei unseren Playboytypen. Da bei vielen keinerlei Bindung zur Kirche besteht, gibt es für sie auch nicht das Gebot: „Du sollst nicht Ehebrechen!“ – Aber mir kannst Du vertrauen. Ich lasse mich mit keinem anderen Mädchen ein. Ich liebe Dich sosehr, Liebling.

Es ist doch ganz klar, daß ich auch alle Unterhaltung mitmache. Warum auch nicht? Und Dir vertraue ich auch. Du schreibst, niemand könne die Liebe, die Du für mich empfindest, in Worten ausdrücken. Auch verstehen kann sie keiner. Aber ich kann das. Und nur deshalb, weil ich für Dich eben das Gleiche empfinde.

Am Samstag kommt Jürgen aus Berlin hierher. Dann ist hier viel los. Wir werden mit meiner Tante ausgehen. Sie kommt nämlich nie heraus, weil mein Onkel nichts fürs Vergnügen übrig hat.

Am Sonntag war ich in der Kirche. Sehr viele Leute waren nicht da. Fast alle waren ältere Damen. 3 Konfirmanden waren anwesend!. Am Freitag ist Jugendkreis. Ich kenne alle Jungen, die dort mitmachen. Es sind die Anständigsten. Ich gehe also auch hin.

Schade, daß ich nicht schon am Wochenende nach Hause kommen kann. Eine Woche mußt Du allein bleiben.

Am Sonntag, den 18., morgens, komme ich höchstwahrscheinlich zurück. Um 10 Uhr ist Gottesdienst. Ich werde da sein, Du hoffentlich auch.

Wenn ich nicht erscheine, sehen wir uns am Donnerstag. Auf diesen Sonntag freue ich mich schon wahnsinnig. Hoffentlich ist das Wetter dann schön, daß wir baden gehen können!

Was Du über die „Zeugen Jehovas“ schreibst, ist gut. Ich kenne zwar nicht viel von ihrem Glauben, aber es scheint mir ein anmaßender, dem Christentum widersprechender Glaube zu sein. Nun, wir werden noch darüber sprechen.

Ich habe die berechtigte Hoffnung, bis zum 18. auch zu überleben. Dann sehen wir uns wieder. Bis dahin sende

ich Dir also viele Grüße und tausend Küsse. Ich liebe Dich!!! Dein

Gerhard.